Das Geheimnis der grünen Stecknadel

Deutschland | Italien, 1972

Originaltitel:

Cosa avete fatto a Solange?

Alternativtitel:

¿Qué habéis hecho con Solange? (ESP)

Mais... qu'avez vous fait à Solange? (FRA)

What Have You Done to Solange? (USA)

Deutsche Erstaufführung:

09. März 1972

Kamera:

Joe D'Amato

Inhalt

Die Schülerin eines katholischen Mädchenpensionats wird tot im Londoner Hyde Park aufgefunden. Sie wurde auf äußerst bestialische Weise ermordet und vom Täter fehlt bislang jede Spur. Lediglich eine grüne Stecknadel wird am Tatort aufgefunden, die für Inspektor Barth (Joachim Fuchsberger) zunächst jedoch noch keine heiße Spur darzustellen scheint. Schnell ist ein Verdächtiger gefunden, und zwar der Italienisch-Lehrer Enrico Rossini (Fabio Testi), der sich zur Tatzeit mit seiner Geliebten Elizabeth (Christina Galbó) in einem Boot in unmittelbarer Nähe des Verbrechens befunden hat. Elizabeth ist ebenfalls Schülerin im Internat und konnte den Mord mit ansehen. Als ein weiteres Mädchen der Schule auf die gleiche brutale Weise getötet wird liegt die Vermutung nahe, dass es sich um einen Serienmörder handeln dürfte. Doch nach welchem Motiv handelt er? Um sich von dem bestehenden Verdacht zu befreien, macht Enrico sich selbst auf die gefährliche Suche nach dem Unbekannten...

Autor

Prisma

Review

Für die kurz vor dem Ende stehende Wallace-Reihe ist Gast-Regisseur Massimo Dallamano mit "Das Geheimnis der grünen Stecknadel" ein bemerkenswert unter die Haut gehender Thriller entstanden und man kann wohl ohne größere Diskussion von einer Art Auslese im Rahmen der langjährigen Serie sprechen. Anders als bei "Das Rätsel des silbernen Halbmonds" spürt man hier trotz zeitgemäß-progressiver Inhalte noch die eindeutigere Orientierung in Richtung der Wallace-Wurzeln, vor allem in den Bereichen Schauplätze und Besetzung, aber auch die Besinnung, dass es einfach an der Zeit war, neue Impulse mitgeben zu müssen. Im Endeffekt bleibt das Prädikat echt aber genau so gerechtfertigt, wie bei jedem anderen Film der Reihe auch. Die Verbindung zwischen der neuen italienischen Marschrichtung und Grundsätzen des klassischen Konzepts ergibt nicht nur einen erfrischenden Stil, sondern es tauchen nahezu revolutionäre Ansätze auf, die unglücklicherweise nicht lange weiter geführt wurden, weil die Serie eingestellt wurde.
 
Dallamanos Spielfilm wird immer wieder mit einer eigenartigen Kritik aus Wallace-Fankreisen konfrontiert, die der Verlauf mit klarer Kompetenz und Wallace-Prosa aber locker wegzustecken weiß. In diesem Zusammenhang ist vielleicht die ungewohnt harte Gangart zu erwähnen, die Schocks versetzt und dies auch tun möchte, um den gewollt realen Charakter der Geschichte herauszuarbeiten. Deutsche, beziehungsweise eher klassische Anteile gehen eine sehr ausgewogene Allianz mit italienischer Herangehensweise ein, so dass der Wallace-Kosmos in einem späten und ungewohnten Glanz erstrahlen kann. Überhaupt kann man sich in den Bereichen Spannung, Tempo, Tragik und sogar weitgehend bei der Logik überhaupt nicht beklagen. Wenn man den Film insbesondere als Beitrag der Edgar-Wallace-Reihe betrachtet, ist dieses offensive Aufsprengen von alten Strukturen eine weitere, hoch interessante Komponente. Im Grunde genommen war diese Strategie auch der einzig mögliche Weg, denn nach x-Vohrer-Beiträgen en route musste die Serie am Zuschauer orientiert, und zeitgemäß reanimiert werden.
     
Die Besetzungsliste vereint Teile der Wallace-Stammfraktion mit sehr überzeugenden, neuen Gesichtern. Joachim Fuchsberger als Inspektor Barth verblüfft mit einer vollkommen ungewohnten Stilrichtung hinsichtlich bekannter Strickmuster und auch im Rahmen seines eigenen Darbietungsstils. »Aber aus beruflichen Gründen muss ich mich um einen sachlichen Ton bemühen« bekommt man von ihm bei einer Befragung zu hören, die für jeden Kriminalisten die unbequemste Aufgabe darstellen müsste. Ein junges Mädchen wurde ermordet und er muss den verzweifelten Eltern nicht nur unsensible Fragen stellen und ihnen sachdienliche Antworten entlocken, sondern sie auch noch mit schrecklichen Details konfrontieren. Was generell keine leichte Aufgabe darstellt, wird durch eben die brutalen Tatumstände verschärft und Joachim Fuchsberger sieht man in einer beispiellosen Art und Weise von seiner kontrollierten und über-sachlichen Seite. Eine ungewohnte Situation für den Zuschauer, stattete er seine Figuren ausgleichsweise doch immer mit etwas Witz und leichtfüßigem Charme aus.
 
In keinem anderen Wallace-Auftritt wird auch seine Ermittlungsarbeit derartig strukturiert geschildert und das gängige Zufallsprinzip bei der Lösung von diversen Fällen wurde hier beinahe vollkommen ignoriert. Zwar wurde erneut ein Privatmann, beziehungsweise ein Verdächtiger mit integriert, der der Polizei wichtige Schützenhilfe leisten wird, doch man hat letztlich den Eindruck, dass Inspektor Barth und seine Mannschaft maßgeblich an der Auflösung beteiligt waren. Die unterschiedliche Präsentation der Polizei, der in diesem Zusammenhang komplette Verzicht auf unangebrachten Humor und die nüchterne Zeichnung Barths vermitteln eine hohe Glaubwürdigkeit und klassische Protagonisten-Rollen. Für Joachim Fuchsberger gilt also auch, oder vor allem hier, dass er nicht nur stets der Anforderung entsprechend, sondern auch flexibel in alle Himmelrichtungen agieren konnte. Großartig! Die Zeiten, eine hilfsbedürftige Partnerin zu suchen und neben der Hauptaufgabe amourösen Nebenbeschäftigungen nachzugehen waren also beendet, so dass man als Danebenstehender noch intensiver den Eindruck vermittelt bekommt, dass der Beruf die Berufung und außerdem die Priorität darstellt. Das Prinzip Intensivierung durch Relativierung geht vollkommen auf.

 

Das persönliche Empfinden weist hier eigentlich Fabio Testi die tatsächliche Hauptrolle zu, Joachim Fuchsberger somit eher die nominelle, doch es entsteht keineswegs der Eindruck eines Revierkampfes, da die Anlegungen der Rollen deutlich unterschieden werden und empfindlich voneinander abgegrenzt sind. Fabio Testio überzeugt mit einer Art Metamorphose, vom Lehrer Enrico Rosseni der seine Schülerin verführt, über den für die Polizei dringend Tatverdächtigen, bis hin zum ebenbürtigen Protagonisten. Groteskerweise fallen hier Eindrücke positiv ins Gewicht, die normalerweise vielleicht Anlass zur Kritik geben. Testi wirkt recht ausdruckslos und darstellerisch unbeweglich, hinzu kommt dass er Zweifel an seiner Integrität nie beseitigen kann, doch aufgrund seiner privaten Ermittlungen macht er einiges an Boden gut. Man fragt sich zwar, ob er dies auch getan hätte, wenn er nicht gerade dazu gezwungen wäre, aber dennoch funktioniert es und der weitere Verlauf und das Drehbuch gehen freundlich mit ihm um. Möglicherweise liegt es auch an Partnerin Karin Baal, dass er beim Zuschauer Verständnis für sein Handeln hervorruft, denn die Berlinerin kommt zunächst in einer überaus verwirrenden Silhouette daher, sprich, es könnte einem glatt das Blut in den Adern gefrieren.
 
Dem Eindruck nach zehn Jahre älter aussehend, kehrt sie beruflich, als auch privat die Lehrerin heraus. Ihr unterschwelliger Zynismus und ihre Eiseskälte offenbaren einen gedemütigten und zutiefst verletzten Charakter, ihre Abwehrmechanismen sollen sie vor weiterem Schaden schützen. Auch Herta Rosseni erfährt im Verlauf eine nicht nur optische, sondern auch emotionale Wandlung, so dass das Gefüge als Paar doch noch funktionieren kann, obwohl es dem Anschein nach alles etwas zu schnell und zu einfach für ein universelles Vergeben und Vergessen ging. Karin Baal macht jedenfalls einen hervorragenden Eindruck. Ein weiterer Wallace-Veteran zeigt sich im Lehrer-Kollegium in Form von Günther Stoll. Seine drei vorher gegangenen, recht kontrastreichen Rollen geben ihm einen Hauch von Undurchsichtigkeit, jedoch beweist er in wichtigen Situationen auch Solidarität, Sachlichkeit und einen kühlen Kopf. Bei den Schülerinnen des Colleges sind im Besonderen Claudia Butenuth und Cristina Galbó hervorzuheben, die nicht nur ihre körperlichen Reize zur Verfügung stellen können, sondern über die auch harte Schocks gesetzt werden. Aus vermeintlicher Stärke wird Todesangst, aus unbekümmerter Lebensfreude wird Tragik pur.
 
Man kann "Das Geheimnis der grünen Stecknadel" also in einer gewissen Art und Weise als Film der Umkehrreaktionen betrachten, denn der Zuschauer wird oftmals auf falsche Spuren und in dunkle Winkel der Psyche geführt. Der Aufbau von Massimo Dallamanos Beitrag ist sehr klar, erfreulich ist die durchgehend erkennbare Struktur und die recht hoch gelegte Messlatte im Sinne von diversen Qualitätsansprüchen. Egal was man in dieser Produktion sehen mag, oder vermehrt verspüren wird, sie funktioniert sowohl als italienischer Film mit deutscher Seele, oder eben als deutscher Film mit italienischem Gewand, was im übertragenen Sinne nur bedeuten soll, dass die Betrachtung als Gesamtergebnis Film hier unbedingt im Vordergrund stehen sollte. Das Thema: Wallace, beziehungsweise Giallo, ja oder nein, ist hier vollkommen ohne Belang und falls es doch zum Thema wird, trifft man ihn nicht auf einer sinnvollen Ebene und verpasst Einiges. Neben den erwähnten Darstellern zeigt das Drehbuch seine Stärken und die schockierenden Elemente sind zunächst schwer zu ordnen, deuten aber eine Art Realwert an und zwar insofern, dass die Polizei mit schrecklichen Verbrechen konfrontiert ist, und eben nicht mit Märchenfiguren.
 
Wenn, und vor allem wie der Mörder zuschlägt, wirkt schon ziemlich verstörend und der sich langsam erschließende Hintergrund der Taten wirkt nach dem Finale, beziehungsweise nachdem sich die Thematik gesetzt hat, ernüchternd und tragisch. Der psychologische Hintergrund wird in seiner straffen Erklärungsweise auf ein Minimum an dienlichen Informationen reduziert und der Plot wirkt schlussendlich nicht überfrachtet, lediglich das Finale wirkt etwas hastig konstruiert und manche Personen scheinen aus heiterem Himmel an irgendwelche Informationen gekommen zu sein, was nicht genügend durchleuchtet wird. Die traumhaft-melancholische Score von Ennio Morricone ist ein Genuss und wird dem Charakter des Filmes entsprechend jede Situation hervorragend unterstützen. Im Bereich der Bildkompositionen und der Settings werden jegliche positive Eindrücke abgerundet und es bleibt unterm Strich nur zu sagen, dass man es mit einem bemerkenswerten Film zu tun hat, der nicht nur spannend ist, sondern der auch spürbare Berührungspunkte mit geneigten Zuschauern finden wird. "Das Geheimnis der grünen Stecknadel" packt von Anfang bis Ende und Scheuklappen sollte man besser direkt an der Garderobe abgegeben.

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