Der lange Schwarze mit dem Silberblick

Frankreich | Italien, 1972

Originaltitel:

Nonostante le apparenze... e purchè la nazione non lo sappia... all'onorevole piacciono le donne

Alternativtitel:

Al senador le gustan las mujeres (ARG)

O Deputado Erótico (BRA)

A su excelencia le gustan las mujeres (ESP)

Obsédé malgré lui (FRA)

The Senator Likes Women... Despite Appearances and Provided the Nation Doesn't Know (GBR)

Um Deputado Mulherengo (POR)

The Senator Likes Women (USA)

The Eroticist

Deutsche Erstaufführung:

18. April 1974

Regisseur:

Lucio Fulci

Inhalt

Manche Menschen hüten ein ganzes Leben lang ein delikates Geheimnis. So auch der etwas unscheinbar wirkende italienische Senator Giacinto Puppis (Lando Buzzanca). Dieser steht nicht nur als neuer Präsident der Republik zur Wahl, er hat auch eine (nicht nur in seiner Stellung) höchst unvorteilhafte Zwangsneurose: sieht er ein wohlgeformtes Hinterteil, muss er reflexartig zupacken. So auch bei einem Staatsempfang, wo er der soeben gelandeten Präsidentin der Republik Urania an den Allerwertesten greift, diese jedoch in der Menschenmenge den Übeltäter nicht klar ausmachen kann. Dies gilt allerdings nicht für zwei findige Journalisten, die Puppis Handgreiflichkeit sogar gefilmt haben und über diese höchst erstaunt sind, allerdings eher, weil Puppis längst den Ruf eines verkappten Homosexuellen innehat.

 

Es ist jedoch ein alter Schulfreund Puppis, Vater Lucion (Renzo Palmer), der den aufstrebenden Politiker mit Fotos der Tat aus seinem eigenen Beichtstuhl heraus erpressen will. Zuerst erbost über den Versuch ihn unter Druck zu setzen eilt Puppis nach Hause, kehrt jedoch bereits nach einer Nacht zu seinem falschen Freund zurück, um diesem Geld für eine versprochene Therapie zukommen zulassen. Jene soll durch einen deutschen Ordensbruder Lucions, Vater Schirer (Francis Blanche), vorgenommen werden, in dessen Kloster Puppis kurzerhand einzieht, nachdem sich sein Krankheitsbild immer mehr zu verstärken scheint und er bereits im Schlaf und auch am helllichten Tag von erotischen Traumbildern umringt wird.

 

Während der Senator in einer angekündigten, spirituellen Klausur also nach Seelenfrieden sucht, wittert man derweil im Vatikan Böses und auch der Geheimdienst bemüht sich längst darum, die Hintergründe des plötzlichen Verschwindens des Senators aufzuklären. Besonders der mächtige Kardinal Maravidi (Lionel Stander) sorgt sich um den Präsidentschaftsanwärter, ist dieser doch von der Kirche „gemacht“ worden und hat somit noch eine gewisse Bringschuld beim Klerus und der offenbar ebenso involvierten, allgegenwärtigen Mafia.

 

Als nur scheinbar geheilt aus dem Kloster zurück, beginnt für Puppis ein wahrer Kampf um Macht und Leidenschaft, wird er doch nun nicht nur von Kirche und Mob, sondern auch von der hübschen Schwester Delicata (Laura Antonelli) heimgesucht, der einzigen Nonne, die von ihm während seiner Zeit hinter Klostermauern nicht belästigt wurde und nun dieses Alleinstellungsmerkmal gern los werden möchte …

Review

Für viele wird Lucio Fulci wohl immer der Goremeister sein, der auf den ersten Blick ach so blutrünstige und (nicht nur) hierzulande übel beleumundete Streifen wie den legendären Zombie am Bimmelband oder den quakenden Schlitzer im Big Apple schuf.

 

Auch ich muss zugeben, mich im jugendlichen Wahn zuerst auf diese Feste der schwappenden, roten Körperflüssigkeit gestürzt zu haben, und erst einige Jahre später zunächst die äußerst veritablen Western (s. h. z. B. „Verdammt zu leben – verdammt zu sterben“ oder „Silbersattel“) dann die noch kostbareren Gialli (beispielshalber toll: „Sieben schwarze Noten“ oder der nun auch hier erschienene „Don’t Torture a Duckling“) des bärtigen Herrn für mich entdeckt zu haben.

 

Erst sehr viel später gelangte ich auch zu Fulcis Komödien, was auch daran liegen mag, dass diese in Deutschland nur sehr schwer bis gar nicht verfügbar sind. So stolpert man selbst als Eingeweihter nur zufällig über eine TV-Ausstrahlung des Regiedebüts „Jeder Dieb braucht ein Alibi“ des Meisters von 1959, besonders, wenn diese vom ausstrahlenden Regionalsender zu nachtschlafender Zeit platziert wurde.

 

In eben jenem Debüt „I ladri“ spielte der legendäre Komiker Totò die Hauptrolle, wenig später folgten weitere Komödien mit Adriano Celentano („Ein seltsamer Typ“) und dem Comedy-Duo Franco und Ciccio („Wir, die Trottel vom Geheimdienst“), auf die auch fast zur gleichen Zeit Mario Bava traf und das Ergebnis, „Dr. Goldfoot and the Girl Bombs“, wohl einer dessen seltsamsten Filme werden sollte.

 

1967 drehte Fulci die eher seichte Krimikomödie „Die Abenteuer des Kardinal Braun“ mit Heinz Rühmann in der Rolle des aufgeweckten Priesters und einem jungen Mann namens Lando Buzzanca als Kleinganoven Napoleone. Buzzanca hatte 1959 eine kleinere Rolle im aufsehenerregenden, Oscar gekrönten Remake von „Ben Hur“ übernommen und war dabei sich im, in Italien zu dieser Zeit höchst populärem, Komödiengenre einen Namen zu machen.

 

Seine Rolle war dabei meist die des virilen Machos, der aus seiner eher unbedeutenden Position in der Gesellschaft unter mitunter höchst ungewöhnlichen Umständen zu fliehen versucht. So befleißigt er sich z. B. als unscheinbarer Cellist in „Das nackte Cello“ von 1971 mit privaten Nacktbildern seiner Frau, schneller zu Ruhm und Popularität zu gelangen.

 

Durch diese Umstände wird klar, warum Fulci auch in „Der lange Schwarze mit dem Silberblick“ auf Buzzanca zurückgriff, der für die Rolle des obsessiven Po-Grabschers praktisch wie geschaffen war, und dem man auch die hohe politische Position, besonders im Gegensatz zu z. B. einem Adriano Celantano, gut abnehmen kann.

 

Wesentlich überraschender war hingegen wohl die Tatsache, dass dieser Film praktisch sofort nach seinem Erscheinen wieder von der Bildfläche verschwinden sollte und international nur in schwer verstümmelten Versionen (die deutsche VHS-Kassette bietet z. B. nur 81 von ursprünglich 101 Minuten) wieder das Licht der Welt erblicken sollte.

 

Schaut man sich den Film heute in seiner unzensierten Form an, so mag dies nur auf den ersten Blick verwundern, denn hinter der leichtfertigen Komödie, die auch nicht mit nackter Haut geizt, erkennt man bei genauerem Blick schnell eine gallige Satire, die die „heilige“ katholische Kirche ständig mit der in Italien scheinbar allgegenwärtigen Mafia gleichsetzt und zusammen mit dieser über Leichen geht, um politischen Einfluss zu gewinnen. Gegner des Klerus oder Personen, die dessen Machtbestreben oder dem des Mobs im Weg stehen, werden hier kurzerhand „heiliggesprochen“, was bedeutet, dass ihre gerade erkalteten Leichen als nur scheinbar wächserne Heiligenstatuen zu Anbetungszwecken in alle Welt verschickt werden. Solch Inhalt war im (nicht nur) damals zutiefst katholischen Italien natürlich recht brisant, hinzukommt die Darstellung eines sexuell anormalen Politikers – man bedenke, dass Bunga-Bunga-Partys zu dieser Zeit noch undenkbar waren und in weiter Ferne lagen.

 

Was heute von der Wirkung einer damals so heiklen Satire bleibt, ist eher gering. Filme, die vormals große Skandale auslösten, man nehme als Beispiele nur Monty Pythons „Das Leben des Brian“ oder „Der letzte Tango in Paris“, sind heute längst zum Mainstream geworden oder vom selben bereits wieder vergessen worden.

 

So wirkt auch „Der lange Schwarze mit dem Silberblick“ auf ein heutiges Publikum vermutlich eher bieder und etwas langatmig. Doch wer bereit ist auch mal zwischen den Zeilen zu lesen und sich in eine vergangene Epoche hereinversetzen kann, entdeckt hier eine für seine Zeit recht wagemutige, frivole Komödie, die es auf jeden Fall verdient hat, wiederentdeckt zu werden.

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