Die Unschuld

Frankreich | Italien, 1976

Originaltitel:

L'innocente

Alternativtitel:

El inocente (ESP)

L'innocent (FRA)

O Intruso (POR)

The Innocent

The Intruder

Deutsche Erstaufführung:

03. März 1977

Regisseur:

Luchino Visconti

Inhalt

Der Aristokrat Tullio Hermil (Giancarlo Giannini) lebt mit seiner Frau Giuliana (Laura Antonelli) zusammen, die für ihn jedoch nicht viel mehr als die Erfüllung eines gesellschaftlichen Zwangs darstellt. Er sieht sich selbst als freien Lebemann und stellt dies mit zahlreichen Affären unter Beweis. Seine neueste Eroberung ist Teresa Raffo (Jennifer O’Neill), die ihm in ihrem Denken und Handeln sehr ähnlich scheint. Sie lebt ihre Begierden ebenfalls recht offen und frei aus. So wird diese Beziehung für Tullio mehr als nur eine Affäre.

 

Dies teilt er auch seiner Frau mit und lässt ihr die Wahl ob sie die Ehe dennoch weiter führen will als seine Vertraute und Schwester des Respekts. Giuliana willigt ein macht aber ihrerseits die Bekanntschaft des Schriftstellers Filippo d’Arborio (Jean Sorel). Tullio reagiert plötzlich mit Eifersucht, bricht seine Beziehung zu Teresa Raffo ab und versucht seine Frau zurück zu gewinnen. Doch die ist schwanger, und Tullio ist sich sehr bewusst, dass das Kind nicht von ihm sein kann.

Review

Gabriele D’Annunzio (1863 – 1938), Dichter des Fin de Siècle und ein später Vertreter des Symbolismus, schrieb die Romanvorlage für Viscontis letzte Regiearbeit im Jahre 1892. Um Viscontis Interpretation und die an der Romanvorlage vorgenommenen Veränderungen zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, dass D’Annunzio sich selbst als Anhänger von Friedrich Nietzsches Herrenmenschen-Ideologie sah. In späteren Jahren ließ sich D’Annunzio gar als Ideengeber der Mussolini-Faschisten feiern und von ihnen finanziell aushalten – ohne sich jemals selbst ausdrücklich zu deren Ideologie bekannt zu haben.

 

Obwohl Luchino Visconti bereits 1974 bei „Gewalt und Leidenschaft“ ein paar Budgetrestriktionen von Seiten des Produzenten Giovanni Bertolucci unterlag – der damals zweifelte, ob Visconti aufgrund seiner schweren gesundheitlichen Probleme den Film beenden könne – finanzierte Bertolucci auch Viscontis letztes Werk „L’Innocente“, der Unschuldige, was etwas mehr Sinn ergibt als die etwas irreführende deutsche Fehlübersetzung „Die Unschuld.“ Denn der Hauptprotagonist Tullio Hermil hat ein recht abscheuliches und ungesühntes Verbrechen begangen und will seiner Zuhörerin Teresa Raffo mit seiner Erzählung der Ereignisse beweisen, dass er über seiner Tat steht und keine Reue empfindet.

 

Visconti verleiht der Romanvorlage eine Neuinterpretation und drückt ihr seinen unverwechselbaren Stempel auf. Zum Ausgangspunkt wird mal wieder der Verfall der Aristokratie, und schon in der Eröffnungsszene wird dies sehr deutlich. In einer typischen Salonszene - Aristokraten und andere Wohlhabende, die sich im Haus der „Prinzessin“ (Marie Dubois) versammelt haben – treffen wir auf Männer, denen es schwer fällt, das dem Umfeld entsprechende Format an den Tag zu legen. Eine scherzhafte Bemerkung des Grafen Stefano Egano (Massimo Girotti) zeigt dies sehr deutlich, denn er spricht von Männern, die diese Treffen nur besuchen, um die Frauen (nicht nur) zu betrachten, und dafür mit dem Anhören klassischer musikalischer Darbietungen sühnen müssen. Es kommt zudem zu einer peinlichen Szene, denn Hermil verlangt von Tullio, umgehend mit ihr zu kommen, obwohl Tullios Frau Giuliana anwesend ist. Zwar scheint jeder – einschließlich Tullios Frau – ohnehin von der Affäre zu wissen, aber mehr schlecht als recht sucht man dennoch einen gewissen Schein zu wahren. Vergeblich.

 

Der Hauptprotagonist Tullio – dargestellt von Giancarlo Giannini – bietet die Grundlage für ein weiteres wichtiges Thema des Films, nämlich die Verlogenheit des männlichen Chauvinismus. Tullio lebt sein Leben nach seinen Vorstellungen, betrügt offen seine Frau, doch als sie später Gleiches tut, kommt er gar nicht damit klar. Geplagt von Eifersucht versucht er seine Frau zurück zu gewinnen, bricht gar die Beziehung zu seiner Geliebten ab. Hier haben einige Kritiker meiner Ansicht nach eine Fehlinterpretation abgeliefert, wenn sie meinen, Tullio sei seiner Frau zum ersten Mal in Liebe zugetan oder habe plötzlich seine Liebe zu ihr entdeckt. Das passt so gar nicht zu ihm. Es ist die Eifersucht und der Besitzdrang, der ihn quält. Vielleicht hat man damals einfach versucht, etwas Positives in Tullios Charakter zu entdecken, aber wie gesagt, das passt nicht zu ihm. Zunächst richtet sich seine Eifersucht gegen den Rivalen, den Schriftsteller D’Arborio, doch als der nach einer schweren Krankheit stirbt, hat Tullio als einzig verbliebenes Ventil nur noch das ungeborene Kind seiner Frau, auf das sich seine Eifersucht richten kann.

 

Mit Laura Antonelli und Jennifer O’Neill hat Visconti gleich zwei interessante Entscheidungen in punkto weiblicher Besetzung getroffen. Hier beginnt Visconti auch von der Romanvorlage deutlich abzuweichen. Antonelli spielt Tullios leidende Ehefrau Giuliana trefflich und muss einiges von ihrem Ehemann ertragen. So erklärt Tullio ihr seinen tiefen Respekt für sie und sie sei für ihn wie eine Schwester, um ihr dann von seinen emotionalen Problemen mit seiner Geliebten zu berichten. Doch während in D’Arborios Romanvorlage die Figur der Giuliana ausschließlich aus einer leidenden, schweigend hinnehmenden Ehefrau besteht, entwickelt Antonelli – nach Drehbuchvorlage – mehr Substanz und Eigencharakter, besonders zum Ende hin. Man fragt sich im Nachhinein gar, wann sie eigentlich wirklich damit begonnen hat, ihrem plötzlich in scheinbarer Liebe zu ihr erblühten Gatten etwas vorzuspielen, um ihr ungeborenes Kind vor ihm zu schützen.

 

Ebenfalls ganz anders als in der Romanvorlage ist bei Visconti die Figur der Teresa Raffo, dargestellt von Jennifer O’Neill. Im Roman ist sehr viel von Tullios Geliebten die Rede, persönlich taucht sie jedoch nur selten auf. Visconti dagegen stellt mit dieser Figur Tullio einen emanzipierten weiblichen Counterpart entgegen, der mit der Rolle des freien und ungezwungenen Lebens wesentlich besser zurecht kommt, als die männliche Figur. Tullio zerbricht letztendlich an seinem Machismo, und am Ende der Geschichte lässt Visconti diesen „überlegenen Herrenmenschen“ an seiner Schuld scheitern. Was man durchaus als eine persönliche Abrechnung mit dem späteren Lebensweg des Autors der Romanvorlage interpretieren kann.

 

Stilistisch inszeniert Visconti seinen letzten Film mit der gewohnten Liebe zum Detail. Sorgfältige Ausstattung und farbige Dekors, weiche Kameraführung, und neben der berührenden Musik von Franco Mannino spielt Klassik wie immer eine Rolle, wenn auch in weniger tragendem Maße, wie in einigen vorangegangenen Visconti-Werken, etwa „Tod in Venedig“ (1971) oder „Ludwig II.“ (1973). Keineswegs neu - aber hier sehr stark präsent - ist eine gewisse Gefühlskälte in der Inszenierung, die wohl der Vorlage und deren Figuren geschuldet ist.

 

Visconti starb nur wenige Wochen nach Fertigstellung der Dreharbeiten, noch während der Endmontage des Films.

 

Eine letzte Anmerkung würde ich gerne noch loswerden, nämlich in Richtung Hans C. Blumenberg, der 1977 die Kritik zum Film für „Die Zeit“ schrieb. Es mag ja sein, dass Giancarlo Giannini hier gegen sein Temperament anspielen musste, aber „Besetzungsprobleme“ sehe ich hier keine. Und Helmut Berger und Charlotte Rampling sind mit Sicherheit großartige Schauspieler, trotzdem mag ich „Die Unschuld“ so wie er ist – nämlich mit Giancarlo Giannini und UNBEDINGT mit der wunderbaren Laura Antonelli.

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