Spirits of Death

Italien, 1972

Originaltitel:

Un bianco vestito per Marialé

Alternativtitel:

Exorcisme tragique - Les monstres se mettent à table (FRA)

La orgía de la sangre (ESP)

Awaited Death

A White Dress for Marialé

Regisseur:

Romano Scavolini

Inhalt

Marialé musste als kleines Mädchen mit ansehen, wie ihre Mutter und deren Liebhaber von Marialés Vater erschossen wurden. Diese Gräueltat konnte die mittlerweile erwachsene Frau bis dato nicht verarbeiten. Sie lebt allerdings weiterhin auf dem Landsitz ihrer Kindheit, welcher demgemäß als Rahmung ihres Traumas erhalten bleibt. Dort wird sie von ihrem Ehemann, Paolo, von der Außenwelt isoliert, sodass die junge Frau klammheimlich einige Telegramme aus dem Schloss schmuggelt, um ein paar alte „Freunde“ ins Domizil einzuladen. Die schon bald eintreffenden Gäste werden von Paolo mit einer kolossalen Antipathie empfangen, welche allerdings den Hass, den die Besucherschaft untereinander hegt, mühelos in den Schatten stellt.

Review

„Spirits of Death“ liefert einen Auftakt, der uns postwendend mit dem Grund (oben erwähnter Eifersuchtsmord) für Marialés Traumatisierung vertraut macht, sodass die Vergangenheit schnurstracks thematisiert wird. Somit ist der Boden geebnet und das Fundament für einen außergewöhnlichen und zugleich hochinteressanten italienischen Genrefilm gelegt, der seine folgenden Geschehnisse in ein unheimliches Schloss verlagert und unter anderem (s)eine schaurigschöne Atmosphäre zelebriert, anstatt sich intensiv mit einem (wahrscheinlich von einigen Zuschauern erwarteten) Whodunit-Konzept zu beschäftigen.

 

Der Hauptcharakter, Marialé, beabsichtigt, so hat es zumindest den ersten Anschein, sich von ihrem Trauma und dem tristen Leben hinter den Schlossmauern abzulenken. Zu diesem Zweck lädt sie ohne das Wissen ihres Ehemanns eine Gruppe von Bekannten (es ist schwierig zu glauben, dass es sich um Freunde handelt) ins Domizil ein. Die Gäste sind einander spinnefeind und es ist jedem einzelnen (Ausnahme: Massimo, auch der Poet genannt) jegliche Schandtat zuzutrauen. Eine einander hassende Personenschar, die sich aus bisher ungeklärten Gründen gemeinsam in einem geschlossenen Terrain aufhält. Eine solche Konstellation verführt natürlich dazu, sie mit den allerbesten Rahmenbedingungen für eine Mordserie im Stile von Agatha Christies „Und dann gabs keines mehr“ zu assoziieren, aber Pustekuchen, denn „Spirits of Death“ besitzt - wie ich bereits andeutete - keine Ambition, um sich ein Whodunit zu erarbeiten, geschweige denn durchzuexerzieren. Da diese Möglichkeit ausscheidet, lässt sich das geschlossene Areal mit seinen obskuren Personen als ein Mikrokosmos des Reichtums umschreiben. Ein Ort der Zusammenkunft scheinbar seelenloser Menschen, die von einem unaufhaltsam voranschreitenden mentalen Niedergang getrieben werden, welcher das ungemütliche Beisammensein als einen Kongress der Dekadenz definiert. Woraus die Fragenkonstellation resultiert, wieso, weshalb und warum eben dieser Personenkreis von Marialé zusammengerufen wurde?

 

Jedenfalls nicht zum Kaffeekränzchen, obwohl man das dort versprühte Tantengift auch nicht unterschätzen sollte. Marialés Gäste feiern ihr spezielles, ein besonders ausuferndes Fest, das von Fress- und Saufexessen getrieben zu einer Orgie eskaliert. Begleitet von psychedelischen Musikklängen, dessen wuchernde Gitarrensounds an die Akkorde eines Danny Weis erinnern. Eine Komposition, die es in den Gehörgängen rappeln lässt und als Leitwolf eines visuellen Exzess fungiert. Das simultan ablaufende zügellose visuelle Treiben wird einzig von Massimo (unserer Reflektorfigur) negativ aufgefasst, sodass dieser in einen depressiven Strudel gerät, aus dessen Sog er sich nicht befreien kann.

 

Während der „Festlichkeit“ sind die beteiligten Personen in besonderer Weise kostümiert. Marialé läuft im Kleid ihrer Mutter (das diese während ihrer Ermordung trug, also inklusive des Blutflecks) auf und liefert dem Rezipienten simultan einen makabren Hinweis auf das, was bald folgen könnte. Auch die von Edilio Kim verkörperte Figur, Gustavo, präsentiert sich in einer besonders prägnanten Weise. Diese ohnehin extrem obskure Persönlichkeit ist in ein Kleidchen gehüllt, welches dem von Marilyn Monroe (1954er Ballerina Fotosession) gleicht. Zudem ist Gustavo auf eine diabolische Art geschminkt. Ein Stil den man beispielsweise auf diversen Fotografien von Valeska Gert entdecken kann. Auch die weiteren Gäste zeigen eine Maskerade, die nun wirklich nicht an die Gäste eines fröhlichen Faschingsballs, sondern eher an diabolische Clowns erinnert. Und über die berichtete bereits der großartige Lon Chaney, dass sie „mit ihren bemalten Gesichtern und ihrem starren Lächeln ebenso unheimliche Gestalten wie das Phantom der Oper sind.“

 

Ich suggeriere diese seltsamen Personen als die Nebendarsteller in einem die Vergangenheit beklagenden Theaterstück, deren Blick (wie von Geisterhand gesteuert) fortwährend auf den eigenen Untergang fokussiert ist. Sie sind Beiwerk sowie Dekoration einer gezielten Kontaktaufnahme mit den zurückliegenden und unauslöschlichen Schrecken der Vergangenheit. Eine anstehende Konfrontation von der man erahnt, dass sie schlussendlich und konsequenterweise nur in einem kollektiven und unausweichlichen Ableben münden kann.

 

Die Ingredienzien, welche die Rahmung eines solches Schauerstücks fordert, werden von Romano Scavolini vorzüglich bedient. So zum Beispiel eine Szenenbeleuchtung wie sie schöner kaum sein kann. Ein als Schatten an die Wand geworfenes Porträt der Schlossbesucher, die mit Kerzenleuchtern die Treppe in Richtung Keller herabsteigen, lässt die inspizierenden Sehorgane der Zuschauer enthusiastisch funkeln. Darüber hinaus waltet ein plötzlich auftretendes Unwetter, welches seine blitzenden und donnernden Soldaten vor den Gemäuern exerzieren lässt und einhergehend kindliche Ängste aus den tiefsten Winkeln des Inneren hervorkehrt. Ferner erhalten das den Tod prognostizierende Doppelgängermotiv sowie der Blick in den Spiegel ihre Einsätze. Aufgrund dieser Vielfalt fruchtender Faktoren fällt es kaum ins Gewicht, dass der Film nahezu zwei Drittel voranschreitet, bis es zum ersten Mord kommt, welcher gleichzeitig eine Welle von weiteren Todesopfern folgen lässt. Dabei wird nach dem Wie und dem Wer nicht gefragt, die Morde werden vom rezeptionsfähigen Zuschauer angenommen, um schlussendlich einzig das Warum zu erfragen.

 

„Spirits of Death“ spielt nicht allein wegen seiner hervorragenden Fotografie und Beleuchtung in der Königsklasse des italienischen Genrekinos. Auch seine Narration beschreitet eine durchweg erfolgreiche Marschroute, denn Scavolinis (von einigen Zuschauern, insbesondere der Gialli SA, vermutlich als absurd und schädigend gedeutetes) Konzept erscheint mir wesentlich normaler als jeder Versuch das Unrehabilitierbare zu rehabilitieren, um in einem vollkommen deplatzierten Happy End zu verkümmern oder schlussendlich gar Mister X als Verantwortlichen aus dem Hut zu zaubern.

 

Fazit: Scavolini befleckt das unbeschriebene weiße Blatt, das symbolische weiße Kleid, mit Blut und befreit es von diesem Makel, indem er das Gewand in ein (für den Zuschauer nicht sichtbares, aber authentisch spürbares) tiefes Schwarz färbt. Währenddessen zelebriert der Regisseur sein Werk nach dem Shakespeareschem Motto, dass „die ganze Welt Bühne ist und alle Frauen und Männer bloße Spieler sind, die auf- und wieder abgehen“.

 

Und wer dieser Inszenierung zugegen war, wer auf den Theaterrängen saß, angeregt und wohlgeneigt, seine Begeisterung definitiv auch am heutigen Abend zeigt.

 

Bravissimo!

Veröffentlichungen

„Kinder, wie die Zeit vergeht. Wie schnell sich doch die Erde dreht.“

 

Mit diesen Worten gab sich mein erster Gedanke zu erkennen, als ich die OFDb konsultierte, um das Datum der deutschen Veröffentlichung von Camera Obscura zu eruieren - 1. Juni 2013! Was den ungefähren Zeitpunkt reflektiert, an dem ich das Gesamtpaket erworben habe. Zur später erschienenen Blu-ray kann ich nichts schreiben, da ich diese nicht besitze. Die DVD bietet allerdings ein sehr gutes Bild, das man anhand obiger Screenshots inspizieren kann.

 

Nach der Fertigstellung der Besprechung habe ich erstmals dem unter den Extras enthaltenen Audiokommentar von Christian Keßler und Marcus Stiglegger gelauscht. Und ich kann inständig behaupten, dass ein Audiokommentar genauso klingen muss, da er alles liefert, was ich von einer Filmanalyse erwarte!

 

Abgerundet wird das hervorragende Gesamtpaket mit einem gewohnt starken Text („Blut auf weißem Kleid") von Kai Naumann, mit dessen Worten ich mich auch verabschieden möchte: „Die einzige Erlösung aus dem Triell ist der finale Mord, der auf morbide und erschreckende Weise das beendet, was mit dem Urmord begann: die irreparable Zerstörung einer Seele.“

Filmplakate

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