Estigma

Italien | Spanien, 1980

Originaltitel:

Estigma

Alternativtitel:

Stigma

Inhalt

Sebastián (Christian Borromeo) ist überzeugt, mit seinen Gedanken den Tod anderer herbeiführen zu können. So fühlt er sich verantwortlich für den Tod seines Vaters, bereut diesen aber keineswegs. Er glaubt nicht, dass dieser sein wirklicher Vater war und seine übersinnlichen Kräfte sagen ihm, dass sein Vater in den Armen einer Prostituierten starb. Nur kurz darauf stirbt eine Mitschülerin Sebastiáns in dessen Begleitung und wieder meint er, verantwortlich zu sein. Immer, wenn er jemandem den Tod wünscht, blutet seine Unterlippe wie ein Stigma, wenn derjenige dann tatsächlich verstirbt. Angie (Alexandra Bastedo), die Verlobte seines älteren Bruders, möchte sich näher mit Sebastiáns Problemen beschäftigen und versucht ihm mithilfe ihrer hellseherisch begabten Freundin Olga zu helfen. Sie stoßen dabei auf ein düsteres und gewalttätiges Geheimnis, welches auf eine früheres Leben Sebastiáns zurückzugehen scheint. Doch wird ihm das wirklich helfen? Denn Sebastián identifiziert sich komplett mit seiner einstigen Inkarnation.

Review

Nach 6 Jahren Horrorpause und 8 Abstechern in (Erotik-)Dramen und Komödien, bewies der Meister des allmählichen Spannungsaufbaus, dass er es immer noch drauf hat. Mit „Estigma“ inszenierte José Ramón Larraz einen unheimlichen Thriller, dessen Inhalt wegen seiner Vielschichtigkeit gar nicht so leicht zu beschreiben ist. Auch die Verwicklungen zwischen den einzelnen Personen sind verzwickt, doch am Ende fügt sich alles perfekt zusammen durch eine unerwartete Reise in die Vergangenheit einer völlig anderen Familie.

 

Die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist Sebastián, gespielt von Christian Borromeo, der seine durchaus schwierige Hauptrolle sehenswert meistert. Durch ein paar Spoiler will ich versuchen, die Vielschichtigkeit dieser Rolle zu erläutern. Sebastiáns Vater ist gerade verstorben, besonders betrübt ist er darüber nicht. Zunächst erfährt der Zuschauer von Sebastiáns Gabe des Zweiten Gesichts, weshalb er auch weiß, dass sein Vater gar nicht sein richtiger Vater ist, sondern er aus einer Affäre seiner Mutter entstammt. Zudem sei sein „Vater“ in den Armen einer Hure gestorben, und auf Sebastiáns Wunsch hin, denn er ist überzeugt, dass seine Gedanken töten können. Für seine Mutter, dargestellt von Helga Liné, hegt er zwiespältige Gefühle, die zwischen Abscheu und inzestuösem Verlangen schwanken. Deswegen bringt es ihn auch in Wut, dass seine Mutter schon längst einen neuen Liebhaber hat, dieser wird gespielt von Antonio Molino Rojo.

 

Einige Darsteller-Credits in den Datenbanken sind mir wirklich unklar, weswegen ich einige Rollen zu umschiffen gedenke. Man kennt das von spanisch-italienischen Co-Produktionen, 50/50-Credits, um Fördergelder zu erhalten, und plötzlich sind in den Datenbanken der Gegenwart Rollen doppelt vergeben, und ein gutes Gedächtnis für Gesichter wäre gefragt. Leider verfüge ich über kein solches.

 

Nachdem Sebastián den Tod einer Mitschülerin (seiner Ansicht nach) verschuldet, ist er mehr denn je überzeugt, dass er nur einem Menschen den Tod wünschen muss, damit dieser kurz darauf eintritt. Nun wird es schwierig, denn meiner Ansicht nach verschusselt die englische Synchro des Films ein paar Zusammenhänge. Sebastiáns älterer Bruder José (Emilio Gutiérrez Caba) hat eine Verlobte/Freundin namens Angie, gespielt von Alexandra Bastedo. Diese wiederum lebt mit einer deutlich älteren Freundin zusammen, der hellsichtigen Olga (Irene Gutiérrez Caba, Schwester von Emilio). Olga scheint zudem zärtliche Gefühle für Angie zu hegen, das ist typisch Larraz, aber ausnahmsweise unwichtig für den Fortgang der Story. José jedenfalls nimmt seinen jüngeren Bruder Sebastián mit, um ihn seiner Freundin Angie vorzustellen. Die englische Synchro nennt uns hierfür keinen Grund, denn eigentlich kann José seinen Bruder nicht leiden, hält ihn für böse. Warum stellt er seine Freundin nicht stattdessen seiner Mutter vor? Sehr seltsam.

 

Die hellsichtige Olga nimmt umgehend wahr, dass Sebastián besondere Fähigkeiten besitzt und nach einem kurzen Flirt mit dem locker 30 Jahre jüngeren Knaben hält auch sie ihn für bösartig, anhand seiner Ausstrahlung. Doch der Schaden ist angerichtet. Sebastián beginnt sich für Angie zu interessieren, und diese Gefühle scheinen beiderseitig, wenngleich von Angies Seite eher fürsorglicher Natur. Sie glaubt nicht, dass Sebastián böse ist und will ihm helfen. Gemeinsam mit der Hilfe Olgas will sie dem auf die Spur kommen, was ihn innerlich so belastet. Und so nimmt der Film – nach dem Ableben Josés – eine neue Richtung. Sebastián wird von Visionen seiner vermeintlichen Opfer geplagt, doch deren Gesichter werden immer wieder durch ihm fremde – aber trotzdem seltsam vertraut erscheinende – Gesichter überlagert. In einer Vision vermeint er zudem seinen eigenen Tod durch Selbstmord gesehen zu haben. Bei einer Hypnose-Sitzung mit Olga und Angie stoßen die drei schließlich auf ein früheres Leben.

 

Die englische Synchro gibt uns so gut wie keinen Hinweis auf den Ort, an dem sich diese vergangenen Ereignisse zugetragen haben. Trotzdem sehen wir Sebastián kurz darauf in einem Taxi dorthin fahren. Vorahnung? Unbewusste Erinnerung? Nein, denn Angie erscheint ebenfalls kurz darauf in dem verfallenen Herrenhaus, unabhängig von Sebastián. Also hat die Synchro da wirklich was verschluckt. Egal, denn jetzt folgt das blutige Finale.

 

„Estigma“ ist ein Film, der auf so vielen Ebenen funktioniert, dass es die reinste Freude ist. Seine Spannung bezieht er aus seiner Story und seinen Charakteren, alles steuert auf ein erschütterndes Finale hin. Gorehounds werden sich dagegen zu Tode langweilen, überhaupt sollten Gorehounds einen Bogen um Larraz‘ Filme machen, denn trotz dramatischen Gewaltausbrüchen in Larraz‘ Filmen geht es ihm nicht wirklich darum. „Estigma“ ist spannendes Mystery-Kino, hat aber leider nie seinen Weg nach Deutschland gefunden. Leider scheint er auch nur in englischsprachiger Synchro verfügbar.

Veröffentlichungen

2018 erschien „Estigma“ zusammen mit „Emma, puertas oscuras“ in den USA auf Blu-ray von Dorado Films. Beide Filme sind auf einer Disc und qualitativ nicht gerade berauschend. Während „Emma, puertas oscuras“ im spanischen Original mit englischen Untertiteln vorhanden ist, gibt es zu „Estigma“ nur die englische Tonspur und einen Audiokommentar. Als Bonus gibt es den sehr kurzen Kurzfilm „My friend Lisa“, der nichts mit Larraz zu tun hat, sondern von einem Bryan Martinez stammt. Beiliegend sind ein 8-seitiges Booklet, dass im Grunde nur einen kurzen Abriss von Larraz‘ Regiearbeiten bietet. Auf weiteren 4 Seiten findet man ein (kurzes) Larraz-Interview. Ebenfalls beiliegend sind zwei mini Mini-Poster und 5 verschwommene Picture-Cards. Auf der Cover-Rückseite ist für „Estigma“ eine Lauflänge von 86 Minuten angegeben, tatsächlich sind es 96 Minuten. Für „Emma, puertas oscuras“ ist eine Lauflänge von 75 Minuten angegeben, tatsächlich sind es 79 Minuten. Die Veröffentlichung ist keine Offenbarung, trotzdem sollte man zugreifen, denn besseres gibt es nicht und ist in den nächsten Jahren wohl auch nicht zu erwarten.

Links

OFDb
IMDb

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