Der Fremde von Paso Bravo

Italien | Spanien, 1968

Originaltitel:

Uno straniero a Paso Bravo

Alternativtitel:

A Stranger in Paso Bravo

Los pistoleros de Paso Bravo (ESP)

Le Pistolero de Paso Bravo (FRA)

En fremmed i Paso Bravo (NOR)

Justa Vingança (PRT)

Deutsche Erstaufführung:

4. Juli 1975

Regisseur:

Salvatore Rosso

Inhalt

Paso Bravo ist ein Städtchen um das jeder friedliebende Zeitgenosse einen üppigen Bogen macht, denn Paso Bravo ist als Ortschaft des Schreckens verschrien. Eine Ortschaft in der die Kettenhunde des Despoten Acombar Erniedrigungen sowie Gewalt und Mord mit einer fortwährenden Genüsslichkeit zelebrieren und sich einhergehend bester Laune erfreuen. Ein Fremder, der eben in Paso Bravo eingetroffen ist, wird postwendend mit diesem Regelwerk konfrontiert. Der Unbekannte beugt sich vorerst dem fiesen Spiel und nimmt diverse Provokationen mit einer an Fatalismus grenzenden Gelassenheit hin. Doch auch er wird alsbald den Sargmacher zum Lächeln bringen, indem er eine Winchester die kompromissloseste aller Sonaten trällern lässt und analog gleich mehrere Häscher des Acombar zur Hölle schickt. Da sich besonders fieses Personal nicht allzu einfach rekrutieren lässt, will der Despot den Verlust seiner Schergen unverzüglich rächen. Doch der Fremde erweist sich als ein zäher Bursche, der sich bereitwillig auf ein Spiel mit dem Tod einlässt. Wer ist der ominöse Fremde, der doch sicherlich nicht grundlos nach Paso Bravo kam?

Review

Wer ein gutes Verhältnis zu Väterchen Geduld hat, dem werden diese Fragen freilich über kurz oder lang beantwortet. Wer allerdings mehr als drei Hände voll italienischer Western geschaut und ad interim Djangos wie Ringos und Sartanas Segen empfangen hat, der oder die lässt sich eh nicht hinters Licht führen und wird deutlich früher den Kippschalter zur ultimativen Raumaufhellung entdecken. Wenn das Ihrer Ansicht nach wie Sarkasmus klingt, dann befinden Sie sich, sofern Sie den klassischen Seeweg dem dito klassischen Holzweg vorziehen, auf dem falschen Dampfer. Sicher, der Film werkt nach den genreüblichen Formeln, aber das macht er in gefälliger wie sorgfältiger Manier.

 

Die Werkbezeichnung DER FREMDE VON PASO BRAVO verrät bereits einiges über die hinter dem Titel lauernde Filmhandlung. Ein Unbekannter reist per Postkutsche und anschließenden Fußmarsch in eine Ortschaft, die einen zweifelhaften Ruf besitzt. Jener Fremde trägt keine Waffe, trinkt keinen Whiskey, und will nach eigenen Angaben große Geschäfte abwickeln. Wer in den italienischen Westernlichtspielen der ersten Tugend folgt, besitzt nicht einmal die geringste Aussicht, um das anstehende, zumeist äußert bleihaltige Spektakel zu überleben. Folglich kann sich hinter einer solchen Konstellation nur eine vorübergehende Waffen-Abstinenz verbergen, welche über Racheambitionen, die in einer mehr oder minder weit zurückliegenden Vergangenheit wurzeln, hinwegtäuscht. Als Rachemotiv bietet sich der Verlust einer nahe stehenden Person (Ehefrau, Schwester, Tochter, Bruder oder Sohn) an. Dieser Verlust ist im Regelfall einem hinterhältigen Halunken geschuldet, der sich nach einem Mord oder einer sonstigen Schandtat sukzessive zu einem angesehenen Bürger oder zu einem gefürchteten Despoten entwickelt. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle besitzt dieser Tyrann nicht die augenblickliche Kombinationsfähigkeit, um den Fremden (der den Despoten urplötzlich bedrängt und die seit Jahren florierende Schreckensherrschaft ins Wanken bringt) richtig einzuordnen und ihn mit einer seiner einstigen Gräueltaten zu assoziieren. Sollte sein Widersacher, der Antiheld, nicht in einer Rachemission unterwegs sein, dann ist sein Erscheinen der finanziellen Bereicherung geschuldet. Die italienischen Antihelden handeln bekanntlich aus Eigeninteresse, sie beseitigen Tyrannen und ihre Häscher, um ihre persönlichen Missionen zu erfüllen und nicht um - wie es der amerikanische Westerner so häufig praktiziert - der Allgemeinheit sowie dem Gesetz zu dienen.

 

Der Mikrokosmos, Paso Bravo, in den der vorerst unbewaffnete Fremde einritt, wird von Acombar regiert wie tyrannisiert. Dessen Sohn Jackie genießt alle Freiheiten, welche ihm kraft der uneingeschränkten Machtstellung seines Erzeugers feilgeboten werden. Folglich inszeniert der innig in sich selbst verliebte Despotensohn jegliche (von ihm praktizierten) Erniedrigungen als ein Kollektivevent, was die Stimmung bei seinem Publikum, das sich meistenteils aus den Lumpenhunden seines Vaters zusammensetzt, unweigerlich aufhellt.

 

Ich verwende den Begriff Lumpenhunde ja sehr häufig, weiß allerdings nicht: Von wem dieser Begriff kreiert wurde respektive welchen Ursprung die Begrifflichkeit besitzt und was genau hinter ihr steckt. Im Filmkontext fallen mir die alten US-B-Western ein. Dort nannte man die Schergen des Bösewichts gelegentlich dog-heavys, da sie (um unmissverständlich klar zu machen, was für fiese Kerle sie doch sind) nach einem braven Hund, der zufällig in ihrer Nähe gemütlich vor sich hin döste, traten. Richtig derbe geht im Kontext Hundemisshandlung einer der ohnehin zahlreichen Psychopathen, die innert IL NERO ihr Unwesen treiben, ab - mein lieber Herr Gesangsverein! Von diesem Typen sind die Lumpenhunde von Paso Bravo zwar noch immens entfernt, aber sie besitzen fraglos das Zeug, um als würdige dog-heavys sämtliche Wauwaus des Wilden Westen ins Bockshorn zu treiben.

 

Ihr Kontrahent, der von Anthony Steffen mit gewohnt starrer Mimik gespielte Fremde von Paso Bravo, setzt auf die Tugend der Geduld. Der Fremde wartet ab, sucht nach sicheren Wegen und hält kraft dieser Taktik auch die Spannung aufrecht, denn vieles bleibt lange Zeit in der Schwebe, sodass der Rezipient zum Rätseln animiert wird. Ja, natürlich kann (was ich bereits eingangs ansprach) jeder einigermaßen sattelfeste IW-Fan die Lösung nach kurzer Zeit abschätzen, aber es gibt halt Details, die dezent auf ihre Enkodierung warten. Eine Strategie, die mich etwas an ein Gemälde von Renoir erinnert: „Das Frühstück der Ruderer“. Denn Auguste hat in diesem seinem Kunstwerk die Seine in den Hintergrund gemalt, sodass der nordfranzösische Wasserlauf manch Bauerntölpeln gar nicht auffallen mag, da sie primär auf die dürstenden Blicke der Frauen achten.

 

DER FREMDE VON PASO BRAVO wurde erstmals 1975, also sechs Jahre nach seinem italienischen Kinostart, in der Bundesrepublik uraufgeführt. Als Verleih agierte der eher weniger bekannte Kora Filmverleih. Der Bekanntheitsgrad des Verleihs sagt freilich nichts über die Güteklasse ihres Programms aus, denn dieses hat es faustdick hinter den Ohren und offeriert den Anhängseln von Sleaze und Rambazamba manch herzerfrischende Schmuddel- wie Asozialen-Perle. Kora hat z.B. den zweiten Film der drei Titel umfassenden BRIGADE MONDAINE-Reihe, DIE SEKTE, sowie die Schmuddelprinzessinnen AFRICA EROTICA und DIE NACKTE VON SADOS verliehen. Auch einige Asia-Klopper (DIE KILLERKRALLE, WONG SUN – HERR DER 1000 FÄUSTE), Nunploitation (DAS SÜßE LEBEN DER NONNE VON MONZA) und der tolle Western DIE SICH IN FETZEN SCHIEßEN sind Bestandteile ihres vorzüglichen Verleihprogramms. Warum ich das schreibe? Weil ich ab und an halt gern an die schöne alte Zeit erinnere, in der die Lichtspielhäuser zuhauf mit herrlich schmierigen Filmstoffen, die von Zeit zu Zeit auf Festivals (TERZA VISIONE vom 25.-29.08.2021 in Karlsruhe, DELIRIA ÖVER FREIBURG vom 07.10. bis 09.10.2021 im schönen Breisgau) sowie innert der Filmclubs (BUIO OMEGA, jeden dritten Samstag im Monat) ihre analoge Wiederbelebung erfahren, bereichert wurden.

 

 

Fazit: DER FREMDE VON PASO BRAVO stellt sich als ein sorgfältig inszenierter Italo-Western vor, dessen Narrative den Rezipienten step-by-step über die Ambitionen eines fremden Vergeltungssuchenden aufklärt, sodass wir von der ersten bis zur letzten Minute erfolgreich in das Geschehen eingebunden werden. Für den hauptsächlich als Regieassistent tätigen Salvatore Rosso war es wohl die einzige Arbeit als hauptverantwortlicher Regisseur - schade - denn gemessen an seinem Debüt hätte er gern noch ein paar Inszenierungen nachlegen können.

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