Das lüsterne Quartett

Deutschland | Italien, 1970

Originaltitel:

The Lickerish Quartet

Alternativtitel:

Amor a Quatro Puntas (MEX)

Cvartetul libidinos (ROU)

Erotic Quartet (GBR)

Esotika Erotika Psicotika (ITA)

Hide and Seek (USA)

O Quarteto Lickerish (BRA)

Regisseur:

Radley Metzger

Kamera:

Hans Jura

Inhalt

Ein Ehepaar und ihr mittlerweile volljähriger Sohn leben zurückgezogen in einem Schloss. Zur Abendunterhaltung läuft ein Amateur-Sexfilm. Die Vorführung ruft bei den Bewohnern des Schlosses unterschiedliche Reaktionen hervor, doch eines haben sie gemeinsam: sie können die blonde Hauptdarstellerin des Erotik-Streifens nicht wieder vergessen. Als sie die junge Dame bei einem Ausflug auf einen Jahrmarkt treffen, laden sie sie kurzerhand zu sich nach Hause ein, um ihr den Film vorzuführen. Zur allseitigen Verwunderung hat sich die Handlung der Produktion jedoch maßgeblich verändert, bis jeder der attraktiven Blondine verfällt...

Autor

Prisma

Review

Der US-amerikanische Regisseur Radley Metzger, der neben dieser Haupttätigkeit auch als Drehbuchautor, Cutter, Verleiher oder Produzent aktiv war, gilt - wie man so schön sagt - als Vertreter des Autorenfilms und des Porno Chic; Referenzen, die auf den ersten Blick gar nicht so recht zusammenpassen wollen. Doch sie tun es. Vor seiner Zeit als richtiger Mann für Erwachsenenfilme, stellte der New Yorker sein Gespür für die unverwechselbare Melange aus Ästhetik und Visualisierung zur Schau, was mitunter Beiträge hervor brachte, die schöner und aufregender nicht sein könnten. Wieso nennt man den Regisseur aber nicht in einem Atemzug mit etablierten Größen des anspruchsvollen Films, der nicht nur einen thematischen oder narrativen Anspruch beweist, sondern auch einen inszenatorischen? Diese Frage ist schwierig leicht zu beantworten, doch am nächsten kommt man vielleicht mit der These, dass seine hochinteressanten und formvollendeten Werke keine nachhaltige Kompatibilität mit dem Mainstream bilden konnten. Dabei erschuf Metzger doch Mainstream par excellence, der am Ende oft zu überqualifiziert für gierigen Konsum war. In vielen seiner Beiträge wird das Auge der Kamera von Hans Jura delegiert und bietet Einblicke in verwirrende Kaleidoskope, die aufgrund der Bearbeitung bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind, dabei Traumwelten aber auch widerliche Kloaken andeuten. Diese hochpräzisen und künstlerischen Blicke machen etliche seiner Werke zu wahren Erlebnissen, die den Zuschauer in jeder Beziehung bereichern, vielleicht sogar weiter bringen können. DAS LÜSTERNE QUARTETT gehört ohne jeden Zweifel zu dieser Gattung und vielmehr zu jener der formvollendeten Beiträge, die das Schicksal eines Schattendaseins teilen, wenn auch im goldenen Käfig. Metzger bietet einen Film an, den man so schnell nicht wieder vergisst, egal auf welcher Seite man sich als Zuschauer befindet. Komplizierte Bildtexte- und sprachen, kognitive Verschachtelungen, visuelle Labyrinthe und Verhaltensweisen von Personen der unantastbaren Sorte, so unantastbar, dass man sie selbst nackt nicht zu greifen bekommt.

 

Die Handlung beginnt mit den Selbstinszenierungen der vier Hauptpersonen. Der erste vage Blick suggeriert, dass man zwischen Heiligen und Huren alles ausfindig machen könnte, wenn auch nur im übertragenen Sinn. So setzt sich Vulgarität und Gewöhnliches durch, versehen mit zynischen Betrachtungsweisen von Leuten, die den Punkt, sich gegenseitig satt zu haben, schon Dutzende Male überschritten haben. Eigenartigerweise wirken diese Äquivalente der sieben Todsünden anziehend, interessant, nachvollziehbar und real, obwohl man sich hier noch mehrmals fragen wird, ob sie denn überhaupt existieren, oder nur Hirngespinste sind. Diese doch sehr negativ konnotierten Impressionen rufen wie aus dem Nichts und in aller Selbstverständlichkeit Umkehrreaktionen hervor, sodass man wie gebannt auf die dargebotene Ästhetik schaut und seinen Blick nicht mehr abwenden kann, Handlungen begreift und Personen versteht. Die einzigen Kratzer bekommen diese ästhetischen Eindrücke vielleicht nur durch die Laufstreifen und Verunreinigungen des vorgeführten Sexfilms, der nebenher läuft, als sei es vollkommen selbstverständlich, bis die gezeigte Mechanik egalisiert wird. Bereits nach kürzester Zeit offenbart sich eine atemberaubende Struktur, sodass das Dargebotene sowohl formell als auch stilistisch zum Hochgenuss werden kann. Radley Metzger zeigt mit dem Finger klaffende Abgründe und eitrige Wunden, charakterisiert seine Protagonisten über deren eklatante Schwächen, die in ihrer Unbändigkeit nicht zu durchbrechen sind. Obwohl sich hässliche Facetten andeuten, ist man immer noch dabei, die Ästhetik und Schönheit der Bildeindrücke zu bewundern, um buchstäblich geblendet zu werden. Die Realität scheint in Metzgers Komplexmaßnahme scheinbar keine Rolle zu spielen, da sie dem Empfinden nach ausgehebelt oder sogar umgekehrt wird. So glaubt man Fremde zu sehen; Menschen, die nur in der Fantasie oder einer Film-in-Film-Struktur existieren können. Dabei handelt es sich um eine sehr clevere Art, das Publikum in seinen Bann zu ziehen, obwohl man selbst oft heimlich vor den Kopf gestoßen wird.

 

»Nimm das nicht so ernst, es ist nur ein Film. Manche dieser Filme sind unangenehm und wertlos. Es ist kein guter Film. Ich frage mich, ob sie wirklich Spaß haben oder nur so tun. Es muss sie doch stören, dass Leute zusehen. Ich frage mich, wie oft sie es machen mussten, bis alles stimmte. Der ganze Film ist lächerlich. Die sieht aus, als hätte sie viel Erfahrung. Ich frage mich, wo sie diese Mädchen finden. Man weiß nie. Der Film sieht aus, als sei er im Zweiten Weltkrieg entstanden. Wahrscheinlich Prostituierte. Ein bisschen Abwechslung. Solchen Mädchen ist es sicher egal, was sie alles tun müssen. Sie lassen wirklich nichts aus. Alle auf einmal. Gruppentherapie. Ich habe auch genug. Du fühlst dich toll, wenn du Dinge mit einem Schalter kontrollieren kannst. Du kannst ja schnell zurückspulen, wie bei deinem Film. Es war wirklich sehr realistisch. Das Beste kommt noch. Wo finden sie nur diese Mädchen? Der Film ist sehr interessant. Ich kriege das hin, und wenn es mich umbringt. Ich fasse es nicht. Was für ein merkwürdiger Film! Ja, er ist sehr speziell. Lass es sein, das bringt doch nichts. Der Film ist doch nicht so gut, wie wir dachten. In einem Augenblick kann sich alles ändern. Nur darauf ist Verlass. Das Leben hat uns allen hin und wieder übel mitgespielt. Auch wenn wir keine Vitamine haben, bleibt uns immer noch die Fantasie. Im Dunkeln. Da hat alles angefangen, da wird es auch enden. Ich verstehe nicht, wie man sich so filmen lassen kann. Dieser ist anders, du wirst sehen. Ich finde diesen Film ziemlich geschmacklos. Geschmacklosigkeit liegt im Auge des Betrachters. Würdest du das nicht machen? Vielleicht, aber nicht vor der Kamera. Sei dir da nicht so sicher. Nimm das nicht so ernst, es ist nur ein Film. Sogar eine Doppelvorstellung. Gefällt er dir? Nicht besonders. Sie sind alle gleich. Wahrscheinlich Prostituierte. Die Schauspielerinnen sind sicher Prostituierte. Gefällt dir der Film nicht? Ich kann auf Schnelldurchlauf schalten. Später könnten wir ihn rückwärts anschauen. Hast du solche Filme rückwärts gesehen? Schon tausendmal.«

 

Film-in-Film-Strukturen sind immer potenziell interessant. Falls es wie hier auch noch zu einer solch besonders hochwertigen Bearbeitung kommt, umso mehr. Man schaut sich einen Sexfilm an, der sich auffällig stark in die Köpfe und die Auseinandersetzung seiner Konsumenten flackern kann. Mechanik. Reiz. Querverbindungen. Erinnerungen. Begierden. Wünsche. Realität. Plötzlich erlebt man innerhalb der blasierten Konversation eine Art Stagediving in den Abgrund sexueller Triebe und Ausschweifungen, aber auch die Gedanken des Zuschauers, doch es ist fraglich, ob die Protagonisten auch aufgefangen werden. Als Lockvogel für die Schlossbewohner und das Publikum ist die bezaubernde Silvana Venturelli genau als richtige Wahl zu beschreiben, von deren Gunst man an sofort abhängig sein wird. Als Prototyp der hier notwendigen Frau - die mit einer entwaffnenden Leichtfertigkeit und unausweichlichen Verführung agiert - verkörpert sie alles, was man sich vorstellt, vor allem aber, was man sich vielleicht nicht vorzustellen wagt. Ab sofort erlebt man einen Drahtseilakt auf potenzierten Erzählebenen, mit ein und der gleichen Hauptdarstellerin, die vor die Wahl zwischen Realität und Fiktion, Poesie und Prosa stellt. Ihre sphinxartige Erscheinung wird durch Metzgers aufmerksame aber gleichzeitig auch strapaziöse Inszenierung forciert, sodass es kaum möglich ist, sich gegen die angestrengte Fiktion zu stellen. Der Realität bleiben nur ein paar kleinere Bühnen, die allerdings nur Zuschauer findet, wenn sie als solche identifiziert werden kann. Fortan wird eine Geschichte erzählt, die sich genau wie die sprichwörtliche Katze in den Schwanz beißt, nicht zuletzt, um den Zuschauer dazu zu bringen, alles Dargebotene in voller Intensität mitzuerleben und jede Kleinigkeit zu spüren. Innerhalb einer solch geballten Ladung Ästhetik wird es der Schmerz sein, der sich immer wieder unbequem an die Oberfläche manövriert, um zu drohen, die Fantasiegestalten zu entlarven und bloßzustellen, falls es denn welche geben sollte. So setzt der Verlauf ab sofort auf gewagte Szenen, die ihre Provokation gnadenlos im Off, beziehungsweise zwischen den Zeilen ausspielen. Nur für wie lange?

 

Unter Betrachtung der Hauptpersonen dieses auffällig eigenwilligen Kammerspiels kommt man trotz der Übersichtlichkeit des Angebots zu dem schnellen Schluss, dass sich eine besondere Entourage zusammengefunden hat, die von Metzgers Ideenreichtum orchestriert wird, bis sie sich dem Anschein nach selbstständig macht, beziehungsweise das Regiment übernimmt. Viele Szenen simulieren den laufenden Sexfilm, der gerade gegen Ende seine spiegelnden Fähigkeiten preisgibt, und es wirkt beinahe so, als platzierten sich die Hauptdarsteller intervallweise auf dem Regiestuhl, um das zu tun, worauf sie gerade Lust haben oder wozu sie sich genötigt fühlen. Frank Wolff, der dem Vernehmen nach großes Gefallen an derartig experimentellen Filmen hatte, belebt sein Element mit einer Exklusiv-Aura, die den Verlauf unerbittlich prägen wird, weil sie diesen prägen muss. Gesichtswahrende Kapriolen werden irgendwann durch pure Triebhaftigkeit, Sarkasmus durch Zynismus und greifbare durch völlig abweisende Verhaltensweisen ersetzt, um sie je nach Belieben wieder ins Gegenteil umzutauschen. Wer er eigentlich ist, bleibt originellerweise im Verborgenen. Mit wem hat man es überhaupt zu tun? Eine Truppe von Einsiedlern, die der Erzählung nach Verwandte ersten Grades sein sollen, man es aufgrund der Gespräche und des bizarren Umgangs miteinander jedoch kaum glauben kann. Die scheinbar vollkommen sexualisierte Atmosphäre erlangt ihre Eruptionen durch einen schmuddeligen Sexfilm, der als Selbstverständlichkeit des Abends läuft. Man sieht blasierte, interessierte und beschämte Mienen und Gebärden. Man sieht ein Zusammenspiel der Familienmitglieder, das auf Distanz und Täuschung angelegt ist. Man nimmt eine Isolation wahr, in der jeder andere vermutlich längst verrückt geworden wäre. Doch über allem steht eine undefinierbare Faszination, die buchstäbliche an Stock und Faden vor den Augen des Esels befestigte Karotte, um ihn erst in Bewegung zu bringen, aber nie zum Ziel gelangen zu lassen. Das Publikum bleibt in Bewegung. Gedanklich und vergleichsweise. Die Schauspieler tun ihr Bestes, um die beinahe banale Komplexität des Themas weiterhin anzufachen.

 

308 Worte zu Erika Remberg, die mit diesem Film ihre Kinokarriere besiegelte. Die Österreicherin beendet ihren Weg mit einer kaum zu glaubenden Metamorphose, die durch ihr bisheriges Schaffen nicht ansatzweise angedeutet wurde. Also ist das Business wieder einmal für eine derartige Verschwendung zuständig, oder ist es der Zuschauer selbst, der ihr mit Vorliebe die in Heimatfilm-Elixier getränkten Auftritte abnahm, deren Klischees manchmal höher herausragten, als die dazu passenden Berge? Dabei war Erika Remberg immer für Rollen zu haben, die nichts mit einheitlichen Angeboten zu tun hatten, sie allerdings in die Riege der Bedeutungslosigkeit drängten, was sie aber glücklicherweise nicht mit sich veranstalten ließ. So hat man die sich immer wieder selbst erzählende Geschichte einer Schauspielerin, die sich aus den Klauen und dem Diktat der Verantwortlichen zu befreien versuchte, deswegen aber abgestraft wurde. Remberg rechnet hier über ihren gelangweilten und kaum sympathischen Charakter der Mutter (ohne derartige Attribute) ab, und man hat auf ein Geschöpf dieser so erfüllenden Geschichte zu blicken, das mit einem hüllenlosen Paukenschlag Adieu sagt. Vielleicht ist es unter der Voraussetzung, nur noch wenige und dann eher zweitklassige Rollen erhalten zu haben, etwas zu viel gesagt, dass Rembergs Potenzial dem Zuschauer ab sofort trotzig vorenthalten wurde, und sie sich nur noch als Lockvogel für einige Serien-Auftritte präsentierte, aber in jeder Möglichkeit steckt auch ein Fünkchen Wahrheit. Erika Remberg spielt ihren Part der Anforderung entsprechend einfach großartig und hämmert sich mit herablassender Zügellosigkeit in die Gehirne des Zuschauers, der sicherlich nicht gefasst war auf eine derartige Performance und die Bereitschaft, Inneres und Kleidung simultan abzulegen. Ihr Mann langweilt sie. Ihr Sohn umso mehr. Ihr sich in unendlichen Weiten verlierendes Setting erdrückt sie, die offenkundige Unterforderung überfordert sie, lässt sie destruktiv und zynisch werden. Plötzlich wird blonde Abhilfe geschaffen und das »Maultier im Pferdegeschirr« beginnt aufzublühen, sich zu interessieren, fallen zu lassen. Hochklassig und inspirierend!

 

Sucht man nach einer bestimmten Moral von der Geschicht', so wird man vielleicht in Dutzenden Facetten fündig - je nachdem, welchen eigenen Interpretationsweg man gerade eingeschlagen hat. Allerdings funktioniert der Film auch ohne Skalpell und eine Obduktion der Ereignisse erstaunlich gut, da man sich auf die visuelle, beziehungsweise lüsterne Ebene verlassen kann. Ein Kunstfilm wie dieser, mit lasziver, wenn nicht sogar schwarzer Seele, wirkt aufregend und enervierend zugleich, hält einen nötigen Sicherheitsabstand zum Publikum aber dringlichst ein. Dabei ist es mehr als erstaunlich, wie Metzger diese Voraussetzungen herumdreht und aus halbseidenen Inhalten und Seheindrücken eine Hoch-Ästhetik fabriziert, die als Messlatte zurückbleibt. Die Ambivalenz des Gezeigten ergibt sich aus einer vermeintlichen Wirklichkeit, wenn sich der Zuschauer selbst im Szenario wiederfindet, und sei es im kleinsten Detail, im marginalsten Nebensatz, oder einer noch so sporadischen Erinnerung. Hierbei helfen die vier Hauptpersonen, die in ihrer Art so grundlegend unterschiedlich sind, um Identifikationspotenzial anzubieten, das sich bei so viel Glanz vermutlich am ehesten im laufenden Porno finden lässt. So hält Metzger sich nicht mit falscher Bescheidenheit auf und bietet sofort etliche Filetstücke an, die von jedem selbst gewürzt werden müssen. Behilflich dabei sind Frank Wolff, Erika Remberg, Paolo Turco und Silvana Venturelli, die ein buchstäbliches perfect match für diese Produktion ergeben. Am Ende sieht man keine Bestrebungen, das Publikum zu eines Besseren oder Schlechteren zu belehren, außerdem schert sich keiner um Erklärungen und Rechtfertigungen. DAS LÜSTERNE QUARTETT brachte es seinerzeit zu keiner Kinoaufführung, da sich offensichtlich kein Verleih die Finger verbrennen wollte, sodass dem Film erst 40 Jahre nach Entstehung seine Uraufführung in der Bundesrepublik zuteil wurde, was viel aussagt über den schmalen Grad der Einschätzung zwischen Meisterwerk und möglichem Kassengift. So bleibt eines der vielleicht am meisten unterschätzten aber auch schönsten zeitgenössischen Experimente, dessen Nimbus immer noch zu wenig wahrgenommen wird.

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