Der Sohn von Jesse James

Italien | Spanien, 1965

Originaltitel:

Solo contro tutti

Alternativtitel:

6 kulor i ryggen (SWE)

Alleen tegen allen (BEL)

De zoon van Jesse James (BEL)

El hijo de Jesse James (ESP)

Haydudun Oğlu (TUR)

Jesse James' hævner (DNK)

Jesse James' Kid (USA)

Le fils de Jesse James (FRA)

O Filho de Jesse James (BRA)

One Against All (USA)

Seul contre tous (FRA)

Son of Jesse James (USA)

Deutsche Erstaufführung:

6. Juni 1966

Regisseur:

Antonio del Amo

Inhalt

Bill James, der Sohn des berühmten wie berüchtigten Jesse, verlässt 20 Jahre nach der Ermordung seines Vaters seine Heimat Missouri, um mit der Vergangenheit abzuschließen und unter einem anderen Namen (Bill Smith) die Türen für ein neues Leben zu öffnen. Sein Weg führt ihn zur Three Star Ranch, wo Bill fortan als Cowboy tätig ist. Die Sympathie, die Bill bei seiner neuen Chefin (Dorothy) weckt, kann vom Vormann, Bruce, nicht bestätigt werden. Was zugleich der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Ärgernissen ist, welche dafür sorgen, dass der Sohn von Jesse James seine Herkunft nicht mir nichts dir nichts abschütteln kann und schon bald unter Mordverdacht steht. 

Review

DER SOHN VON JESSE JAMES wurde wie DIE GANZE MEUTE GEGEN MICH und ABRECHNUNG IN VERACRUZ vom Materna-Verleih in die bundesdeutschen Lichtspielhäuser geführt. Leider sind die Erfolgsaussichten eine dieser raren 35mm Kopien aufzutreiben sehr gering. Der deutsche Trailer fand jedoch vor ein paar Jahren den Weg auf die fränkische Leinwand und wurde von 35mm beim Italo-Western-Festival im Kommkino zu Nürnberg aufgeführt. Wer an diesem Tage nicht zugegen war und sich trotzdem von den Qualitäten dieses feschen Appetitanregers überzeugen will, der findet diesen in digitalisierter Form auf den deutschen Veröffentlichungen von VERGELTUNG AM WICHITA PASS als auch EINE KUGEL FÜR DEN BASTARD.

 

DER SOHN VON JESSE JAMES ist eines jener Kinder, die sich einer dereinst florierenden wie genreübergreifenden "Son(s) of... Welle" anschloss, die Firmierungen wie SON OF GODZILLA, SON OF SAMSON, SON OF EL CID, SON OF DJANGO, SON OF CAPTAIN BLOOD hervorbrachte. Der König in dieser Rubrik ist zweifelsfrei der Sohn von Herkules, der in einer Vielzahl von italienischen Kraftmeierfilmen wie FIRE MONSTERS AGAINST THE SON OF HERCULES, ULYSSES AGAINST THE SON OF HERCULES, MESSALINE VS. THE SON OF HERCULES, THE TERROR OF ROME AGAINST THE SON OF HERCULES, TRIUMPH OF THE SON OF HERCULES, MEDUSA AGAINST THE SON OF HERCULES sowie URSUS - SON OF HERCULES mit Pappmaché herumhantierte, um den jeweiligen Mirokosmos, in dem er herumvagabundierte, von Tyrannen und Monstern zu erlösen. 

 

Auch das DER SOHN VON JESSE JAMES eröffnende, musikalische Leitmotiv hat was mit „Son(s) of…“ zu schaffen, denn Komposition wie Interpretation klingen nach jener Gesangsformation, die vornehmlich in den 1930ern und 1940ern in zahlreichen US-Western aus dem Off als auch inmitten von Prärie, Saloon und sonstigen Auftrittsplätzen die kodifizierenden Erkennungsmelodien von zumeist sauberen Westernern trällerten - „The Sons of the Pioneers“. 

 

Wie weit sich der Jesse James der Balladen und Lichtspiele vom echten Jesse entfernt, beweist einer der in den USA zuhauf produzierten Serien-Kinofilme JESSE JAMES RIDES AGAIN. Haben viele Produzenten wie Regisseure den Überfall der James-Younger-Gang auf die Northfield Bank in Minnesota mit widrigen Umständen (welche Jesse als Robin Hood auswiesen) begründet als auch gerechtfertigt, so behauptet JESSE JAMES RIDES AGAIN (USA, 1947), dass Jesse beim Great Northfield Minnesota Raid gar nicht mitgemacht hat und zur Tatzeit weit vom Tatort entfernt war. Jesse-Darsteller Clayton Moore feierte mit seiner Darbietung einen beachtlichen Erfolg, sodass er knapp ein Jahr später noch einmal als Jesse und für ein weiteres Serial (THE ADVENTURES OF FRANK AND JESSE JAMES) in den Sattel stieg. JESSE JAMES RIDES AGAIN wurde übrigens zu einem Teil der „Western von Gestern“-Reihe. So ritt der adrette Jesse mit der blütenreinen weißen Weste unter dem Terminus JESSE JAMES REITER WIEDER in die bundesdeutschen Wohnzimmer und verhalf dem Telefunkener Wohnzimmerfreund zu seinen freitätigen Glanzmomenten. Denn ebenso wie (im real life der ersten Hälfte der 1970er) jeder Hund grundsätzlich Lassie und jedes Pferd grundsätzlich Fury gerufen wurde, wollte am Tag nach den jeweiligen TV-Ausstrahlungen jeder Dreikäsehoch Jesse James genannt werden. Wer JESSE JAMES REITER WIEDER sichten mag und hernach weiterhin Lust auf Augenwischerei verspürt, der kann sich JESSE JAMES AT BAY (USA, 1941) anschauen, da ist nämlich der Strahlemann Roy Rogers (!) als Jesse aktiv.

 

Es ist aufenfällig, dass viele südeuropäische Western mit einem Überfall auf einen Gold- oder Geldtransport oder mit einer Verfolgungsjagd an den Start gehen. Beide Konstellationen sind hin und wieder nicht mit der darauf folgenden Handlung verflochten. Manchmal ging es den Verantwortlichen einfach nur darum, Bewegung darzustellen oder einem expolitativen Grundgedanken zu folgen. Auf den ersten Blick lässt sich aus der Verfolgungsjagd, gleich zu Beginn von DER SOHN VON JESSE JAMES, ebenfalls keine Bedeutung für die anstehende Filmhandlung lesen. Spätestens nach dem Konsum des Films wird die allegorische Bedeutung dieser Szene allerdings klar, da sich diese simpel als Flucht vor der Vergangenheit deuten lässt. 

 

Die sich an die Verfolgung anschließende Rückblende, welche die Ermordung von Jesse James thematisiert, erinnert an die Inszenierungsweise selbiger innert Henry Kings JESSE JAMES, MANN OHNE GESETZ (USA, 1939). Die italienische Version bietet allerdings einen konsequenteren Robert Ford, der zwar dito heimtückisch, aber nicht so derart verschwitzt und überaus nervös zu Werke geht wie es John Carradine als extrem feiger Jesse-Mörder praktiziert. 

 

Der Tod von Jesse James ist ein Beleg dafür, dass die von den Literaten romantisierten Outlaws keinen heldenhaften, sondern einen niederträchtigen Tod starben. So wurden Jesse und John Wesley Hardin von hinten und Billy the Kid im Schlaf erschossen. Sie waren zwar Männer die in Stiefeln starben, da sie abrupt aus dem Leben gerissen wurden, aber der heroische Abgang wurde ihnen verwährt.

 

In JESSE JAMES, MANN OHNE GESETZ als auch DER SOHN VON JESSE JAMES ziert die Aufschrift „Home sweet Home“ das berühmte Bild, das Jesse an der Wand installierte, bevor sein Rücken die berüchtigte Bleikugel mit dem Absender Bob Ford in Empfang nahm. „Home sweet Home“ beschreibt jenes Ziel, nach dem Jesses Sohn sucht, um dort als Unbekannter ein friedliches Leben zu beginnen. Denn der Film vermittelt uns recht fix, dass der berühmte Name seines Vaters für Bill zu einem Fluch wurde. Folglich hat er diesen abgelegt und ist nun als Bill Smith auf der Suche nach einer neuen Heimat. Womit die zuvor prognostizierte wie allegorisierte Flucht vor der Vergangenheit allerklarste Konturen annimmt.

 

Die Neuankunft in einem kleinen Westernstädtchen schwört in den Western-Lichtspielen erfahrungsgemäß den üblichen Ärger für den Neuankömmling herauf. Davon bleibt auch Bill nicht verschont und schafft sich schnell Feinde für sein weiteres Leben. Macht der Neuankömmling mit guten Leistungen auf sich aufmerksam, schürt er zumeist die Missgunst des Platzhirsches. Und dieses Alphatier gibt es freilich auch bei DER SOHN VON JESSE JAMES. Er nennt sich Bruce und arbeitet als Vormann auf der Ranch von Dorothy. Die Rolle dieses missgünstigen wie zudem hinterhältigen und gesetzesuntreuen Zeitgenossen passt freilich bestens zu den Fähigkeiten eines Raf Baldassarre, der seinen Pflichten gewohnt souverän nachkommt und einhergehend meine Sympathien für seine Darbietung gewinnen konnte. Ein dito erfolgreicher Sympathienfang gelingt Mercedes Alonso als die selbstbewusste Rancherin Dorothy. Mercedes sieht sehr spannend aus und ich könnte sie mir in nahezu jedem südländischen Mantel- und Degenfilm als auch an der Seite von Michèle Mercier vorstellen. Neben dem IW-Stammpersonal wie genannter Raf Baldassarre sowie Luis Induni, Roberto Camardiel und José Canalejas können wir einen seltenen Genregast begrüßen, der bei seiner Genrestippvisite jedoch nicht das abrief, was er eigentlich drauf hatte und demgemäß wie schlussendlich ziemlich blass dasteht: Adrian Hoven. 

 

Die Flucht des Bill James vor der Vergangenheit liefert uns keine außergewöhnlichen Twists respektive Überraschungen. Demgemäß können wir früh abschätzen zu welchen Konfrontationen es kommen - und worauf das Sujet hinauslaufen wird. Von einer möglichen Glorifizierung des Jesse James oder einer revisionistischen Betrachtungsweise seiner Biografie nehmen die Filmverantwortlichen Abstand. Und auf die Frage wer denn Jesse nun wirklich war, antwortet sein Sohn salomonisch: „Er war mein Vater!“ Das sagt mehr als 1000 Worte. Denn die Aussage vermittelt, dass - zumindest dieses Mal - die Wahrheit vor der Legende steht!

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