Casanova '70

Frankreich | Italien, 1965

Alternativtitel:

Casanova 70

Deutsche Erstaufführung:

17. September 1965

Regisseur:

Mario Monicelli

Kamera:

Aldo Tonti

Inhalt

Eine in die Gegenwart verlegte Variante der Casanova-Geschichte, die einen Haken hat: Casanova »kann nicht«.

 

Monicelli präsentiert uns seine Charaktere in skurriler Schräglage und an den schönsten Orten Europas. Und so nimmt das Geschehen in Paris, der Stadt der Liebe, seinen Ursprung. Major Andrea Rossi-Colombotti (Mastroianni) ist dort bei einer NATO-Stelle stationiert. Die Frauen umschwärmen ihn regelrecht, doch er scheint nie so recht in Stimmung zu kommen. Seine aktuelle Flamme Noelle (Michèle »Angélique« Mercier) verdächtigt ihn der Impotenz, und er sucht Rat bei einem Psychoanalytiker (köstlich: Enrico Maria Salerno), der ihn bezüglich der befürchteten Impotenz zwar beruhigen kann, zugleich aber die wenig erfreuliche Diagnose stellt, dass Andrea eine Frau erst unter höchster Gefahr reizvoll findet. Schließlich rät er ihm pfiffigerweise, sich künftig jeglicher Frauenbekanntschaften zu enthalten, damit er keine unnötigen Risiken eingeht. Was ist der sicherste Weg, jemanden zu einer Tat zu bewegen? Sie ihm verbieten. Und so steigt der Major in einem Zirkus zu einer Löwendompteuse (Liana Orfei) in den Käfig und verführt die Gattin eines Vorgesetzten, der ihn daraufhin nach Sizilien versetzt, wo er die bildhübsche Thelma (Mell) trifft, die mit einem extrem eifersüchtigen Grafen (Marco Ferreri) verheiratet ist. Colombotti vereinbart mit ihr ein Rendezvous, doch als sie nicht auftaucht, macht er sich über eine junge Braut her, die von ihrem Verlobten verschmäht wurde, weil sie angeblich keine Jungfrau mehr sei. Von ihrer bewaffneten Familie verfolgt, stürzt er mit seinem Wagen eine Klippe hinab. Später belauscht er einige abergläubische Männer, die sich über eine Fußpflegerin (Moira Orfei) unterhalten: Mehrere Männer, die mit ihr Sex hatten, sollen hinterher gestorben sein. Ohne Umschweife macht sich Colombotti auf den Weg zu ihr, wird jedoch enttäuscht, als sie ihn aufklärt, dass es bei mehreren tausend Männern statistisch nicht ungewöhnlich sei, dass ein paar davon sterben.

 

In Vicenza trifft er bei einer Kunstauktion zufällig wieder auf Thelma, die in Begleitung ihres Gatten ist. Weil dieser seine junge Frau aufs Strengste bewacht, ist es für Colombotti und Thelma unmöglich, alleine zu sein, doch da der Graf taub ist, haben sie keine Hemmungen, in seiner Anwesenheit heiß zu flirten. Schließlich gibt sich Colombotti als Kunsthändler aus und wird vom Grafen auf dessen Schloss eingeladen. Nach einem heißen Tänzchen verabreden Thelma und er, eine riesige Steinkugel, die zum Balkongeländer gehört, anzusägen und auf den Grafen fallen zu lassen. Auf diese Weise könnten sie endlich zusammen sein. Doch so einfach, wie die beiden Turteltauben sich das vorgestellt haben, ist die Sache nicht, denn der Graf ist keineswegs taub. Hellhörig und argwöhnisch hat er den Plan mitbekommen und will nun seinen Hausgast in die ihm geltende Falle locken. Das geht gehörig schief, am Ende wird der Graf doch das Opfer, und Colombotti wird vor Gericht gestellt, wo seine Verflossenen über ihn aussagen müssen. Er rechtfertigt sich, dass er den Nervenkitzel gebraucht habe, weil die modernen Frauen so aufgeschlossen und zu schnell zur Hingabe bereit seien. Daraufhin wird er freigesprochen und heiratet — scheinbar geheilt — die süße Gigliola (Lisi).

Review

Mario Monicelli, einer der populärsten Filmkünstler Italiens und ein wahrer Grandseigneur: 1915 als Sohn des Journalisten und Theaterkritikers Tommaso Monicelli in der Toskana geboren, hatte er zunächst Geschichte und Philosophie studiert, bevor er 1936 als Regieassistent zum Film kam. Als Filmkritiker und Amateurfilmer hatte er bereits langjährig Erfahrungen gesammelt, als er 1942 sein erstes Drehbuch schrieb. Mit »Al diavolo la celebritá« (1949) debütierte er schließlich als Regisseur. Im Laufe seines Schaffens wurden drei seiner Filme in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film für einen Oscar nominiert, 1957, 1976 und 1982 gewann er bei der Berlinale den Silbernen Bären, 1991 wurde er in Venedig mit einem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk geehrt. Monicelli war Atheist, und sein philosophisch gebildeter Hintergrund schlug sich in vielen seiner Drehbücher nieder. Er gilt als Begründer der Commedia all’Italiana, seine Bildästhetik wurde Wegweisend für die italienische Populärkultur. Unglücklicherweise erreichte er in Deutschland nie den Bekanntheitsgrad Kollegen De Sica, Fellini oder Visconti. 1962 inszenierte er die erste der vier Episoden des frivolen, von Carlo Ponti produzierten Klassikers »Boccaccio 70« (mit Marisa Solinas und Germano Giglioli), doch leider wurde gerade sein Beitrag für den internationalen Verleih herausgeschnitten, da der Film mit einer ursprünglichen Gesamtlauflänge von 210 Minuten als dem Publikum nicht zumutbar eingestuft wurde. Insgesamt schrieb er nicht weniger als 110 Drehbücher, sein Werk als Regisseur umfasst über 65 Spielfilme, den letzten drehte er 2008 im Alter von stolzen 93 Jahren. Am 29. November 2010 nahm sich Mario Monicelli 95jährig das Leben: Er sprang aus einem Fenster des Krankenhauses San Giovanni in Rom, nachdem bei ihm Prostatakrebs diagnostiziert wurde.

 

»Casanova 70«, vom »Lexikon des internationalen Films« als despektierlich als »Sexfilm« eingestuft, entsprang ganz und gar dem Geist der Mittsechziger — in Frankreich entstand praktisch zeitgleich (von England und den USA produziert) die thematisch und ästhetisch ganz ähnlich gestrickte Farce »What’s New, Pussycat?«, in der Clive Donner mit Capucine, Paula Prentiss, Romy Schneider und Ursula Andress einige der schönsten Frauen der Filmwelt auftreten und einen wahren Schaulauf absolvieren ließ. Monicellis Komödie, ungleich geistreicher als Donners Streifen, wartet mit Virna Lisi, Michèle Mercier und Marisa Mell in den weiblichen Hauptrollen auf.

 

»Il Giorno« nannte »Casanova 70« in seiner Kritik »lustig, abwechslungsreich und elegant«, und »La Stampa« lobte, der Film »demontiere gekonnt den Mythos des Verführers«: »Ständig wechselnder Hintergrund, ein ständiger Wechsel schöner Frauen, ein bewährter sympathischer Schauspieler […], die leichte Hand und der häufig spürbare Witz des Regisseurs machen daraus ein angenehmes und bissiges Schauspiel.« – Der deutschen Presse indes war die Posse »zu oberflächlich« (»Der Spiegel«), der »katholische film-dienst« sprach von einer »Sexualposse« und einem »völligen Irrweg«. Die Zeitschrift »Filmkritik« meinte immerhin, dass »etwas Akzeptables« entstanden sei. Im Spiegel der Weltpresse standen diese zickigen Urteile jedoch ziemlich alleine da; vor allem in den USA wird »Casanova 70« heute längst als Klassiker gehandelt und zu Monicellis Meisterwerken gerechnet.

 

Im Titelvorspann erscheint Marisa Mells Name an dritter Stelle — Virna Lisi hatte sich damals in Italien bereits als Star etabliert und wurde dementsprechend direkt nach Mastroianni genannt —, doch sie ist, gemessen an ihrer on-screen time, die eigentliche Hauptdarstellerin von »Casanova 70« — und was für eine! Ihre Präsenz lässt den Atem stocken. Nach 40 Minuten tritt sie zum ersten Mal auf, am Flughafen von Palermo: tiefrotes Kleid, gigantischer schwarzer Hut. Und obwohl sie einer Trauerfeier beiwohnt — einem ihrer Liebhaber war durch manipulatives Eingreifen ihres Ehemannes eine Jagdflinte in der Hand explodiert —, liegt in ihrem Blick etwas Schelmisches. Für sie hatte sich Couturier Giulio Coltellacci einige phantasievolle Besonderheiten einfallen lassen, und so ist sie später unter anderem in einem perlenbesetzten weißen Abendkleid, bei dessen Anblick das Publikum in Ahhhs und Ohhhs ausbrechen sollte, nebst passender Kopfbedeckung zu bewundern. Eine stilvolle, durch und durch italienische Erscheinung. Neben Mastroianni läuft sie zu komödiantischer Hochform auf, es ist eine Wonne, den beiden zuzusehen. So sah es auch das italienische Publikum: 1966/67 waren noch zwei weitere Filme mit dem Gespann Mastroianni/Mell geplant, die dann allerdings doch nicht zustande kamen.

 

Monicelli hatte mit »Casanova 70« in jeder Hinsicht großes Glück. Produzent Carlo Ponti ließ seinem Film alle Sorgfalt angedeihen, die er sich leisten konnte. Dafür holte er die Crème de la Crème der Industrie an Bord: Kameramann Aldo Tonti, ein 1 Meter 58 kleines Temperamentbündel, galt damals als einer der Virtuosen der Filmkunst und war ein viel beschäftigter Mann, verantwortlich unter anderem für John Hustons Reflections in a Golden Eye oder »Barabbas« (Regie: Richard Fleischer). Bei seinen Wutanfällen neigte Tonti dazu, Grasbüschel auszureißen und sie sich in den Mund zu stopfen. Die ausgefeilte Farbdramaturgie von »Casanova 70« geht auf sein Konto, besonders die wunderschönen, leicht blaustichigen Nachtaufnahmen sind erwähnenswert. Sein Assistent war kein Geringerer als Luigi Kuveiller, der spätere Stamm-Kameramann von Regiegrößen wie Elio Petri oder Dario Argento. Für die Musik engagierte man Armando Trovajoli, der vor allem durch seine Arbeiten für De Sica bekannt geworden war.

 

Die Mühen lohnten sich: Der Erfolg des Streifens schlug sich neben einer Oscarnominierung und weiteren Prestige-Filmpreisen auch an der Kinokasse nieder: mit einem Einspielergebnis von umgerechnet 3,1 Millionen US-Dollar war »Casanova 70« einer der erfolgreichsten italienischen Filme des Kinojahres 1965, und die Hauptdarstellerin Mell avancierte mit ihrer Kombination aus Schönheit, Sinnlichkeit und Humor zur Entdeckung der Saison. Gewieft, wie sie war, zog sie ihre Konsequenz: Nachdem sie ihre noch offenen Vertragsverpflichtungen in Frankreich erfüllt hatte, siedelte sie endgültig nach Rom über. Die Jahre des Zigeunerns waren vorbei, die Wahl-Italienerin hatte — nicht nur — ihr künstlerisches Zuhause gefunden.

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