Im Herzen des Hurrican

Deutschland, 1980

Originaltitel:

Im Herzen des Hurrican

Alternativtitel:

In the Heart of the Hurricane

Nicht mit uns!

Deutsche Erstaufführung:

28. März 1980

Regisseur:

Hark Bohm

Drehbuch:

Hark Bohm

Inhalt

Ein Elch hat sich an die Elbe sowie in die Lokalteile der Tagespresse verirrt, was einen Delikatessenhändler aufhorchen lässt, denn er wittert die Chance, sein Angebot um eine besondere Spezialität zu erweitern. Folglich beordert er seinen zuverlässigen Lieferanten und Hobbywilderer, den 17-jährigen Chris Schiedrowski, zur Elchjagd. Doch Chris ist nicht der einzige, der den Geweihträger verfolgt, denn ein „Indianer“ hat sich ebenfalls an dessen Fersen geheftet, allerdings nicht um das Tier zu töten, sondern um dessen Reise durch die BRD fotografisch zu dokumentieren. Zwei unterschiedlich ambitionierte Jugendliche mit demselben Ziel, einen Elch aufzuspüren, der sich quer durch die von Chemie und Abgasen geplagten bundesrepublikanischen Weiten bewegt. 

Review

Sofern ich die Helden der Karl May-Western, die Antihelden des Italo-Western sowie die Rebellen in der populären Musik außer Acht lasse, kann ich festhalten, das meine ersten wahren Helden in Hark Bohms „Nordsee ist Mordsee“ die Welt der Lichtspiele sowie mein Herz enterten. Dschingis, der asiatische Junge, der von seinen Mitschülern gehänselt wird, da er nicht in ihr Bild passt, und Uwe, der stets beweisen will, dass er der Größte ist, dabei jedoch immer tiefer in einen prekären Kladderadatsch hineinrutscht. Zwei (erst spinnefeind und später zu Freunden werdende) Jugendliche, die ihr Drang nach Freiheit sprich die Flucht aus einem sie anwidernden Umfeld zusammenschweißt. Beide Charaktere offerieren dem jungen Publikum ein immenses Identifikationspotential, um deren Leiden und Wünsche mit Situationen zu verbinden, die es in ähnelnder Weise (und sei es nur auf kognitiver Ebene) selber durchlebt hat. Denn Dschingis und Uwe mögen zwar nicht wissen was sie wollen, aber sie wissen definitiv, was sie nicht wollen und das macht sie zu Rebellen, zu den sympathischen Außenseitern der Lichtspiele, die sich gegen ihre Eltern stellen, durchlebtes Leid nicht billigend in Kauf nehmen und schlussendlich die Flatter machen.

 

Uwe Enkelmann (Bohm), dessen Jugend keine einfache war, antwortete in einem Interview auf die Frage: was die Menschen an „Nordsee ist Mordsee“ berühren würde: „Weil die zwei Jungs was machen, was sich die anderen nicht trauen. Die laufen ja nicht nur weg, sondern widersetzen sich ihren Eltern. Sie sagen, ich hau ab, weil ihr mir auf den Keks geht. Und ich hau richtig ab, nicht nur so ein bisschen. Die wollen ja eigentlich auch eine Familie, wie jedes Kind. Aber sie haben keine. Oder keine, die funktioniert. Du wünschst dir, dass es entspannt ist zu Hause, dass die Eltern sich nicht mehr prügeln, sondern sich verstehen.“

 

Ungeachtet des thematisierten Generationskonflikts fokussiert „Nordsee ist Mordsee“ einen von Dschingis Mitschülern durchexerzierten Terror, unter dem der Heranwachsende zu leiden hat. Doch Dschingis ist tapfer, stellt sich dem entgegen, steckt ein, teilt verteidigend aus und nimmt seine resultierenden Wunden in Kauf, um seine Aufrichtigkeit zu bewahren. Und eben diese Wunden adeln sein Wesen und erfüllen ihn wie seine Verehrer vor der Leinwand mit Stolz. So trägt ein jeder auf seine Weise einen Dschingis in seinem Herzen, denn Menschen wie er sind unsere wahren Helden, die Helden aus der unmittelbaren Nachbarschaft – und solche Helden sind unverzichtbar!  

 

Nach „Nordsee ist Mordsee“ folgte „Moritz, lieber Moritz“. Hark Bohm verlagerte den Filmschauplatz vom sozialen Brennpunkt in Richtung Elbchaussee und zentralisierte im Umfeld der betuchten Gesellschaft den pubertierenden Moritz Struckmann, der seinem Publikum ebenfalls ein üppiges Identifikationspotential zur Verfügung stellte. Uwe (Enkelmann / Bohm) und Dschingis (Bowakow) sind innerhalb kleinerer Rollen erneut mit von der Partie, bevor sie zwei Jahre später zum dritten Mal gemeinsam vor der Kamera standen, es resultierte Hark Bohms Glanzstück:

 

IM HERZEN DES HURRICAN

 

„Die Geschichte des Films ist entstanden, weil ich gelesen habe, dass Elche durch die Elbe geschwommen sind und die Bundesrepublik durchquert haben. Dabei sind sie immer irgendwie auf der Autobahn überfahren worden. Man ist für bestimmte Themen sensibilisiert: Ich interessiere mich eben für all das, was man neuerdings Ökologie nennt." (Hark Bohm)

 

Die folgende Besprechung bezieht sich auf die gekürzte Version des Films „Im Herzen des Hurrican“, welche Hark Bohm unter dem Titel „Nicht mit uns!“ ein zweites Mal ins Kino brachte, da die ursprüngliche Version bei Publikum und Kritik durchfiel!

 

Chris Schiedrowski ist nicht der Typ, der einer Lehre nachgeht und sich den Regeln der gesellschaftlichen Maschinerie anpasst. Folglich blockiert er die vom dritten Konjunkturzyklus getriebene Motorik und muss den Lehrbetrieb verlassen. Für Chris kein Problem, denn sein Ego besitzt eh keine Formel, die den Anforderungen einer tüchtigen Nachkriegsgesellschaft gerecht käme. Er liebt die Freiheit, setzt sich auf seine Maschine (Marke: Eigenbau) und jagt Wild für einen Delikatessenhändler. Bei einem seiner Ausflüge wird er allerdings von der Försterei erwischt, welche nunmehr Chris jagen und ihn dabei anschießen. Eine Jagdszenerie, die sehr wohl an das Westernkino erinnert, welches auch im weiteren Filmverlauf das ein ums andere Mal zitiert wird. Der symbolische Viehdieb flüchtet auf seiner Karre, gefolgt von den Ordnungshütern, die buchstäblich keine Gefangenen machen und ohne Vorwarnung mit scharfer Munition um sich ballern, was an den klassischen, von den meisten Zuschauern vornehmlich veramerikanisierten, Lynchmob erinnert. Die Schussverletzung zwingt Chris ins Krankenhaus, wo wir auch gleichzeitig seine Eltern kennen lernen, allerdings nichts Näheres über sie erfahren, sodass sie als Randfiguren in die Geschichte eingehen. Die Kriminalpolizei, die in Form von Herrn Diepholz ebenfalls im Krankenhaus zu Besuch ist, vermutet, dass Chris in einen Heroin-Bandenkrieg verwickelt ist. Was einerseits Chris´ Flucht aus dem Hospital provoziert, andererseits per Vorschlaghammer vermittelt, dass sich der Jugendliche in geschlossenen Räumen alles andere als wohl fühlt und sich nach Freiheit sehnt. Sein erster Weg führt zu seinem Hehler, bereits erwähnten Delikatessenhändler, der Chris postwendend damit beauftragt, einen Elch, der an der Elbe gesichtet wurde, für 500 Deutschmark zu erlegen. Und damit beginnt unsere Exkursion durch die bundesrepublikanischen Landschaften, dem Elch auf der Spur, die Bullen an den Fersen, stets dass Ziel vor Augen. Und als Chris den Elch endlich aufspürt und nur ein kurzer Druck seines Zeigefingers genügt, um das Zielobjekt zu erlegen fährt ihm ein „Indianer“, über dessen Identität wir nichts erfahren, schnurstracks in die Parade. Der Fremde kommt physisch aus dem Nichts und optisch einem Mescalero Apachen nahe und er ist letztendlich da, um die Reise des Elchs fotografisch zu dokumentieren.

 

Zwei Personen, die sich innerhalb eines bestimmten Areals (hier Wald) aufhalten und bekriegen, dass erinnert an John Boormans „Die Hölle sind wir“ (dort Insel). Eine Verwandtschaft, die sich sehr wohl mit einem Teil von Hark Bohms Ambitionen decken könnte. Während einer sich aus der beschriebenen Konstellation herauskristallisierenden Zwistigkeit rund um den Elch, wird Chris nach und nach seiner Position, welche er selbst als souverän auslegt, entmachtet, da ihm der schweigsame Unbekannte stets einen Schritt voraus ist, sodass Chris seiner Ambition, den Elch zu erlegen, nicht nachkommen kann und von einer diffizilen Situation in die nächste gerät. Doch ähnlich Uwe und Dschingis innert „Nordsee ist Mordsee“ entwickelt sich auch hier aus anfänglicher Feindschaft eine beidseitige Sympathie.

 

„Die Freundschaft zwischen zwei Menschen, von denen man glaubt, dass sie gar nichts miteinander zu tun haben können. Das ist ja so ein Grundthema bei mir: Beziehungen zwischen Leuten, von denen man das Gefühl haben muss, dass sie nach Rasse und kultureller Tradition sich eben überhaupt nicht verständigen können.“ (Hark Bohm)

 

Die Geschichte um Rivalität, Jagd und einer minder geachteten Natur geht einher mit Wendungen, die die beiden Jugendlichen in die Fänge einer Sekte (äußerst widerwärtige Zeitgenossen) sowie später zu einer Kfz-Kommune schleusen. Situationen, die von unterhaltsamer Qualität geprägt sind, allerdings aus meiner Sicht nicht unbedingt erforderlich sind. Die Geschichte um die beiden Jugendlichen, dem verirrten Elch sowie die damit verbundene Ökomessage, die erfreulicherweise nicht nach dem Holzhammerverfahren waltet, reichen mir persönlich bereits aus, um diesen hervorragenden Film gebührend zu feiern. Ich beurteile die umrissenen Randsituationen als gezielte Einsätze, um das Publikum mit reißerischer Qualität zu bedienen.

 

„Mann, der geht doch hier kaputt!“ (Chris)

 

Fazit: So wie Chris und der „Indianer“ dem Elch folgen, folgt ihnen die Polizei, die einiges fehlerhaft interpretiert und die beiden Jugendlichen in eine ähnliche Sackgasse treibt wie den Elch, der schlussendlich auf einer Autobahn landet und vom Lärm eines mehrspurigen Verkehrs sowie dem Getöse eines zur Landung ansetzenden Fliegers strapaziert wird und augenscheinlich den erlösenden Tod herbeisehnt, was den Jugendlichen sichtlich nahe geht. Folglich tritt neben die Hochachtung vor dem Wesen mit dem großen Geweih eine Traurigkeit, welche wiederum die Erfordernis gebärt, den Elch von seinem symbolischen Leid zu erlösen. So avancieren Chris und der „Mescalero“ zu Rebellen mit Herz und Verstand, die als allegorischer Gegenpol zu einer bundesrepublikanischen Verantwortungslosigkeit fungieren.

 

So handeln Helden - und Helden sind unverzichtbar!

Veröffentlichungen

Der Film wurde nach einer wahren Begebenheit gedreht, konnte allerdings bei Publikum und Kritikern nicht punkten, sodass Hark Bohm einige Kürzungen vornahm und den Streifen unter dem Terminus „Nicht mit Uns!“ ein zweites Mal in die deutschen Lichtspielhäuser schickte. Dabei fielen ca. 18 Minuten der Schere zum Opfer. Die mir vorliegende Version stellt sich zwar mit dem Credit „Im Herzen des Hurrican“ vor, scheint allerdings mit der gekürzten Version identisch zu sein. Leider lässt sich über die Kürzungen nicht viel in Erfahrung bringen. Eine Ausnahme bildet die Szene, in der die beiden Hauptprotagonisten eine tote Kuh finden, deren Verendung sich mithilfe des deutschen Kinoaushangs und einem Spiegel-Artikel aus dem Jahr 1980 dechiffrieren (Grund: eine bleiverseuchte Wiese) lässt. Folglich berauben die Kürzungen das Gesamtwerk (s)eines besseren Filmverständnisses und lassen dessen eigentliche Aussage zeitweise ohne Schirm und Cape im Regen stehen. Waren die frühen 1980er eigentlich nicht reif für einen solchen Film oder das damalige Publikum sowie die Kritik einfach nur rezeptionsunfähig?  

Links

OFDb
IMDb

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