Die 100 Tage von Palermo

Frankreich | Italien, 1984

Originaltitel:

Cento giorni a Palermo

Alternativtitel:

Morte a Dalla Chiesa (BRA)

Die hundert Tage von Palermo (BRD)

Cien días contra la mafia (COL)

Cien días en Palermo (ESP)

Palermon sata päivää (FIN)

Cent jours à Palerme (FRA)

Sto dni w Palermo (POL)

Regisseur:

Giuseppe Ferrara

Inhalt

General Carlo Dalla Chiesa hat einen erfolgreichen Kampf gegen die Roten Brigaden hinter sich und tritt am 1. Mai 1982 sein neues Amt als Polizeipräsident von Palermo an. Nach seinem arrivierten Vorgehen gegen den Terrorismus hat Dalla Chiesa nun einen neuen, weitaus gefährlicheren Krieg in den Fokus seiner Amtausübung platziert: Der Kampf gegen die Machenschaften der sizilianischen Mafia und deren Protagonisten.

Review

DIE HUNDERT TAGE VON PALERMO ist wie FACCIA DI SPIA und DIE AFFÄRE ALDO MORO ein weiterer Film von Giuseppe Ferrara, der sich mit einer unbequemen Thematik auseinandersetzt. Freilich können Sie nun behaupten, dass Ferrara noch weiteren unbehaglichen wie kritisierenden Stoff abgeliefert hat. Das bleibt Ihnen überlassen. Ich kann lediglich nur über die Filme berichten bzw. die Filme zu Vergleichsintentionen heranziehen, die ich tatsächlich sichten durfte. Alles andere würde eine Verfälschung ankurbeln, die zwar nicht den Machenschaften der CIA zur zweifelhaften Ehre gereicht, aber schlussendlich nicht mehr als abkömmliche Positur ausstrahlt.

 

Giuseppe Ferraras Regiearbeit (DIE HUNDERT TAGE VON PALERMO) lässt sich flink als eine semi-documentary begreifen. Ein Subgenre, welches im dritten Zyklus (zwischen 1945 und 1962) der US-amerikanischen Gangsterfilme wurzelt. Dort kristallisierten sich zwei Tendenzen heraus. Die erste Tendenz stellte den Gangster als einen Einzelgänger in den Mittelpunkt der Filmhandlung und berichtete von seiner vornehmlich kurzfristigen Gangsterkarriere. Die zweite Tendenz entwickelte sich aus dem Dokumentarfilm und ließ gar Linien zum italienischen Neorealismus erkennen: Der Semidokumentarfilm (semi-documentary). Diese Filme orientierten sich an tatsächlichen Begebenheiten, wurden on location (ergo nicht im Studio) fotografiert und von Zeit zu Zeit traten in den Filmen gar Personen auf, die beim tatsächlichen Verbrechen eine Rolle spielten.

 

DIE HUNDERT TAGE VON PALERMO offeriert uns gleich zu Beginn einen Beleg für seine semidokumentarische Veranlagung, die uns mittels Silvio Fraschettis Kamerabilder einen Einblick in die brutale Arbeit der Mafiakiller gestattet. Demzufolge liefert uns die Kamera Bilder von Hinrichtungen, denen (der Reihe nach) Boris Giuliano (21.07.1979), Cesare Terranova (25.09.1979), Piersanti Mattarella (06.01.1980) und Gaetano Costa (06.08.1980) zum Opfer fielen. Die Täter: Erbarmungslose Killer, die akribisch ihrem Job nachgehen und unbequeme Staatsdiener eiskalt eliminieren. Das Gezeigte präsentiert das Ergebnis eines harmonischen Miteinanders von Kamera und Montage, welches an die Bildbeiträge eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtenprogramms (zweite Hälfte der 1970er bis frühe 1980er) erinnert. Diese Momente vertreten notabene neben der später visualisierten Ermordung von Pio La Torre (30.04.1982) die wenigen Actionmomente, die DIE HUNDERT TAGE VON PALERMO zueigen hat, denn in Ferraras Inszenierung regiert der Dialog, was zugleich einen bisweilen spannenden wie fortwährend anspruchsvollen Geschichtsunterricht herauskitzelt.

 

„Gegen den Terrorismus hat der Staat gekämpft weil er von ihm bedroht wurde, aber die Verhältnisse zwischen Mafia und Staat sind… na, ja…

(Fontana)

 

Als Kern des Films wird General Carlo Dalla Chiesa definiert. Der konsequente Präfekt von Palermo, der gegen die Mafia antritt und kraft seiner unbequemen Recherchen blitzschnell in deren Schusslinie gerät. Neben den unerbittlichen Ermittlungen erhalten wir auch einen kleinen Einblick in das Privatleben des Präfekten und lernen seine junge wie attraktive Freundin Emanuela kennen, die gegen seinen Willen nach Palermo kommt, um ihrem baldigen Ehemann ideell zu unterstützen.

 

Giuliana de Sio macht in dieser spezifischen Rolle, die Rolle der tapferen wie auch feinsinnigen Frau an Dalla Chiesas Seite eine gute Figur. Lino Ventura tritt allerdings deutlich energischer aufs Gaspedal und fährt als General Carlo Dalla Chiesa immerzu volle Kraft voraus. Er gibt einen Mann mit Zielen und Idealen, der den italienischen Schweinestall ausmisten will. Venturas Dalla Chiesa reflektiert keinen unsympathischer Zeitgenossen. Keinen Militaristen, keinen Faschisten. Er ist ein Idealist, der an seine Sache glaubt, diese umsetzen will, koste es was es wolle. Und wer, wie Dalla Chiesa, die Anhäufung des Kapitalvermögens der Mafia, die Rückführung schmutziger Gelder nach Sizilien, die Höhe der Devisenschiebung sowie die Investitionen seitens der Mafia im In- und Ausland kontrollieren lässt, dessen Lebenslicht wird aus allen Himmelsrichtungen von derben Winden traktiert. Um die Schwere von Dalla Chiesas Nachforschungen zu erschließen, ist es unabdinglich ein wenig in den italienischen Geschichtsbüchern zu fahnden. Diese Nachforschungen führen nolens volens zu der Erkenntnis, dass die sizilianische Mafia Mitte der 1970er ihren Macht- und Wirkungskreis bis in die bedeutenden Distrikte von Politik und Verwaltung erweiterte. Der Cosa Nostra gelang es mittels Bestechungsgelder Politik, Polizei wie Justiz zu unterwandern. Einhergehend bewirkte man einen Einfluss auf die Kreditinstitute, was der Organisation ermöglichte die Einnahmen aus Waffenhandel, Prostitution sowie dem Drogenhandel einer Geldwäsche zu unterziehen. Womit nun eigentlich jedem klar sein sollte, auf welch dünnen Eis Dalla Chiesa seinen dreifachen Rittberger absolvieren will.

 

Die symbolische und außerordentlich riskante Eiskunstlauffigur animiert mich ein sportliches Thema aufzurufen, das Giuseppe Ferrara kurzzeitig thematisiert: Die Fußball WM in Spanien 1982. Es datiert der 8.Juli des genannten Jahres. Die Straßen von Palermo sind leergefegt. Die Palermitani sitzen allesamt vor der Glotze, um der Squadra Azzurra, der italienischen Fußballnationalmannschaft, die Daumen zu halten und simultan auf den Einzug ins WM-Finale zu hoffen. Der Held des Tages: Paolo Rossi. Ein dito populärer Juve-Stürmer wie cheater (auf wie neben dem Rasen), dem 1980 seine Beteiligung an dem verschobenen Ligaspiel zwischen AC Perugia und US Avellino nachgewiesen wurde. Obwohl Rossi vehement seine Unschuld beteuerte und in diesem Kontext betonte, dass er es nicht nötig hätte eine lapidare Bestechungssumme von heute rund 2.000 Euro zu akzeptieren und im Gegenzug betrügerisch zu agieren, wurde der gebürtige Toskaner für drei Jahre vom Ligabetrieb ausgeschlossen. Wenngleich niemand so recht an Rossis Unschuld glauben wollte, vertraute der italienische Nationaltrainer Enzo Bearzot auf dessen fußballerische Fähigkeiten. Denn nachdem die Sperre vorzeitig (nach zwei Jahren) aufgehoben wurde, berief er Rossi trotz fehlender Spielpraxis in den WM-Kader, wo er mit Beginn der Zwischenrunde mächtig aufdrehte und einen großen Anteil an Italiens folgenden Titelgewinn beitrug. Rossis Beteiligung an der Spielmanipulation war allerdings nur ein Schatten dessen, was 2006 kraft des Calciopoli-Skandals ans Tageslicht kam. Es flog ein Manipulationssystem, ja, ein mafiöses System auf, in dessen Zentrum der Generaldirektor von Juventus Turin, Luciano Moggi, gern Lucky Luciano genannt, stand. Die Folgen für den italienischen Fußball waren katastrophal, aber das können Sie bei Interesse selber nachforschen.

 

Seit 100 Tagen bin ich hier und geändert hat sich noch gar nichts.

(Carlo Dalla Chiesa)

 

Turin und Palermo besitzen eine stolze topografischer Distanz, aber mit Blick auf die Aktivitäten der Mafia liegen sie gewiss nicht weit auseinander. Dalla Chiesa will diese Regsamkeiten in Palermo unterbinden und findet in Pio La Torre, der vom brutalen Terrorismus der Mafia spricht und Sizilien als den größten Umschlagplatz für den internationalen Drogen- und Waffenschmuggel einordnet, einen flammenden Befürworter. Natürlich werden La Torre kurz darauf und einen Tag vor Dalla Chiesa Dienstantritt die Lebenslichter ausgeblasen. Eine Tat, die gemäß Dalla Chiesa, als eine Drohung an alle Politiker eingeordnet werden muss.

 

Auch wenn sich die Actionmomente in Giuseppe Ferraras DIE HUNDERT TAGE VON PALERMO zurückhalten, wird die Luft in Siziliens Hauptstadt von einem hohen Bleianteil regiert, der dem selbstlosen Mafiakontrahenten, Dalla Chiesa, analog zu seinem Dienstantritt eine sehr kurze Lebensdauer attestiert. Diese düstere wie hoffnungslose Stimmung kann Ferrara mittels seines semidokumentarischen Inszenierungsstils sehr wohl vermitteln. Er konfrontiert uns mit verantwortungsloser Staatsführung, Korruption, Repression wie Machtmissbrauch und erläutert die Simplizität deren Antriebsystems: Entweder man spielt mit oder man hat für immer ausgespielt.

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