Libido

Italien, 1965

Inhalt

Als Kind hat Christian (Giancarlo Giannini) mitansehen müssen, wie sein Vater eine gefesselte Prostituierte in einem eigens für seine gewalttätigen Triebe eingerichteten Spiegelzimmer erwürgt hat. Anschließend beging sein Vater Selbstmord durch einen Sprung von einer Klippe, sein Leichnam wurde aber nie gefunden.

 

Christian verbringt die nächsten 20 Jahre unter psychiatrischer Obhut, das Familienvermögen wird von seinem älteren Bruder Paul (Luciano Pigozzi) verwaltet. Das soll jedoch in drei Monaten enden, denn Christian soll inzwischen komplett genesen sein, verheiratet ist er auch.

 

Zusammen mit Pauls Ehefrau Helene (Dominique Boschero) und Christians Frau Brigitte (Mara Meryl) begibt man sich zu einer Inventur in das Familienanwesen, in dem damals der Mord geschah. Dies soll zudem ein finaler Test für Christians psychische Stabilität werden.

 

Doch sind die Vier wirklich allein im Haus? Denn nachts scheint ein Unbekannter, womöglich der tot geglaubte Vater, durchs Haus zu schleichen. Christian dagegen wird immer besessener von dem Gedanken, dass sein älterer Bruder dahinter steckt, damit er das Vermögen nicht teilen muss. Und dann ist da noch seine Furcht, die Libido seines Vaters geerbt zu haben, die Lust auf sexuelle Gewalt.

Review

Der kurz nach Mario Bavas „Blutige Seide“ entstandene „Libido“ gehört zu den frühen Meilensteinen des Giallo. Warum? Trotz deutlicher Anleihen beim Italian Gothic Horror und des gewöhnlichen Psycho-Thriller (in einer Szene wird ein bisschen von Clouzots „Die Teuflischen“ (1955) geklaut), werden wir hier mit dem später öfter wiederkehrenden Giallo-Motiv des Ist-er-nun-verrückt-oder-nicht-Protagonisten vertraut gemacht. Dann wären da noch das sexuelle Kindheits-Trauma, möglicher L... (nee, darf ich nicht verraten), ein kurzer Mord mit schwarzen Handschuhen und eine Dialogszene, in der Brigitte gewalttätig sexuelle Übergriffe durch ihren Ehemann andeutet. Für einen s/w-Film heftiger Tobak. Außerdem erinnert mich die Rückblende am Anfang ein klein wenig an die Rückblende in Argentos „Rosso – Die Farbe des Todes“, der erst ein Jahrzehnt später entstand.

 

Wie man an der Regieangabe sehen kann, handelt es sich um eine frühe Giallo-Fingerübung von Ernesto Gastaldi. Oh, ich muss unterbrechen, denn ich halt‘s nicht mehr aus und möchte endlich auf die Namen im Vorspann zu sprechen kommen. Während der italienischen DVD inzwischen eine Voreinblendung mit der Regieangabe Ernesto Gastaldi („Rocker sterben nicht so leicht“) und Vittorio Salerno („Betrachten wir die Angelegenheit als abgeschlossen“) spendiert wurde, sehen die Angaben der Exportfassung – nach einer langen Sigmund Freud-Passage zum Thema - so aus:

 

Luciano Pigozzi ist wie gewohnt „Alan Collins“, Giancarlo Giannini dagegen wurde zu „John Charlie Johns.“ Kameramann Romolo Garroni wurde zu „Romy Garron“, womit man noch leben kann. Als Regieassistent wird „Ernst Gasthaus“ genannt, natürlich Ernesto Gastaldi selbst. Bei der Regie benennt man „Julian Berry Storff“, ein Mix aus Gastaldi und Vittorio Salerno. Weitere illustere Namen unter den Crewmitgliedern wären „Lucie The Door“ (echt jetzt?), „Angie Travel“ (super), „George Money“ (hätte ruhig etwas mehr sein können), und...“Dick.“ Einfach nur Dick. Ihre Namen behalten durften dagegen Komponist Carlo Rustichelli und die weiblichen Darstellerinnen. Wer ist eigentlich die schöne dunkelhaarige Mara Meryl, die neben einer Hauptrolle ebenfalls die Story beisteuerte und es leider nur auf sieben Filmauftritte brachte? Genau, hinter den Namen Mara Meryl, Maria Ombra oder Maria Chianetta verbirgt sich Gastaldis Ehefrau Mara Chianetta.

 

Genug davon. Obwohl „Libido“ mit einem Budget von 26 Millionen Lire ein sehr preiswerter und in s/w gedrehter Film war, ist er wirklich gut gelungen, und die Kosten hatte man durch den Verkauf an einen US-Verleiher für 25.000 Dollar schon wieder drin. Trotz der Tatsache, dass der Film überwiegend in einem Haus spielt und der Cast tatsächlich nur aus vier Personen besteht, ist „Libido“ sehr spannend geworden durch seine Story und ein diesmal wirklich überraschendes Ende, was bei vier Darstellern auch erst mal vollbracht werden muss.

 

Giancarlo Giannini sieht man hier in seiner ersten größeren Rolle als sexuell traumatisierter Christian, der Probleme mit seiner Realitätswahrnehmung hat, sowie die Angst, wie sein triebhafter Vater zu werden. Dabei ist Christians Paranoia keineswegs völlig unbegründet. Als Kind hat er gesehen, wie sein Vater eine gefesselte Prostituierte in sexueller Raserei getötet hat, aber es ist sein älterer Bruder Paul, der eine reichlich unterbelichtete Blondine geheiratet hat, die der damals Ermordeten erstaunlich ähnlich sieht. Beide – Pauls Frau Helene und die Prostituierte – werden von Dominique Boschero dargestellt, für eine weitere Darstellerin wäre wohl auch kein Geld dagewesen. Christians Frau Brigitte, gespielt von Mara Meryl, gibt von Anfang an Rätsel auf, denn offenbar hat das Ehepaar getrennte Schlafzimmer, erst später wird etwas anderes angedeutet. Zudem scheint Paul die Beiden einander vorgestellt zu haben, was Christian aber nicht weiß und seiner Paranoia später weitere Nahrung verleiht. Ein kleines Manko findet sich gelegentlich, wenn man spürt, dass die Darsteller mit diesem 4-Personen-Szenario manchmal etwas überfordert sind. Das gilt insbesondere für den damals noch unerfahrenen Giannini.

 

Und wer glaubt, dass irgendetwas aus dem letzten Absatz das Ende spoilert, liegt falsch. Und nicht nur das Ende muss man gesehen haben, für Giallo-Hardliner ist „Libido“ ein Pflichttermin. Bisher am Besten irgendwo im Internet ansehen, denn dort wurde die italienische DVD-Kopie inzwischen mit englischsprachigen Untertiteln versehen, über die die Original-DVD nicht verfügt. Oder – wäre das nicht etwas für „Forgotten Film Entertainment?“

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OFDb

IMDb

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