Schreie in der Nacht

Deutschland | Italien, 1969

Alternativtitel:

Contranatura (ESP)

Contronatura (ITA)

Screams in the Night (Int.)

The Innaturals (Int.)

Deutsche Erstaufführung:

30. Mai 1969

Inhalt

Wegen eines starken Unwetters bleibt eine Gruppe der Londoner High Society mit ihrem Wagen im Schlamm stecken. Der wohlhabende Archibald Barret (Giuliano Raffaelli) und sein Partner Ben Taylor (Joachim Fuchsberger) führen wichtige Dokumente mit sich, die ihm am nächsten Tag beglaubigt werden, und eine große Erbschaft garantieren sollen. Da das Fahrzeug jedoch festsitzt, begeben sie sich auf die Suche nach einem Unterschlupf und man findet sich in einem alten Jagdschloss wieder, wo sie anscheinend erwartet werden. Uriat (Luciano Pigozzi) lädt die Gesellschaft zu einer spiritistischen Sitzung ein, deren Medium seine Mutter (Marianne Leibl) darstellt. Die alte Frau beginnt plötzlich über Details aus der Vergangenheit der Gäste zu sprechen, bis dunkle Geheimnisse ans Tageslicht kommen. In ihrer Mitte soll sich nämlich ein Mörder befinden. Eine Nacht die einem Alptraum gleicht, beginnt...

Autor

Prisma

Review

Aus persönlicher Sicht stellt Antonio Margheritis "Schreie in der Nacht" einen sehr faszinierenden cineastischen Exkurs dar, was vermutlich daran liegt, dass mehrere beliebte Genres eine beeindruckende Allianz untereinander eingehen. Vom Eindruck, vom Ergebnis und von den transportierten Emotionen her stellt sich schließlich schon die Frage, warum es sich um einen Film handelt, der zu seiner Entstehung vollkommen verhalten aufgenommen wurde. Sicherlich gibt es dafür mehrere Gründe, doch im Grunde genommen ist die einfachste Erklärung im größten Vorzug des Films zu finden, nämlich dass die anwesenden Darsteller Reihenweise mit atemberaubenden Interpretationen aus ihren üblichen Schablonen ausbrechen. Dies dürfte global gesehen die ultimative, vernichtende Blockade gewesen sein, denn selbst 1969 war man wie es scheint noch nicht ohne Abstriche dazu bereit, die diskrete Progressivität des Films wahrzunehmen und anzuerkennen. Dass Margheriti sich gängiger Plot-Fragmente bediente, ist auf die Zeit bezogen mehr als nachvollziehbar, doch dass man sich neben aller Vertrautheit nicht genierte, Grenzen zu ignorieren, um sie zu überschreiten, ist hier sehr hoch anzurechnen. Um die Stärken der Produktion wahrzunehmen, sollte man sich nicht auf die verkappte Giallo-Schiene leiten lassen, das gibt der Film nicht her, das möchte er auch nicht darstellen. Seine übernatürlichen Elemente sollte man lediglich als Spiegel deuten, der immer wieder die Realität vorhalten wird, ja, und das Krimi-Prinzip kann einer wirtschaftlichen Orientierung zu Gute gehalten werden. "Schreie in der Nacht" ist letztlich kein Meisterwerk, dafür blieb man trotz aller Provokation in zu sicherem Fahrwasser, aber ein Film in der persönlichen Besten-Liste braucht auch keine lückenlose Rechtfertigung.

 

Margheritis Beitrag wirkt vor allem wegen des mutigen Einsatzes seiner Darsteller faszinierend. Wenn man hier jemanden zuerst betrachten will, muss das unbedingt Marianne Koch sein. Die zu diesem Zeitpunkt fast vierzigjährige Deutsche befand sich so gut wie am Ende ihrer Karriere, und es ist sehr anerkennungswürdig, dass man sie zu dieser Zeit noch in alternativen Rollen, fernab ihres bestehenden Images sehen konnte. Koch war für mich persönlich als Schauspielerin eigentlich immer eher unauffällig, weil sich ihre Typisierungen dem Empfinden nach stets ähnelten: Die Über-Verlässliche, die moralisch Einwandfreie, die Konservative und vor allem "Die Landärztin". Betrachtet man ihre Leistung in "Schreie in der Nacht", ist es in vielerlei Hinsicht kaum zu fassen, welche Wandlungsfähigkeit und Charaktertiefe sie unter Beweis stellt. In diesem Zusammenhang wirkt diese Interpretation absolut beispiellos, man darf darüber philosophieren, welche Kapazitäten über all die Jahre verschenkt wurden. Marianne Kochs Vivian wird als Frau integriert, die zunächst einen seriösen Eindruck macht. Sie hat Stil, sie ist kultiviert. Schnell stellt sich aber heraus, um welch zerrüttete und zutiefst einsame Frau es sich handelt. Die exemplarischen Veranschaulichungen in Rückblenden zeigen ihren aussichtslosen Kampf gegen ihre Neigung für junge, attraktive Damen, an der sie in fataler Weise scheitern wird. Aus Zurückhaltung wird Interesse, aus Gier wird Manie und aus Affekt wird Schuld. Marianne Koch bekam im Film viele Nahaufnahmen, die Zooms konzentrierten sich auf ihre kraftvollen, fixierenden Augen, die wortlos und präzise das Spektrum der Gefühlszustände schildern. Ein Erlebnis! Wenn Vivian an die Zweisamkeit mit ihrer Freundin Elisabeth zurückdenkt, entstehen wunderbare Traumsequenzen. Nahezu choreografische, langsamste Bewegungen, die Kleider flattern in einem Hauch von Wind, die wunderbare Musik von Carlo Savina im Hintergrund, die angedeuteten Berührungen der Lippen, die Kamera verliert sich in Andeutungen, der Zuschauer spielt diese zu Ende. Dann schießt immer wieder die Realität ein. Vivian sucht nach Zuneigung, möchte andere aber zur Liebe zwingen. Für ihre Verhältnisse ein wohl einmaliges Spektakel, im Gegensatz zu ihren Partnerinnen Helga Anders und Dominique Boschero, die mit derartigen Aufgaben durchaus vertraut waren.

 

Die Französin Dominique Boschero ist hier wirklich umwerfend. Ihre Margarete arbeitet sich, andeutungsweise aus einem bestimmten Metier stammend, zielstrebig nach oben, und wird Vivians Objekt der Begierde. Im Verlauf kommt es zu erbittertem Widerstand seitens Margarete, und zu unerbittlichen Forderungen seitens Vivian. Das ganze gipfelt in einem visuell und vor allem darstellerisch hoch prägnanten Showdown. Helga Anders als Elisabeth wird im Szenario als Auslöser einer Kettenreaktion offeriert, sie ist eine lebenshungrige und eigentlich rücksichtslose, in langweiliger Ehe stehende junge Frau, die hauptsächlich verführerisch, mit halboffenem Mund und aufforderndem Blick zu begutachten ist. Die knisternde Erotik wird demnach nicht neu erfunden, aber sie bekommt fesselnde Gesichter. Dominique Boschero ist in dieser Beziehung mit von der Partie und die Erotik-Einlagen wirken unter der Beteiligung von Marianne Koch zunächst absolut grotesk. Die Besetzungsliste wird von Joachim Fuchsberger angeführt, nicht etwa als Ermittler oder sympathischen Helden, nein, er darf sich hier seltener Ambivalenz bedienen und macht seine Aufgabe in dieser, für ihn ungewohnten Rolle, sehr gut. Ben Taylor erlebte einen beruflichen Abstieg und ist nur noch Lakai seines ehemaligen Geschäftspartners, sein Zuständigkeitsbereich ist die Drecksarbeit. Die Beziehung zu seiner Frau Vivian ist oberflächlich und zeichnet sich durch unterschiedlichste Erwartungshaltungen aus. Vivian soll in jeder Beziehung nur verfügbar sein und auf Abruf bereit stehen. Affären und nebeneinander her leben sind an der Tagesordnung. Am Ende des Films bekommt man schließlich von Joachim Fuchsberger noch eine im denkwürdige Vorstellung geboten. Giuliano Raffaelli als Archibald Barrett ist die vollkommen verlebte, abstoßende Figur. Der ehemalige Partner von Ben hat diesen in der Hand, seine Geliebte ist Margarete, die sich längst mit Barretts neuem Verwalter (perfekt gespielt von Claudio Camaso) vergnügt. Barrett trinkt, spielt, lebt in Saus und Braus und verfolgt nur ein Ziel, nämlich seine Macht auszubauen oder legitimieren zu lassen. Kleine, aber feine Präzisionsauftritte.

 

Margheritis Film ist vielleicht zu schnell auf die darstellerischen Leistungen reduziert, es besteht sogar die Gefahr, dass er gerade deswegen durchfällt, aber vor allem hier lässt sich der eigenwillige Mut des Films lokalisieren. "Schreie in der Nacht" stellt sich im Verlauf als eine überragende Assoziationskette heraus. Wer Rückblenden und Verschachtelungen schätzt, kommt auf seine Kosten, außerdem leistet die Regie Außergewöhnliches im Bereich der jeweiligen gedanklichen Übergänge. Das Stilmittel der Wahl sind in diesem Zusammenhang die Augen der Darsteller, die auch ohne weitere Kniffe bereits Bände zu sprechen scheinen. Ein ausgiebiger Zoom auf beispielsweise Marianne Kochs eisblaue Augen, ein leerer, kalter Blick verwandelt sich plötzlich in Ausdrucksstärke und Freude, und dann befindet sich der Zuschauer auch schon um Jahre zurück versetzt und sieht sie in ausgelasseneren Zeiten. Das Spiel mit Nähe und Distanz ist hervorragend, es entsteht insgesamt das Gefühl, dass man sich in einem Kreislauf befindet, aus dem man sich ebenso wenig befreien kann wie die Protagonisten. An sich ist die Geschichte sehr weit weg, da sie im ersten Impuls keinen Realitätstransfer bilden möchte, doch aufgrund der ausgezeichneten Charakter-Studien fühlt man sich unter Umständen sogar einigen Personen im allgemeinsten Sinne vertraut, vielleicht eher auf geschilderte Stimmungen und Gefühle wie Rache, Eifersucht, Resignation, Verzweiflung oder Glücksmomente bezogen. Des Weiteren wurde hier ausgiebig mit Umkehrreaktionen gespielt, was das teils zu behäbig wirkende Erzähl-Tempo immer wieder aufhebt. Mit Carlo Savinas träumerischen Kompositionen werden Stimmungen geschaffen, die in Verbindung mit den Charakteren in jeder Hinsicht bestimmend werden. Wenn sich mit fortlaufender Zeit das Unausweichliche bündelt und zuspitzt, hätten die Szenen zugegebenermaßen eine straffere, und wesentlich schnellere Montage nötig gehabt, dann wäre diese gerne gesehene Veranstaltung dem eigenen Empfinden nach noch perfekter gewesen. Dominiert von Morbidität und Kälte, aber greifbar in den Bereichen Interaktion und Emotion, kurzum: Eine faszinierende Mischung!

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