Leichen pflastern seinen Weg

Frankreich | Italien, 1968

Originaltitel:

Il grande silenzio

Alternativtitel:

El gran silencio (ESP)

Le grand silence (FRA)

Levend of dood (NLD)

O Grande Silêncio (POR)

The Great Silence (USA)

Deutsche Erstaufführung:

21. Februar 1969

Regisseur:

Sergio Corbucci

Inhalt

Utah, gegen Ende des 19. Jahrhunderts. In der kleinen Stadt Snowhill herrscht unter den ärmsten Bürgern Hunger und Elend, denn die kalten Temperaturen bedrohen ihr Leben. Um nicht umzukommen, überfallen diese mittlerweile organisierten Banden wohlhabende Leute, woraufhin sie zu Gesetzlosen deklariert wurden, auf die man hohe Kopfgelder ausgesetzt hat. Snowhill zieht seitdem zahlreiche Kopfgeldjäger an, die die gesuchten Leute nun mit der Absolution des Gesetzes jagen, aufspüren und töten dürfen. Der unerbittlichste unter den Kopfgeldjägern ist Loco (Klaus Kinski), der auch den Mann von Pauline (Vonetta McGee) getötet hat. Sie sinnt auf Rache und heuert Silence (Jean-Louis Trintignant) an, der Loco erledigen soll. Doch die Angelegenheit verläuft für den stummen Einzelgänger nicht so leicht wie gedacht, denn seine Zielscheibe lässt sich nicht so einfach von ihm provozieren...

Autor

Prisma

Review

Der Einstieg in Sergio Corbuccis Film geschieht schnell, eindeutig, brutal und ebnet daher eine unmissverständliche Marschrichtung. Bereits in den ersten Szenen wird die Dialogarbeit von schnell gezogenen Colts übernommen und es kommt zunächst nur eine entscheidende Frage auf: wer zieht zuerst, wer stirbt zuerst? Eigenartig und beeindruckend zugleich sind die mit Schnee überhäuften Schauplätze, die von der ersten Minute an Stimmungen fabrizieren und quasi buchstäblich den kalten Charakter dieser Geschichte und der meisten Charaktere unterstreichen. Ennio Morricones wunderbare Musik leistet bestimmende Schützenhilfe, es ist, als hallen die verheißungsvollen, nahezu feierlichen Klänge wie ein Echo aus den Bergen, genau aus jenen Bergen, die die Kopfjäger erst anlocken, da sich dort ihre Zielscheiben verbergen. Bevor dieses Ziel erreicht wird, gibt es auf dem Weg dorthin noch genügend Opfer zu erledigen und die angewandte, unempfindliche Brutalität ist erschreckend, wenn auch zugleich notwendig für den weiteren Ablauf. Die beiden Hauptpersonen sind mit Silence und Loco schnell gezeichnet, und ohne Klimmzüge entsteht eine merkliche Grundspannung, da man jetzt schon an den bevorstehenden Clash denken muss. Vieles, das in aller kürze aufgezeigt wird, wirkt möglicherweise verstörend für den Zuschauer, vielleicht ist man sogar noch damit beschäftigt, erst einmal die gegensätzlichen Grundvoraussetzungen der Schauplätze oder des rapiden Aufbaus zu ordnen. Der stumme Einzelgänger Silence verwendet eine Sprache, die bei jedermann verständlich ist - er benutzt seinen Colt. Sein Antagonist Loco strahlt in zynischer Härte und beide erscheinen komplett gegensätzlich zu sein, jedoch sprechen sie eigentlich die gleiche Sprache. Der Aufbau zeigt sich hier dennoch ganz klassisch an einer Unterteilung zwischen Held und empfundenem Abschaum interessiert.

 

»Wir haben nichts getan, was ungesetzlich ist!« Derartige Parolen wird man in ungefähr der gleichen Façon gebetsmühlenartig von Klaus Kinski hören, der aus Loco eine unglaublich beeindruckende Figur formt. Er wirkt hier wie der Wolf, der Kreide gefressen hat um im nächsten Moment ein Happening der exzessiven Brutalität zu veranstalten. Die Menschenjagd stellt zwar ein einträgliches Geschäft dar, aber beinahe möchte man deuten, dass es sich lediglich um einen willkommenen Nebeneffekt handelt, da es ihm ums Hetzen, Töten und Vernichten geht. Die beschriebene Unempfindlichkeit wird von Klaus Kinski auf den Punkt gebracht und der Tod der Anderen wird zur einzigen Rechtfertigung für das eigene Überleben. Doch sind es eben stets die anderen, die nicht überleben, sondern es ist Loco, der dadurch ein Stück weit unbezwingbar und noch gefährlicher wirkt. Diese Grundvoraussetzung setzt dem Bild des eigentlichen Protagonisten indirekt schwer zu, da er gegen eine, dem Empfinden nach omnipotente Person zu kämpfen hat. Lediglich die aus der Erfahrung resultierende Gewissheit, oder vielleicht eher gesagt Hoffnung, dass Helden nicht einsam, oder eben gar nicht sterben, überlagert diesen Eindruck weitgehend sicher. Hass und Gefühle der unendlichen Rache bäumen sich auf, so dass eine Katastrophe unausweichlich zu sein scheint. Wie wird sie jedoch aussehen? Wird der Gerechtigkeit am Ende Genüge getan, Raum für mögliche Gefühlsduseleien zur allgemeinen Entschärfung der harten Marschrichtung geschaffen, oder wird ein Phantom, das sich Überraschung nennt, triumphieren? Interessante Fragen der Erstansicht, die der Verlauf, oder viel mehr Sergio Corbucci konsequent klären wird, ohne jedoch größere Hoffnungsschimmer und Atempausen aufkommen zu lassen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass jemand vorbei schießen wird, erscheint so gut wie ausgeschlossen.

 

Bei den darstellerischen Leistungen gibt es keine unpassenden Kapriolen und sehr stilsichere Leistungen. Ohne sich Übertreibungen hinzugeben, übertreffen sich Jean-Louis Trintignant und Klaus Kinski selbst, Frank Wolff und Liugi Pistilli färben ihre Charaktere weitgehend unkonventionell und die schöne Vonetta McGee erweist sich als einer der großen Überraschungscoups der Besetzungsliste. In, und um Snowhill herum, scheint es also nur so von Barbaren zu wimmeln. Schüsse durchziehen immer wieder das winterliche Szenario, Menschen (oder besser gesagt die Handelsware) erlegt man wie Vieh, die Leichen werden zusammengeschnürt, zum Frischhalten im Schnee verscharrt und abtransportiert, die Kopfjäger arbeiten ihre Liste mit einer buchstäblichen Bürokratie des Grauens ab. Hilfreich ist in allen Belangen die ausgezeichnete Bildsprache, die Dialoge verlaufen angemessen und sparen sich kleinere Ausrufezeichen nicht auf, musikalisch erlebt man die stets abgestimmte Crème de la Crème eines feinfühligen, aber auch demonstrativ fordernden Ennio Morricone, willkommene kurze Rückblenden tragen zum Verständnis bei und das Geschäft mit dem Tod wird durchweg mit drastischen Bildern garniert. Der große Showdown in Form eines perfide gestalteten, aber ebenso in atemberaubenden Bildern festgehaltenen Finales kommt einer ordentlichen Western-Kulturrevolution gleich und besitzt absolut das Potential, sprachlos zurückzulassen, denn die dem Genre oft vorgeworfene Oberflächlichkeit wird hier zum Ende hin sozusagen fahrlässig aufgehoben. Ganz im Sinne der internationalen Verleihtitel, die sich mit der Stille beschäftigen, kann man schon sagen, dass sie den Nagel auf den Kopf treffen und vielleicht nur Shakespeare noch passender gewesen wäre, denn der Rest ist (hier tatsächlich) Schweigen. Ein wirklich hochklassiger Beitrag.

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Prisma

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