Foltergarten der Sinnlichkeit 2

Frankreich | Italien, 1973

Originaltitel:

Baba Yaga

Alternativtitel:

Magia negra (ES)

Exorcismo de amor (MEX)

The Devil Watch (UK)

Baba Yaga, Devil Witch (US)

Black Magic (US)

Kiss Me Kill Me (US)

Regisseur:

Corrado Farina

Inhalt

Als die Fotografin Valentina (Isabelle de Funès) nachts von einer Party heimläuft wird sie beinahe von einem altertümlichen Auto überfahren. Am Steuer ist eine ältere Dame (Carroll Baker), die sich mit dem Namen Baba Yaga vorstellt und über Valentina ein merkwürdiges Detailwissen zu haben scheint. Und von ihr eine Art Pfand, einen Strumpfhalter, einfordert. Valentina denkt sich nichts weiter dabei, aber am nächsten Tag, während einer Fotosession in ihrer Wohnung, steht plötzlich Baba Yaga vor der Tür und bringt das Pfand zurück. Im Lauf des Besuchs streicht sie mit den Händen über die bevorzugte Kamera Valentinas. Als Valentina kurz darauf bei Filmaufnahmen ihres Lovers Arno (George Eastman) Fotos machen will, streikt plötzlich Arnos Filmkamera. Bei der nächsten Fotosession Valentinas wird ein Model ohnmächtig und bricht die Session ab. Und als Valentina tags darauf einen demonstrierenden Hippie fotografiert bricht dieser unversehens tot zusammen. Als nächstes besucht Valentina Baba Yaga in ihrer Wohnung, wo sie eine Puppe im SM-Outfit geschenkt bekommt. Diese Puppe hat eine sehr sinistre Aura und es scheint einen Zusammenhang mit dem merkwürdigen Verhalten ihrer Kamera zu geben. Und dann tauchen nach einem Stromausfall Bilder auf dem Film in der Kamera auf, die andere Dinge zeigen. Böse Dinge …

Autor

Maulwurf

Review

Foltergarten der Sinnlichkeit. Boah, was für ein Titel. Ein Abend voller Schmodder und Schmier ist garantiert. Sowas ähnliches wie Arthouse im Frauenknast. Dr. Phibes meets Emanuelle. Der geneigte Zuschauer versenkt sich vor dem Fernseher, seine Hand in der Hose – und wird gnadenlos frustriert von einem kunstvoll gestrickten Film, wie er nur im Italien der 70er Jahre gedreht werden konnte. Ab und zu huscht eine halbnackte Frau durchs Bild, der Horror findet eher auf einer übergeordneten Ebene statt (dazu später mehr), und gefoltert wird nur einmal ganz kurz (und sinnlich!). Der Schmierfreund ist bitter enttäuscht, drückt nach 20 Minuten auf <Eject> und wird diesen Film sicher nie wieder anschauen. Was ihm da nicht alles entgeht …

 

Guido Crepax (1933 – 2003) war ein italienischer Grafiker und Comiczeichner, der in den 70er Jahren bevorzugt im Genre der gezeichneten SM-Kunst unterwegs war. So wurde er u.a. stark beeinflusst von dem Bondage-Künstler John Willie. Sein Zeichenstil kann als eine Art Film in Nahaufnahmen und Zeitlupen gesehen werden. Wenn sich seine Protagonistin beispielsweise auszieht, so zeigen seine Panels einzelne Körperteile und Details, das Gesamtbild entsteht nur im Kopf des Lesers. Ein sehr grafischer Stil, der zusammen mit den leichten Linien seiner Zeichenkunst eine schwebende und sehr erotische Stimmung zaubert.

 

1965 schuf Crepax die Fotoreporterin Valentina, die ihre Abenteuer oft im SM- bzw. Bondageumfeld erlebt. Die Geschichten um Valentina sind meist sehr traumartig und spielen mit den Realitäten. Das 4. Valentina-Abenteuer aus dem Jahr 1971 heißt Baba Yaga, und da Crepax in Italien sehr populär war, lag es natürlich nahe eine Valentina-Geschichte auch einmal zu verfilmen.

 

Wer nun Bilder der gezeichneten Valentina sieht wird staunen, wie nah Isabelle de Funès am gezeichneten Original ist. Ihrer etwas eingeschränkten Schauspielkunst steht somit die fast originalgetreue Umsetzung der Figur entgegen, die Prioritäten des Produzenten sind also klar zu erkennen. Da Mme de Funès, die tatsächlich die Nichte von Louis de Funès und die Tochter des Regisseurs Francois Gir ist, ihre Sache so schlecht nicht macht, ist das schauspielerische Limit wohl auch eher nebensächlich.

Was jedoch gar nicht nebensächlich ist, ist die Stimmung die den Film durchzieht. Da wäre einmal die intellektuelle Szene der Großstadt Mailand, die trendige Bücher liest (Marx, Melville), sich deutsche expressionistische Stummfilme anschaut und den Pop-Art der Zeit mittels erotischer Werbeaufnahmen und Partys voll auslebt. Dann wäre da die italienische Realität dieser Jahre, bestehend aus tristen Arbeitervierteln einerseits und dem Aufbegehren linker studentischer Gruppierungen andererseits. Immer wieder tauchen kurze politische oder soziale Diskussionen auf, versuchen die Hauptfiguren ihre linken Positionen verzweifelt zu behaupten. (Nur Arno ist so realistisch einzusehen dass er eine Hure ist, die ihre Filmkunst an den Meistbietenden verkauft.) Die Studenten, die 1971 in Elio Petris “Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“ noch wütend protestieren, haben sich 1973 längst in das bourgeoise Leben der Happenings, abgedrehten Partys und theoretischen Diskussionen zurückgezogen.

Und als dritte Ebene ist da die ich nenne es mal Parallelwelt der Baba Yaga. Ein altes Haus, mitten in Mailand, in dem die Wirklichkeit nicht zu existieren scheint. Baba Yaga selber sitzt in einem Stuhl und schiebt auf einem Oujia-Brett Steine herum, woraufhin anderswo Menschen sterben. Zumindest scheint es so. Außerdem hat sie ein Loch im Fußboden, das keinen Grund hat. Baba Yaga liebt junge Mädchen und zieht diese in ihren Bann, um mit ihnen sadoerotische Spiele zu spielen. Ist Baba Yaga eine Hexe? Oder nur eine bemerkenswerte ältere Frau? Und was hat es mit dieser Puppe mit den Ledergürteln auf sich? Warum scheint die Kamera Valentinas plötzlich die Zeit einzufrieren? Und woher weiß Baba Yaga soviel über Valentina?

 

Diese Fragen und die daraus resultierende unangenehme Stimmung durchziehen den Film und schaffen unterschwellig eine ganz eigenartige Gefühlslage, wie ein Kratzen, das langsam an die Oberfläche kommt. Die Verwirrung wird immer größer, immer unangenehmer, und so bildet sich allmählich ein Horror heraus, der nicht eindeutig zuzuweisen ist, sondern einfach immer da ist und alles beherrscht. Wie gesagt, ein Schockelement oder das klassische Gruselmonster gibt es hier nicht. Das Böse kommt auf leisen Sohlen, gewissermaßen. Und in der Verbindung dieses Grusels mit der leichten, immer wieder auftauchenden, Erotik und mit der etwas flippigen Lebensgestaltung der Figuren entsteht ein einzigartiges Flair – ebendieses Flair des italienischen Kinos der 70er Jahre. Wer Filme wie “The frightened woman“ oder vielleicht auch “Un bianco vestito per marialé“ mag, der ist hier auch gut aufgehoben. Gut, die ganz große Klasse wie der erstgenannte hat BABA YAGA sicher nicht, aber die Richtung sollte klar sein. Und die (Alp)-Traumsequenzen, in denen Valentina von deutschen Wehrmachtsoldaten abgeführt wird, oder in deutscher Uniform des ersten Weltkrieges ihr Model erschießt, habe ich dabei noch gar nicht erwähnt.

 

Die Schnitttechnik des Films ist stark an den Comic angelehnt. Wenn Valentina und Arno miteinander ins Bett gehen wird nicht hemmungsloser Sex gezeigt, sondern das Bild springt in der Zeit vor und zurück, zeigt mal Filmbilder und mal Stills die aussehen wie aus dem Comic, aber mit Filmmaterial. Die Ebenen zwischen den Kunstformen verschwimmen, genauso wie zwischen den Zeiten und den Realitäten, was weiters für eine andere, märchenhafte Atmosphäre sorgt. Dazu kommen ein grooviger Score von Piero Umiliani und unglaubliche liebevoll eingerichtete Settings zum Nicht-Sattsehen. Plus Ely Galleani auf dem Vordach im Regen (dieses Bild möchte ich nie mehr vergessen!).

Und wer sich an dem Schluss stört sollte daran denken, dass die Vorlage ein Comic ist, und Comics funktionieren manchmal nach anderen Gesetzen als Filme. Guido Crepax hat wohl als Comiczeichner Guido einen Cameo, was bedeutet, dass er an der Entstehung des Filmes sichtlich Interesse hatte, und bestimmt die ein oder andere Idee beigesteuert hat. Dass der Schluss auf Crepax’ Mist gewachsen ist kann ich mir ohne weiteres vorstellen.

 

Eine klare Empfehlung also für alle, die dieses spezielle Flair suchen, diese leichte und gleichzeitig düstere Mischung aus Pop-Art, Erotik, und Grusel. Und bloß nicht von diesem idiotischen deutschen Titel irritieren lassen! Der ist nämlich vom DVD-Label ausgedacht worden um den Film besser zu verkaufen. Mit dem völlig anders gearteten und mindestens genauso genialen “Foltergarten der Sinnlichkeit“ von 1975 hat FOLTERGARTEN DER SINNLICHKEIT 2 von 1973(!) nämlich überhaupt nichts zu tun.

 

Anmerkung: Den Text habe ich geschrieben bei der Erstsichtung vor längerer Zeit. Beim aktuellen Erstellen der Screenshots fällt mir erst auf, wie vielschichtig BABA YAGA ist, wie mit den Ebenen und den Bezügen gespielt wird. Wenn Valentina auf dem Sofa sitzt und ein Valentina-Comic durchblättert, oder wenn sie Visionen in Form grobkörniger Schwarzweiß-Fotos hat, die sich stilistisch natürlich wiederum an Crepax anlehnen, dann werden die Grenzen der Kunstform Film gesprengt und alles ist möglich. Und trotzdem ist dies kein verkopfter Arthouse-Schinken für Kunststudenten, BABA YAGA ist bei allem Kunstanspruch auch noch spannend und sexy. So aufregend konnte Kino mal sein …

Autor

Maulwurf

Veröffentlichungen

Die DVD von X-Gabu aus dem Jahr 2006 hinkt technisch mittlerweile ein wenig der Zeit hinterher. Das Bild ist in Ordnung, es liegen der deutsche und der englische Ton vor, letzterer mit deutschen Untertiteln. Als Extras sind zu finden der englische und der deutsche Trailer, ein Teaser, 10 Minuten an entfernten Szenen, eine Bildergalerie und der Trailer zu „Teil 1“.

Autor

Maulwurf

Links

OFDb

IMDb

Wikipedia

 

 

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