Der Schlachter

Frankreich | Italien, 1970

Originaltitel:

Le boucher

Alternativtitel:

O Açougueiro (BRA)

El carnicero (ESP)

Il tagliagole (ITA)

The Butcher

Deutsche Erstaufführung:

01. Mai 1974

Regisseur:

Claude Chabrol

Kamera:

Jean Rabier

Drehbuch:

Claude Chabrol

Inhalt

Die Lehrerin Hélène Daville (Stéphane Audran) arbeitet in einem kleinen Dorf im Périgord. Der Schlachter Paul Thomas (Jean Yanne), genannt Popaul, ist seit Monaten heimlich in die aparte Frau verliebt und auf einer Hochzeitsgesellschaft lernen sich beide näher bei Tanz und Ausgelassenheit kennen. Wenige Tage später wird das verschlafene Dorf von einem schrecklichen Zwischenfall heimgesucht, denn eine junge Frau aus dem Dorf wurde ermordet aufgefunden. Bei einem Schulausflug mit ihrer Klasse macht Hélène selbst die nächste grausige Entdeckung und findet den gepeinigten Körper des nächsten Opfers. Neben der Leiche liegt das Feuerzeug, das sie vor gar nicht allzu langer Zeit Popaul geschenkt hatte. Bestätigt sich nun ihr schrecklicher Verdacht, dass es sich bei dem Fleischer um den gesuchten Frauenmörder handelt..?

Autor

Prisma

Review

Aufgrund des ungemütlich klingenden Filmtitels macht sich bereits im Vorfeld das unbestimmte Gefühl breit, dass Claude Chabrol den Zuschauer strapazieren will, doch es ist fraglich, wer hier letztlich zur Schlachtbank geführt werden wird. Bereits der Einstieg setzt auf herbe Kontraste und man findet sich auf einer provinziellen Hochzeit wieder, bei der sich die Hauptpersonen in aller Ausgelassenheit selbst vorstellen dürfen. Es entstehen heitere, aber genauso eigenartige Momente der Einfalt, bis gegensätzliche Einstellungen aufeinandertreffen, die im Rahmen der Möglichkeiten von offen über modern, bis konservativ zu starr wechseln. Aus heiterem Himmel schießt plötzlich das Hauptthema Frauenmord in das Szenario ein, wenngleich man hinsichtlich bestialischer Veranschaulichungen insgesamt kaum etwas Exemplarisches angeboten bekommt. Dieser Vorfall bleibt zugunsten der weiteren Vorstellungen der Personen und des Umfeldes zunächst nur als Randnotiz im Raum stehen und es wird mit einfachen Mitteln geschildert, dass das normale Tagesgeschäft weitergeht, einige Herrschaften beim Thema Tod und Mord sogar immer nur wieder von sich berichten. Die Uhren gehen nach den eigenen Gesetzen des Dorfes weiter. Idyllische Situationen und malerische Bilder an schönen Außenschauplätzen sind mit einer verheißungsvollen Musik untermalt, die dem Anschein nach weitere Abgründe ankündigen will, doch es kommt auch zu sehr intimen Momenten, in denen ein interessantes Wechselspiel zwischen Banalität und Poesie entsteht. Fernab des kriminalistischen Inhalts wird ein gerne und häufig verwendetes Motiv angeboten, das den Filmtitel normalerweise entschärfen würde, jedoch hier perfide, beziehungsweise in klassischer Tragik umgekehrt wird: Liebe unter diametralen Voraussetzungen, die thematisch gesehen nur die Spitze des Eisbergs hervorbringen.

 

Wenn man also so will, geht das Böse in der Provinz um, in der es schon bei viel weniger zu einem waschechten Stadtgespräch gereicht hätte. Heimtückischer Mord und ein Phantom hebt die bestehende Weltordnung bei Menschen aus den Angeln, die es schon nicht begreifen können, wenn beispielsweise eine Frau eine Zigarette auf offener Straße raucht. Hierbei entstehen gute Voraussetzungen für den Verlauf, der sich trotz irritierender Ruhe und verschlafener Wirklichkeit zuspitzen kann. Claude Chabrol verbannt Spektakel, Unruhe und Hysterie komplett aus seinem Film, der offensiv auf der Realitätsebene ansprechen und beunruhigen möchte. Mit einfachsten Mitteln werden Psychogramme der Hauptpersonen gezeichnet, die die Bühne frei machen für eine Art der Tragödie, die angreift, weil sie so greifbar erscheint. In "Der Schlachter" wird des Weiteren akribisch darauf geachtet, dass es zu keiner Denunziation der Opfer und gleichzeitig des Täters kommt, sodass die quasi nicht vorhandene Wertung als ungemütliche Strategie vollkommen und überaus beklemmend aufgeht. Maßgeblich daran beteiligt sind ebenfalls die beiden Hauptdarsteller Stéphane Audran und Jean Yanne, die nach und nach an einem hervorragenden Aufbau der Geschichte mitarbeiten und einen diffusen Kollisionskurs begünstigen. Audran, die seinerzeit mit Regisseur Claude Chabrol verheiratet war, ist vielleicht als eine der eher unscheinbaren französischen Stars zu beschreiben, die aufgrund ihrer Art zu spielen und dieser eigensinnigen, manchmal spröden Aura weniger Berührungspunkte anbietet, als viele ihrer Kolleginnen. Generell lässt sich jedoch sagen, dass die aus Versailles stammende Interpretin auch hier eine beachtliche Präzisionsleistung zum Besten gibt, die der Geschichte einen besonderen Schliff und rückblickend sehr viel mehr Tiefe mitgibt, als zunächst angenommen.

 

Die Grundschullehrerin Hélène umweht gleich zu Beginn eine Art Exotik, die sie allerdings nur von ihrem provinziell angehauchten Umfeld verliehen bekommt. Unter normalen Umständen würde man die attraktive Frau vielleicht eher als leicht bieder einschätzen. Sie ist kultiviert in ihrem Auftreten und zeigt in zahlreichen Momenten, dass sie eine verträumte Denkerin ist, die gleichzeitig musisch veranlagt, aber auch pragmatisch ist. Außerdem wirkt es geradezu so, als halte sie alle, die keine Kinder mehr sind, auf Sicherheitsabstand. Von ihren jungen Schülern erwartet sie sehr viel, genau so wie sie es von sich abverlangt. Ihr Verehrer, der Schlachter Popaul, stellt nicht unbedingt das dar, was sie sich unter einem Mann für sich vorstellt. Er ist einfach gestrickt, gibt unbedachte Antworten und stellt noch unbeholfenere Fragen, doch irgend etwas spielt sich zwischen den beiden ab, das man vielleicht Intimität ohne Berührungen nennen könnte. Um seiner Zuneigung Ausdruck zu verleihen, bekommt sie in einer Szene eine Lammkeule gebracht, die wie ein Blumenstrauß überreicht wird und auch durch ihre herben Abwehrreaktionen lässt sich der Mann nicht in die Flucht schlagen. Bei allem was man geboten bekommt, ist es überraschend, dass sie ihm niemals Hörner aufsetzt, ihre Position ausnutzt oder ihn abqualifiziert. Der Fokus, der auf den beiden Hauptpersonen liegt, ist das Elixier dieser Geschichte, sodass alles andere mutmaßlich zur Randerscheinung wird. Claude Chabrol beweist ein besonderes Geschick beim Austarieren und Verbinden der verschiedenen Inhalte und alles mündet vollkommen determiniert in ein verstörendes Finale. "Der Schlachter" vereint psychologische Elemente mit konventionellen Krimi-Strukturen, bei denen es die unbegreifliche Ruhe sein wird, die wirklich irritiert und verstörend wirkt. Mit hochklassigen darstellerischen Leistungen versehen, bleibt ein Beitrag zurück, der beste Prädikate für sich beanspruchen darf.

Autor

Prisma

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