Blutige Hochzeit

Frankreich | Italien, 1973

Originaltitel:

Les noces rouges

Alternativtitel:

Relaciones sangrientas (ESP)

Red Wedding (GBR)

L'amico di famiglia (ITA)

Núpcias Vermelhas (POR)

Wedding in Blood

Deutsche Erstaufführung:

23. Juni 1973

Regisseur:

Claude Chabrol

Kamera:

Jean Rabier

Drehbuch:

Claude Chabrol

Inhalt

Lucienne Delamare (Stéphane Audran) führt ein Eheleben, das eigentlich gar keins mehr ist. Ihr Mann Paul (Pierre Piéplu) ist Bürgermeister einer Kleinstadt und hat schon längst keine Antennen mehr für die Familie. Sie leben klassisch aneinander vorbei und es scheint, als habe Lucienne nur noch repräsentative Zwecke. Ihre Affäre mit Pierre Maury (Michel Piccoli) lässt sie aufleben, da er das gleiche Schicksal mit seiner schwermütigen Frau Clotilde (Clotilde Joano) teilt. Als Paul Delamare ihn zu seinem Stellvertreter ernennt und man sich häufiger in der Öffentlichkeit begegnet, ist zusätzliche Vorsicht geboten. Eines Tages verändert sich alles, da Maurys Frau stirbt, doch handelt es sich hierbei um einen natürlichen Tod..?

Autor

Prisma

Review

Claude Chabrols Gesellschaftsdrama "Blutige Hochzeit" basiert auf einem Kriminalfall der sich tatsächlich zugetragen hatte, und wurde ganz im Zuge seines Qualitätsanspruchs für den Goldenen Bären bei der Berlinale 1973 nominiert. Anfängliche Szenen des alltäglichen Lebens werden sehr einfach durch charakteristische Bilder und eintönige Szenen einer Ehe simuliert, bis es kurz darauf auch schon zu einem plötzlichen Ausreißmanöver kommt, indem sich die beiden Hauptpersonen namens Pierre und Lucienne in der Abgeschiedenheit treffen, um wild über sich herzufallen. Eine Affäre, die nur einen Bruchteil des normalen Tages einnimmt, scheint das Nonplusultra für einen frustrierten Mann zu sein, der sich in langweiliger Ehe mit einer kranken Frau befindet und daher die Abwechslung und das Risiko liebt, da er einfach mehr vom Leben erwartet. Auch seine Herzdame fristet dasselbe Dasein, da ihr politisch ambitionierter Mann keine Themen mehr berücksichtigt, die ein normales Familien- und Eheleben umfassen sollten. Claude Chabrol reißt ein empfunden simples Thema an, das daher noch nicht einmal besonders außergewöhnlich erscheint, und lässt dabei völlig offen, ob es sich tatsächlich um die oft beteuerte Liebe handelt, oder lediglich um ein Ausbrechen aus dem persönlichen Gesellschaftskorsett. Die Zweierkonstellation erweitert sich schließlich in vorhersehbarer Weise, da sich die Ehepaare aus dem Kleinstadtidyll gegenseitig gut kennen. Interessant wirkt das hierbei veranstaltete Schauspiel, oder vielmehr Versteckspiel, das oberflächlich aber vollkommen kultiviert vonstatten geht. Nur in der diskreten Zweisamkeit entsteht Intimität, Leidenschaft und Offenheit, die durch viele Wortspiele einen Eklat andeuten will: »In manchen Momenten glaube ich sie ist nur auf der Welt, um uns das Leben zu vermiesen!«

 

Der aufmerksame Zuschauer wittert bei so viel Unzufriedenheit der Hauptpersonen einen Mechanismus, der sie aus der persönlichen Unzufriedenheit befreit, doch der ruhige und geradlinige Verlauf gibt länger keinen Aufschluss darüber, in welche Richtung das Ganze eigentlich gehen wird. Daran arbeiten die Stars der Manege tatkräftig mit, und insbesondere Stéphane Audran und Michel Piccoli glänzen dabei in anspruchsvollen Darbietungen. Von der Anlegung her hat man beide Interpreten oft in ähnlichen Situationen sehen können, sodass sich leicht sagen ließe, dass es sich hauptsächlich um Routine handle. Dennoch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Schlüssel wieder einmal in der bemerkenswerten Interaktion und Ausdrucksstärke liegt. Obwohl beide Personen keinen speziellen Anlass geben, traut man beiden nicht so recht über den Weg, zumal sie sich in eher unscheinbaren Verhaltensweisen zeigen - außer im Bett, oder wo man sich eben gerade trifft. Doch der Ehebruch alleine sollte eigentlich kein Grund für derartige Skepsis sein. Insbesondere Stéphane Audran wirkt geheimnisvoll und sehr begehrenswert, außerdem sie zeigt die Bereitschaft, zwei verschiedene Charaktere in einem darzustellen. Zu Hause ist sie Mutter und Vorzeigeobjekt ihres einflussreichen Mannes, dem sie den Rücken frei hält und nicht mit unnötigen Erziehungsfragen belästigt. Mit ihrem Liebhaber taut die unnahbar wirkende Frau komplett auf und zeigt sich von ihrer lasziven Seite, wo die Dame von Welt sozusagen zur Dirne von Welt wird. Ihre Affäre unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht im Besonderen von ihrem eigenen Ehemann, doch seine Qualitäten als Liebhaber scheinen den Ausschlag zu geben. Michel Piccoli ist es in vielen seiner Rollen gelungen, quasi das Verbotene oder Ordinäre irgendwie umzukehren und salonfähig zu machen, zumindest im Schutze der dargestellten Diskretion.

 

Sein Stilmittel dabei ist, einen empfundenermaßen durchschnittlichen Eindruck zu machen, aber dennoch einen Mann darzustellen, dessen großer Vorteil es ist, in jeder Lebenslage erfinderisch zu sein. Auch sein Charme, seine Akkuratesse und Potenz kommt bei Frauen gut an. Eine weitere besondere Leistung sieht man von Claude Piéplu als Äquivalent der französischen Bourgeoisie. Seine von nahezu abstoßendem Pragmatismus dominierte Leistung sorgt zusätzlich für groteske Momente und harsche Kritik an gesellschaftlichen und politischen Seilschaften, da er als Aushängeschild und gleichzeitig Spiegel fungiert. "Blutige Hochzeit" wurde seinerzeit von der Zensur ins Visier genommen und die Premiere musste wegen Anspielungen auf die Parlamentswahlen des gleichen Jahres verschoben werden. Chabrol schlägt mit seinem Film allerdings zwei Fliegen mit einer Klappe, da nicht nur angeprangert, sondern gleichzeitig publikumswirksam inszeniert wird; man dementsprechend einen recht klassischen Kriminalfilm zu sehen bekommt. Unterlegt mit der hervorragenden Musik von Pierre Jansen und Wechselspielen aus malerischen bis hin zu trügerischen Bildern, bäumt sich der langsame Verlauf insbesondere zum Ende hin massiv auf, um seiner überzeugenden Strategie Genüge zu tun. Ganz im Sinne des stellvertretenden Milieus kommt eine bemerkenswert stichhaltige Dialogarbeit zum Tragen, in der sich Zynismus und Ironie, aber kaum Aufrichtigkeit finden lässt. Das Finale denkt überraschenderweise an diejenigen Personen, die übrig geblieben oder kaum in Erscheinung getreten sind, und buchstabiert politische Untertöne der Geschichte noch etwas deutlicher aus. Wenn schließlich alle Masken gefallen sind, wirkt es beinahe gespenstisch, dass die Bourgeoisie nicht auch gleichzeitig die Fassung verliert. Claude Chabrols "Blutige Hochzeit" ist von Anfang bis Ende sehenswert und es ist beeindruckend, Piccoli und Audran bei ihren mutigen Interpretationen zuzusehen.

Autor

Prisma

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