Gli angeli del 2000

Italien, 1969

Originaltitel:

Gli angeli del 2000

Regisseur:

Lino Ranieri

Drehbuch:

Lino Ranieri

Inhalt

Nach mehreren Jahren im Sumpf des Verbrechens tätig kommen dem kleinkriminellen Ganoven Marco (Ivano Davoli) allmählich Zweifel an seinem fragwürdigen Lebenswandel und freundet sich daher mit dem Gedanken an, allmählich auszusteigen. Eigentlich träumte er bereits als Teenager von einer Heirat mit seiner Jugendliebe Valeria (Donatella Giannini), mit der er dann ein glückliches und geordnetes Leben geführt hätte. Doch leider kam alles anders als erwartet und Marco landete letztendlich in den Klauen einer römischen Verbrecherbande, die junge orientierungslose Menschen dazu ausnutzt, gegen die Zahlung einer schnellen Lira für sie die Drecksarbeit zu erledigen. Bleibt schließlich nur noch die Frage, wie die beiden Oberschurken Kral (Gianfranco Maggi) und Dory (Eleonora Rossi Drago) auf den unerwarteten Entlassungswunsch reagieren werden.

Review

Gerade in den Jahren 1967 - 1970 entstanden in Italien zahlreiche filmische Kleinode, die aufgrund ihrer besonderen Einzigartigkeit eben auch nur im kreativen Schmelztiegel der 68er Bewegung entstehen konnten. GLI ANGELI DEL 2000 würde ich ebenfalls zu der Sorte von Filmen zählen, zu denen beispielsweise auch VERGOGNA SHIFOSI, LA STAGIONE DEI SENSI, LA RIVOLUZIONE DE SESSUALE, ESCALATION, H2S, FERMATE IL MONDO VOGLIO SCENDERE oder MANGIALA (EAT IT) gehören. Zwar unterscheiden sich die aufgezählten Werke sowohl von ihrer Thematik als auch von der jeweiligen Herangehensweise und Machart, versprühen aber dennoch gemeinsam den Geist dieser hochinnovativen und farbenprächtigen Sex, Drugs & Rock'n Roll-Ära - die letzten Endes leider viel zu schnell vorüberging. Für die Inszenierung der vorliegenden Obskurität zeichnete sich ein gewisser Lino Ranieri aus, der bis dahin lediglich als Nebendarsteller in LA BELLE FAMIGLIE (1964), SICARIO 77 - TOT ODER LEBENDIG (1966) und RAMON IL MESSICCANO (1966) in Erscheinung trat. Für GLI ANGELI DEL 2000 wechselte Ranieri schlagartig seine bisherige Beschäftigung, denn er verlagerte nicht nur sein neues Betätigungsfeld hinter die Kamera, sondern fungierte auch noch zugleich als Drehbuchautor und Produzent. Dabei änderte er auch seinen Vornamen in Hanil (Regie) als auch zugleich in Honil (Drehbuch). Der spärlichen Informationslage nach bekam Ranieri nach der Fertigstellung des Films zunächst ordentlichen Ärger mit der staatlichen Zensurbehörde, was wiederum dazu führte, dass die vom Regisseur intendierte Ursprungsfassung bereits im Vorfeld erheblich Federn lassen musste. Was folgte, waren ein langwieriges Verfahren, eine verspätete Kinopremiere und viel zu geringe Besucherzahlen. Der Film floppte und verschwand in der völligen Versenkung, bis Anfang 2019 urplötzlich digitale Kopien einer augenscheinlich privat-abgetasteten 35mm Filmrolle auftauchten - denn GLI ANGELI DEL 2000 wurde bis dato weder auf VHS noch als Super-8-Fassung veröffentlicht und vermutlich noch nicht einmal im italienischen TV ausgestrahlt. Leider befand sich das aufgefundene 35mm Material in einem sehr suboptimalen Zustand, denn verbliebene Restfarben sucht man auf dieser Kopie leider vergebens. Lediglich die beiden lysergsäurediethylamid-haltigen Rauschszenen weisen einzig noch eine gewisse Farbenpracht auf, was wiederum darauf schließen lässt, dass der damalige Wirkstoffgehalt auch heutzutage noch völlig verblasste Filmkopien wieder farblich hellauf erleuchten lässt.

 

Dem Bericht der italienischen Zensurbehörde zufolge dürften sowohl die orgienhafte Eröffnungszene im Rahmen der ausgelassenen Hausparty als auch die Kussszene im Auto bereits im Vorfeld entschäft worden sein. Weitere Kürzungen betrafen die Gewaltszene, in der die Freundin eines konkurrierenden Drogendealers von der deliquenten Jugendbande zunächst getollschockt und misshandelt wird, bevor sie von ihren Peinigern nackt an einen Baum gefesselt in der Einöde zurückgelassen wird. Aber auch verbale Ausfälligkeiten wie beispielsweise "coglione", "stronzate" oder "puttana" verursachten bei den damaligen Moralwächtern offensichtlich ein unangenehmes Kratzen in den Ohren, wodurch diese Wörter ebenfalls vor dem Kinostart entfernt werden mussten. Zu guter Letzt scheint auch noch die Szene zu fehlen, in der Valeria von der Heranwachsenden-Gang ausgeraubt wird, denn während der gemeinsamen Tretbootsfahrt folgt ein harscher Schnitt, woraufhin bereits heftig über besagten Überfall debattiert wird. Ob dieser Schnitt letztlich zensurbedingt oder aufgrund eines Materialschadens zustande kam, lässt sich leider nicht zweifelsfrei nachvollziehen.

 

Das eigentliche Thema von GLI ANGELI DEL 2000 befasst sich mit dem Scheitern junger Menschen, die sowohl vom faschistisch geprägten Bildungssystem als auch von den bürgerlichen Konventionen und Moralvorstellungen die Nase gestrichen voll hatten. Der Traum von Freiheit und Unabhängigkeit führte letztendlich dazu, dass ein Teil der aus den ländlichen Gegenden stammenden Jugendlichen ihre Elternhäuser verließen und scharenweise in die italienische Hauptstadt pilgerten, um dort ihr vermeintliches Lebensglück zu finden. Doch leider offenbarte sich der Traum von einem sorgenfreieren Leben oftmals als reine Utopie, denn eine Vielzahl der zugereisten Jugendlichen endeten zunächst auf den Straßen Roms, von wo aus sie dann beispielsweise von fleißigen Verbrecherbanden gegen Zahlung einer schnellen Lira für ihre zweifelhaften Dienste rekrutiert wurden. Und genau so ergeht es auch dem Hauptprotagonisten Marco, der sein trauriges Dasein nach dem Verlust seiner Jugendliebe als auch seiner Mutter gemeinsam mit seinem Vater unter bescheidenen Verhältnissen in einem römischen Vorort fristet. Um der allgemeinen Unzufriedenheit zu entfliehen, gibt Marco gegenüber seinem Vater vor, in der Innenstadt eine Anstellung als Pianist gefunden zu haben. Dabei geriet er gleich nach seiner Ankunft in die Fänge der skrupellosen Verbrecherbande, die die Hilfslosigkeit gestrandeter Jugendlicher gewissenlos ausnutzt. Zwar legte Marco innerhalb der Bande einen erfolgreichen Werdegang an den Tag, durch den er sich auch recht zügig einen luxuriösen Sportwagen leisten konnte, aber in seinem tiefsten Innern sehnt er sich weiterhin nach einem rechtschaffenderen und geregelten Leben in einer vermeintlich glücklichen Zweisamkeit. Als er infolge eines Drogendeals mit einem Minderjährigen von seiner aktuellen Liebschaft endgültig den Laufpass bekommt, gibt sich Marco zunächst einem kollektiven LSD-Trip hin, bevor er sich im Anschluss zu Hause nochmals alleine auf eine halluzinatorische Reise begibt, die dann aber aufgrund seines inneren Konflikts und unverarbeiteten Kindheitstraumen alptraumhafte Züge annimmt. Doch als er sich kurz darauf in die einige Jahre jüngere Angela (Francesca Righini) verliebt -die ihn obendrein an seine schicksalhafte Jugendliebe Valeria erinnert-, fasst er endgültig den Entschluss, sein Leben zu ändern und endlich aus dem Verbrechenssumpf auszusteigen.

 

Die schauspielerischen Leistungen der beteiligten Darsteller reißen zwar keine Bäume aus, entpuppen sich aber immerhin als weitestgehend recht solide. Für die Hauptrolle wurde Ivano Davoli auserkoren, der einigen von uns durch seine Darbietungen aus A... COME ASSASSINO, VERGOGNA SCHIFOSI oder DAS GEHEIMNIS DES SILBERNEN HALBMONDS bekannt sein dürfte. Zwar gelingt es ihm den Hauptcharakter Marco glaubwürdig zu verkörpern, aber letztendlich fehlen ihm doch gewisse Schauspielskills, durch die sein Rollencharakter noch um einiges lebendiger gewirkt hätte. Das Gleiche trifft auf die schauspielerische Leistung der zum damaligen Zeitpunkt bereits verdienstvollen Darstellerin Eleonora Rossi Drago (NUR TOTE ZEUGEN SCHWEIGEN, IN THE FOLDS OF THE FLESH, DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY) zu, denn auch sie wirkt in der Rolle der leitenden Gangsterbraut Dory leider etwas blass. Die überzeugendste Darbietung legt schließlich Franco Citti (MÖGEN SIE IN FRIEDEN RUH'N, DER PATE, DIE BLUTIGEN SPIELE DER REICHEN) an den Tag, obwohl ihm in der Rolle des konkurrierenden Drogendealers 'Franco' nur eine sehr kurze Screentime zugesprochen wurde. Dabei bekommt er trotz seiner kurzen Auftrittsdauer von der rückgratlosen Heranwachsenden-Gang ordentlich den Frack vermöbelt, die ihn im Auftrag von Dory und Kral eines schönen Abends nicht nur während eines lustvollen Schäferstündchen in seinen heimischen Gefilden überfallen, sondern auch noch um seine gesamten LSD-Vorräte erleichtern. Seiner Freundin Laura ergeht es derweil nicht viel besser, denn nachdem der ausgeraubte Franco die jugendliche Schurkengang erfolglos zu jagen beginnt, bekommt sie infolgedessen die blinde Wut derer zu spüren: Nach zahlreichen Mal­t­rä­tie­rungen wird die getollschockte Laura schließlich auch noch von ihren jugendlichen Peinigern alleine -und nackt an einen Baum gefesselt- in der menschenleere Pampa zurückgelassen. Zu guter Letzt sollte auch noch die Beteiligung des 'Patrick lebt!'-Darstellers Gianni Dei ihre Erwähnung finden, dessen markante Gesichtszüge nicht nur Filme wie beispielsweise LO SCERIFFO CHE NON SPARA, UN BIANCO VESTITO PER MARIALE, DIABOLICAMENTE... LETIZIA oder GIALLO A VENEZIA schmückten, sondern in GLI ANGELI DEL 2000 ebenfalls gebührend zur Geltung kommen. 

 

Als ein ganz besonderes Schmankerl entpuppt sich obendrein die aus der Soundschmiede Mario Molinos stammende Filmmusik, zu der dann nicht nur Edda dell'Orso, sondern auch Nora Orlandi ihre lieblichen Stimmen im Background erheben. Das darbegotene Soundspektrum reicht von tanzlastigen Psyche-Beats über loungige Soundkost bis hin zu melancholisch angehauchten Melodien, bei denen akustische Gitarren im Vordergrund stehen. Meine persönlichen Highlights stellen zweifelsfrei Mario Molinos dreiste Kopie des Pierre Henry & Michel Colombier-Klassikers 'Psyché Rock' -mit der der Film gleich im Rahmen eines wilden Partygelages eröffnet wird- als auch sein hammondgeschwängertes Beatgewitter 'Shake Psycho', welches zu meiner größten Freude gleich zweimal seine Verwendung fand.

 

Fazit: Ein filmisches Kleinod der 68er, das trotz wirkungsschwächender Monocolorfassung und kleineren inszenatorischen Unzulänglichkeiten letztendlich überzeugen konnte.

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