Der Nachtportier

Italien, 1974

Originaltitel:

Il portiere di notte

Alternativtitel:

Portero de noche (ARG)

O Porteiro da Noite (BRA)

El portero de noche (ESP)

Portier de nuit (FRA)

The Night Porter (USA)

Deutsche Erstaufführung:

14. Februar 1975

Regisseur:

Liliana Cavani

Inhalt

15 Jahre nach dem 2. Weltkrieg arbeitet Maximilian Theo Aldorfer (Dirk Bogarde) als Nachtportier in einem Wiener Nobelhotel. Davor hatte er einen komplett anderen Job – als eigentlich eher untergeordneter SS-Offizier in einem Konzentrationslager, der sich jedoch gerne als Arzt ausgab. Und ihm steht ein „Prozess“ ins Haus, denn er gehört zu einer ganzen Gruppe von ehemaligen Offizieren und einigen Kollaborateuren dieses Lagers, deren Ziel es ist, sich in einem solchen gruppeninternen Prozess endgültig reinzuwaschen, Akten verschwinden zu lassen, Zeugen zu diskreditieren und – wenn das nicht gelingt - diese Zeugen ebenfalls zu beseitigen. Und nicht nur Max hat in diesem Hotel eine neue Heimat gefunden, denn so manchen Hotelgast kennt er aus alten Zeiten. Während einer Europa-Tournee von Mozarts „Die Zauberflöte“ steigt der Dirigent Atherton mit seiner Frau Lucia (Charlotte Rampling) in dem Hotel ab. Lucia, die Insassin des Konzentrationslagers war, erkennt Max sofort wieder. Doch – sie behält es für sich, schickt sogar ihren Ehemann weg. Und setzt mit Max das fort, was damals, als Lucia gerade erst 15 war, begonnen hat: eine schmerzvolle psychosexuelle Abwärtsspirale, in der die Rollen zwischen Täter und Opfer völlig verschwimmen. Das erregt natürlich die Besorgnis von Aldorfers Kumpanen.

Review

„Wenn ich mir was wünschen dürfte, käm ich in Verlegenheit,
was ich mir denn wünschen sollte, eine schlimme oder gute Zeit.
Wenn ich mir was wünschen dürfte, möcht' ich etwas glücklich sein,
denn sobald ich gar zu glücklich wär , hätt' ich Heimweh nach dem Traurigsein.“
(Friedrich Hollaender, 1931 – gesungen von „Lucia“ in „Der Nachtportier“)

 

1974 schockierte Liliana Cavani, Regisseurin und Co-Autorin dieses Films, die internationale Filmwelt mit „Il Portiere di Notte.“ Dabei hatte die bis dahin eher unbekannte Cavani sich in punkto Nazi-Thematik bereits Vorschusslorbeeren durch eine vierteilige, immerhin 200-minütige Dokumentation über das Dritte Reich erworben. Doch hier hatte sie anderes im Sinn.

 

„Wenn Sie keinen Schmerz mögen, werden Sie „The Night Porter“ nicht erotisch finden...“
(The New York Times, 1975)

 

Als die junge Lucia in ein Konzentrationslager gebracht wird (ihr Vater war wohl Kommunist), tritt ein unangenehmer Mann im Arztkittel, jedoch nicht mit Stethoskop sondern mit einer Kamera ausgerüstet, in ihr Leben. Er wird zu ihrem Peiniger, zugleich aber auch ihr Beschützer. Eine sadomasochistische Wechselbeziehung, die ihren Höhepunkt darin findet, dass Max ihr ein „biblisches“ (seine Worte) Opfer darbringt: einen Kapo, über den sich Lucia beschwert hat, lässt er enthaupten und bringt ihr dessen Kopf als Opfer- und Liebesgabe dar. Spätestens dann wurde Lucia zur Mittäterin und auch dem Zuschauer wird klar, welche Macht sie über ihren Peiniger besitzt.

 

Diese Beziehung zwischen Max und Lucia ist kein Einzelfall, denn man findet im Laufe der Handlung weitere Kollaborateure, die nach wie vor zu der kleinen Gruppe gehören. So etwa einen Balletttänzer, der zur Erbauung der Offiziere halbnackt für diese sein Talent unter Beweis stellen durfte und den italienischen Koch Mario. Auch homosexuelle Beziehungen waren in diesem Lager keineswegs ein Tabu.

 

Thema Homosexualität, da besetzt Cavani die männliche Hauptrolle des Maximilian Aldorfer mit einem sehr brillianten Dirk Bogarde, was dieser Figur einen zusätzlichen Reiz verleiht. Denn gerade zu Anfang wird man als Zuschauer hier ein wenig in die Irre geführt. Aldorfer lehnt die Annäherungsversuche der ältlichen Countess Stein (Isa Miranda) ab, stattdessen besorgt er ihr einen jungen Stricher, dem er beim Zuknöpfen der Hose hilft. Die männliche ehemalige Lager-Balletteuse darf noch immer für ihn tanzen. Seine ebenfalls an ihm interessierte Wohnungsnachbarin wimmelt er stets ungeduldig ab. Natürlich erfahren wir mit dem Auftauchen Lucias, dass seine Neigungen eben sehr spezieller Natur sind. Tatsächlich scheint er sich die ganzen 15 Jahre nach einem Wiedersehen mit Lucia gesehnt zu haben, hat offenbar sogar unter der Vorstellung gelitten, sie könne tot sein. Lucia dagegen ist zu Tode erschrocken als sie plötzlich bei ihrer Ankunft in Wien Max erspäht und wird sich erst dann bewusst, wie sehr sie Max und die schräge sexuelle Beziehung zu ihm vermisst hat.

 

Zu Charlotte Rampling, was macht diese eigentlich eher durchschnittlich aussehende und auf den ersten Blick bieder wirkende Frau eigentlich so einzigartig? Neben ihrer darstellerischen Leistungen natürlich, ist es wohl vor allem ihre Klasse, die sie zu einer solchen Ikone gemacht hat. Jede andere Darstellerin hätte in einer solchen Rolle wohl gedemütigt und devot gewirkt, aber in Ramplings Augen sieht man nur Hingabe mit dem Stolz erhobenen Hauptes.

 

Eine gelungene Ironie in der ganzen Geschichte trägt die Handlung um den bevorstehenden „Prozess“ bei. Ziel der Gruppe um Max ist es vorgeblich, die Vergangenheit zu bewältigen und sich davon zu lösen. Dabei scheint Max der Einzige zu sein, der so etwas wie Reue empfindet (er mag das Tageslicht nicht, da er im Licht der Sonne Scham empfindet), während z. B. Klaus (Philippe Leroy) bemerkt, er sei stolz auf seine Zeit als Offizier des Dritten Reiches und würde er wiedergeboren, würde er genauso handeln. Als Max provozierend den Hitlergruß zeigt und seine Kumpane diesen strammstehend erwidern, wendet er sich fassungslos schnaubend ab.

 

„So anstößig wie schmierig, ein verabscheuungswürdiger Versuch, uns durch die Ausschlachtung der Erinnerung an Verfolgung und Leiden angenehm zu erregen.“
(Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 1974)

 

Natürlich ist “Der Nachtportier” ein absolut brillanter Film, und wenn Roger Ebert sadomasochistische Erregung als angenehm (bzw. unangenehm berührend, grins...) empfindet, nun, das hätte er vielleicht besser für sich behalten. Die Story, so absurd sie auch erscheinen mag, ist in sich schlüssig, die düstere Leidens-Stimmung wird bis zum Ende gehalten. Wer ein Happy-End erwartet, selbst Schuld. Und bei aller thematischer Provokation sollte festgehalten werden, dass sowohl mit Blut als auch mit Nacktheit recht sparsam umgegangen wird. Hier spürt man die weibliche Handschrift Liliana Cavanis, die auch deutlich in der Art der Darstellung des Sadomasochismus und der Auswahl der diversen Fetische spürbar ist – das sind sehr weibliche Phantasien, die wir da aufgetischt bekommen. Mehr noch, schaut man sich die Story an, sollte man sich mal vor Augen führen, wie der Film eigentlich ausgesehen hätte, wenn ihn ein anderer Regisseur, womöglich ein Mann, inszeniert hätte: Trash.

 

Liliana Cavani begann ihre Regie-Karriere 1961 mit einigen Dokumentationen für das italienische Fernsehen. Ein erster Achtungserfolg wurde 1970 „I Cannibali“ mit Tomas Milian, Britt Ekland und Pierre Clémenti, ein surrealistisches Polit-Drama mit Referenzen an Sophokles‘ „Antigone.“ Nach dem Welterfolg von „Der Nachtportier“ 1974, wobei die anfängliche Beschlagnahme des Films in Italien durchaus hilfreich war, fallen in späteren Jahren vor allem folgende Werke ins Auge: die Nietzsche-Biographie „Jenseits von Gut und Böse“ (Al di là del bene e del male, 1977), die wegen ihrer wohl recht expliziten homosexuellen Sexszenen seit der damaligen Uraufführung kaum noch veröffentlicht wurde. Die englischsprachige Version wurde von vornherein nur zensiert gezeigt. Weiterhin natürlich der 1981 entstandene „Die Haut“ (La pelle) mit Marcello Mastroianni und „Leidenschaften“ (The Berlin Affair, 1985). Dem 1989 entstandenen und in mannigafaltigen Schnittfassungen erhältlichen Film „Franziskus“ mit Mickey Rourke (insgesamt brachte es Liliana Cavani auf vier (!) unterschiedlich angelegte Verfilmungen des Lebens des Franz von Assisi) folgte 2002 zumindest noch einmal ein größerer Erfolg mit der Patricia Highsmith-Adaption „Ripleys Game.“

 

Die Begeisterung über die britische Blu Ray von „The Night Porter“ vermag ich dagegen nicht so ganz zu teilen. Sicher, die Auflösung ist höher, aber die Arte-Austrahlung von 2007 war in jedem Fall in Sachen Farbgebung überlegen.

 

Und „wenn ich mir etwas wünschen dürfte“ – dass es heute noch so herrlich provokantes Kino mit künstlerischer Klasse gäbe.

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