La morte viene dal passato
Un urlo nella notte
Nine Guests for a Crime
Der begüterte Umberto reist mit acht seiner liebsten (wirklich?) Familienmitglieder auf seine Privatinsel, um der Bagage (das klingt treffender!) einen erholsamen Urlaub zu spendieren. Der Aufenthalt auf dem kleinen Inselparadies lässt sich freilich nicht gut an, da die Personen untereinander spinnefeind und darauf erpicht sind, möglichst viele seelische Grausamkeiten auszutauschen. Umbertos Söhne, Michele und Lorenzo, hassen sich, Töchterlein Patrizia schaut mit wachsender Begeisterung zu tief ins Glas und die attraktive junge Millionärsgattin, Julia, eine vormalige Prostituierte, hat weniger ihren Lustgreis als dessen Vermögen im Sinn. Während sich die Gesellschaft mit Ehebruch und einhergehender Hurerei die Minuten versüßt, geht plötzlich das große Sterben los, da ein unbekannter Killer die verkommenen Reihen dezimiert, sodass urplötzlich neben den abgrundtiefen Hass eine lähmende Angst tritt, die schon bald paranoide Ausmaße annehmen soll.
Erklingt bei entspannten Filmdiskussionen der Name Ferdinado Baldi, so schießen auch postwendend drei treffsichere Kugeln („Django, der Rächer“, „Django und die Bande der Gehenkten“, „Seine Kugeln pfeifen das Todeslied") aus den Läufen begeisterungsfähiger Genrefilmfans, welche Baldi zugleich im stiefelländischen Westerngenre festnageln. Dass diese Filme zur Sperrspitze der Schießopern zählen, mag ich jederzeit bekräftigen. Doch sollte man geachtet dieser Begeisterung nicht vergessen, dass die Abnutzungserscheinungen des Italo-Western spätestens ab 1969 kontinuierlich zunahmen. Baldi war allerdings ein guter Handwerker und konnte mit seinen Spätwestern „Blindman - Der Vollstrecker“ (1971) und „Time Breaker“ (1975), die wie Castellaris „Keoma“ etwas Außergewöhnliches besaßen, die lädierte Lackierung vorübergehend von ihren Riefen befreien, aber dann war definitiv („Alles fliegt dir um die Ohren“ außer Acht gelassen) Ende im Gelände! Somit kamen Plan B, C und D zum Einsatz, die auch gleich emsig an Baldis Polyvalenz appellierten, um fortan neue Methoden zu befruchten. Der ohnehin sachverständige Ferdinando Baldi, der in den 1960ern neben seinen Western auch einige (!) gute wie solide („Ein Schwert für den König“ ist sogar spitze!) Historienvehikel inszenierte, näherte sich somit den exploitativen Verfahrensweisen seiner Kollegen, bewies zu diesem Zweck sein auch außerhalb des Western-Genres erfolgreich wirkendes Händchen und kreierte zwei überaus sehenswerte Schmierlappen. Dank Camera Obscura erfreuen sich beide Filme eines mittlerweile größeren Bekanntheitsgrads innert der bundesrepublikanischen Genrefilmfankreise: Die Sleeze-Rakete „Horror-Sex im Nachtexpress“ sowie der rund drei Jahre zuvor fertig gestellte „Neun Gäste für den Tod“.
Um der Italo Cinema Collection von Camera Obscura auch innert der Besprechung treu zu bleiben, möchte ich den leicht chiffrierten Spoiler, der simultan zu unserem Filmeintritt in Ferdinando Baldis Insel-Giallo-Vehikel abgespielt wird, mit dem Eintritt in Romano Scavolinis „Spirits of Death“ vergleichen. In beiden Fällen werden wir mit einem Mord konfrontiert, der uns im weiteren Filmverlauf eindringlich beschäftigen soll. Um des Rätsels Lösung zu ergründen müssen wir eine Antagonistenansammlung inspizieren, die Jean-Paul Sartres „Geschlossene(r) Gesellschaft“ entsprungen sein könnte. Fast jeder hat seinen Liebling, mit dem er sich solidarisiert, um anschließend seine Miturlauber seelisch zu verletzen. Und sollte sich kein Verbündeter finden, da der oder die Betreffende eh zu keiner Gemeinsamkeit (Geschlechtsverkehr ausgeschlossen) fähig ist, dann funktioniert die auf Hass basierende Handhabe auch im Alleingang. Baldis Exposition lässt somit schlagartig schwarze Wolken am Horizont aufziehen und der Ausbruch des Unwetters scheint nur eine Frage von wenigen Minuten, denn der allegorische Waschlappen, der Sexprotz, die Nymphomanin, die Prostituierte, die Psychopatin und die Alkoholikerin sitzen von der Heimtücke angespornt ungeduldig in den Startlöchern. Demzufolge ist die gleich zu Beginn von der Schnapsdrossel Patrizia ausgesprochene Prophezeiung, „es wird etwas Schreckliches passieren und der eiskalte Hauch des Todes die Herzen gefrieren lassen“, nicht von der Hand zu weisen und nicht allein Patrizias Vorliebe für hochprozentige Getränke geschuldet.
Ergo überrascht es kaum, dass inmitten von Sex, Suff und einer Atmosphäre abgrundtiefen Hasses schon bald das erste Mordopfer registriert wird. Da es sich beim Handlungsort um eine Insel, also um ein von der Außenwelt ausgeschossenes Areal handelt, ist es übrigens egal, ob die Morde innerhalb oder außerhalb eines Gebäudes („Neun Gäste für den Tod“ offeriert beide Varianten) vollzogen werden. Denn trotz der Abstinenz eines Schlosses oder Landhauses sowie dem einhergehenden Unwetter und Wolfsgeheul, welches den Dezimations-Film im whodunnit-Gewand ab und an und wenn, dann mit Freuden begleitet, gestaltet es sich bei der zuvor umrissenen Konstellation unproblematisch, unter den Antagonisten eine gemeinschaftliche Angst mit paranoiden Begleiterscheinungen emporsteigen zu lassen. Diese, mit Start der zweiten Filmhälfte eintretende Atmosphäre kann den Hass, den die Personen untereinander hegen, zusätzlich steigern, sodass die Schuldzuweisungen inflationäre Ausmaße annehmen. Währenddessen hält sich die langsame Erzählweise unbeirrbar auf der rechten Autobahnspur, lässt die ungeduldigen Raser an sich vorbeirauschen und zeigt ihnen easy und entspannt den obligatorischen Mittelfinger. Überdies tickt die Zeit erbarmungslos weiter, und mit jeder verstrichenen Sekunde minimieren sich die Überlebenschancen der verhurten wie verkommenen Urlauber. Das im Gemeinschaftsraum platzierte Kugelstoßpendel schwingt hin und her und her und hin und lässt mit jedem elastischen Stoß einen rezidivierenden Ton erklingen. Tick… tick… tick… tick… tick… tick… -akribisch und unbeirrbar weißt die monotone Schwingkraft der Metallkugeln darauf hin…, dass in diesem Film zumindest einer richtig tickt!
Mit einem ebensolchen tick… tick… tick… tick… gab mir die Uhr im heimischen Wohnzimmer zu verstehen, dass die rund 90-minütige Laufzeit, die „Neun Gäste für den Tod“ für sich beansprucht, nahezu im Fluge verrauscht waren. Konfliktaufbau, Wendepunkte, Retardierungen - das passt ebenso wie die Links-Rechts-Kombination mit der Ali - 1974 - George Foreman zu Boden rammte und die Hauptstadt des ehemaligen Zaire und heutigem Kongo, Kinshasa, in den kollektiven Glückrausch beförderte. Kameratechnisch gibt es aus meiner Sicht ebenfalls nichts zu beklagen, denn Sergio Rubini kredenzt seinen Zuschauern, neben dem erwarteten Sleeze, schöne, an Urlaubsfotografie erinnernde, Bildkompositionen und setzt in den richtigen Momenten auf Low Key Fotografie.
„Eine Insel mit zwei Bergen und dem tiefen weiten Meer,
mit viel(en) Schlampen wie auch Greisen und noch mehr Geschlechtsverkehr.
Nun, wie mag die Insel heißen, ringsherum ist blutiger Strand,
jeder sollte einmal reisen in das böse Baldiland!“
Also, unbedingt kucken!
Neuste Kommentare
Gerald Kuklinski
26. Juli, 2022 | #
Danke für die Info :-)
Stephan
19. Juli, 2022 | #
Bezüglich der deutschen VHS: Keine Ahnung, ob's verschiedene Auflagen gibt, aber meine läuft 105 Minuten (wie die spanische DVD),...
Stephan
19. Juli, 2022 | #
Hallo Gerald,
falls Du von der geplanten Dorado-BD tatsächlich nochmal was hörst, wäre es toll, wenn Du es hier kund tust. Ich hab...
Jan
15. Februar, 2022 | #
@Richard: Ihr wurde aus dem Nichts heraus eine Weltkarriere zu Füßen gelegt, aber sie stand sich selbst im Weg. Guy Hamilton...
Thomas Hortian
21. Januar, 2022 | #
Gerade gesehen, in der neuen deutschen Synchro (die man als passend und deshalb gelungen betrachten kann), hat mir richtig gut gefallen....
Stephan
29. September, 2021 | #
"Adrian Hoven (...), der just in Berlin zusammen mit Schauspieler Michel Lemoine die Aquila Film gegründet hatte."
Mit Aquila hatte...