Auf St. Pauli ist der Teufel los

Frankreich | Italien, 1959

Originaltitel:

I magliari

Alternativtitel:

Les colporteurs (BEL)

Profession: magliari (FRA)

The Swindlers

Deutsche Erstaufführung:

14. April 1961

Regisseur:

Francesco Rosi

Inhalt

Der aus der Toskana stammende und kurz vor der Pleite stehende Mario Balducci (Renato Salvatori) folgt dem Ruf des Wirtschaftswunderlandes und begibt sich nach Norddeutschland. Allerdings fliegen ihm die gebratenen Tauben nicht wie erhofft in den Mund, sodass die Sorge um die eigene Existenz weiter geht. Der Trickbetrüger Tortonno (Alberto Sordi) nimmt sich seiner an und fungiert als Mentor, doch es stellt sich langsam aber sicher heraus, dass Mario aus ehrlichem Holz geschnitzt ist. Als er Paula (Belinda Lee), die Frau eines von Tortonnos Auftraggebern (Josef Dahmen) kennenlernt und sich eine leidenschaftliche Liaison anbahnt, fangen die Probleme erst an. Nach und nach bekommen es die italienischen Vertreter mit harter Konkurrenz auf St. Pauli zu tun, sodass es zu Revierkämpfen kommt, und zu allem Überfluss wird Mario wegen seines Verhältnisses zur schönen Paula aus den eigenen Reihen erpresst...

Autor

Prisma

Review

Der deutsche Titel von Francesco Rosis vielschichtigem Sozialdrama wird der Richtung und Intention des Films im Grunde genommen nicht gerecht, es sei denn man deutet einen Hauch Ironie in die Namensgebung, die St. Pauli als Lockvogel benutzt, um ein breiteres oder sensationslustiges Publikum anzusprechen. Nimmt man den Titel wortwörtlich, so verspricht er auf gewisse Intervalle bezogen bestimmt nicht zu viel, trifft allerdings nicht den bitteren Kern der Angelegenheit. Es geht um eine Reihe italienischer Gastarbeiter, die sich mehr schlecht als recht durchzuschlagen wissen, da sie im Kollektiv unterdrückt werden. So wirken die Charaktere ziemlich verloren im berüchtigten Wirtschaftswunderland, das unter Umständen zwar seine Möglichkeiten anbietet, aber auch nach eigenen, sehr harten Gesetzen funktioniert. Der italienische Titel "I magliari", was etwa so viel wie Stoffhändler bedeutet, verweist schlicht auf ein Scheindasein, bei dem man trotz der Gruppe auf sich alleine gestellt ist. Hierbei sind kleinere Betrügereien an der Tagesordnung, die jeder so gut es geht auch beherrschen sollte, um die Leute Gewinn bringend aufs Kreuz zu legen. Die teils zweifelhaften Protagonisten wirken dabei eigenartig sympathisch, bis sich im weiteren Geschehen die Spreu vom Weizen trennt. Falls man nochmals auf den deutschen Namen der Produktion zurückkommt, deutet sich eine halbseidene Welt an, die als guter Nährboden für derartige Geschäfte dient, außerdem ist in gewissen Sequenzen tatsächlich der Teufel los, wenn man verhaltene Blicke in die Gefühlswelten der Beteiligten gewährt bekommt, die stets Fremde bleiben werden, egal was sie auch tun. Die Hauptfiguren sprechen in neapolitanischem Dialekt, der eine Hektik aber auch prinzipielle Lebensfreude durchschimmern lässt und in Deutsch untertitelt ist. Interessant ist, dass Regisseur Rosi eine gute Gewichtsverlagerung bezüglich der gezeigten Milieus gelingt, außerdem für viel Verständnis werben kann, auch wenn gerade keiner spricht. Hierbei leisten die Darsteller Pionierarbeit, die ihre unterschiedlichen Ambitionen und Charaktereigenschaften deutlich herausarbeiten, ohne allerdings zu isoliert voneinander zu wirken. Über allem steht jedoch buchstäblich die Strahlkraft einer Belinda Lee.

 

»Sie ist wirklich seine Frau?« Hinterfragend schaut das Publikum auf Herrn Meyer, welches hinter vorgehaltener Hand womöglich ebenfalls auf diesen Gedanken gekommen ist, denn das Charisma und die Vitalität der begehrenswerten Paula Meyer wirkt wie ein unübersehbarer Gegensatz. Diese aufgeworfene Frage wird allerdings schnell mit einer Anmerkung quittiert, die wie eine der plausibelsten Erklärungen klingen will, die man sich einfallen lassen kann: »Ja, und er trägt Hörner.« Paula alias Belinda Lee wird sich im späteren Verlauf noch in ungeschönter Art und Weise selbst vorstellen, indem sie in einer verruchten Kiez-Kneipe auf ihre eigene Herkunft verweist, die einst ihr Zuhause gewesen sein soll. Auch scheint man sie zu kennen: »Ja, ich bin eine alte Nutte. Aber der einzige Unterschied zwischen mir und dieser Dame hier ist das Alter!« Die schöne Engländerin empfiehlt sich in dieser auf deutschem Boden spielenden italienisch-französischen Produktion für ihre kurz darauf folgenden Hauptrollen in der Bundesrepublik, und es ist mehr als ersichtlich, dass der teils angestaubt wirkende deutsche Film nur auf ein Wesen wie sie gewartet hat. Als Paula Meyer bahnt sie einen vermeintlichen Neben-Plot an, der allerdings eins wird mit dem Gesamtgeschehen, denn die schöne Gattin eines erfolgreichen Geschäftsmannes scheint ab sofort überall zu sein. Ihre Heirat ist wohl als reiner Pragmatismus zu deuten, denn schließlich konnte sie sich so aus dem Dreck ziehen, der in gewissen Momenten immer noch an ihr zu haften scheint. Wer glaubt, sie versuche es mit Vertuschung und Diskretion, ist auf einem völlig falschen Dampfer. Ihre teils wenig schmeichelhaften Offensiven sprechen eine andere Sprache, doch genau aus diesem Grund kommt es zu bedingungsloser Sympathie, da ihre Ehrlichkeit beeindruckend wirkt. Zunächst ist es vielleicht kaum zu verstehen, dass sie eine Liaison mit einem Habenichts wie Mario anfängt. Betrachtet man jedoch ihr Umfeld und malt sich jenes aus vergangenen Zeiten aus, fällt es einem wie Schuppen von den Augen, denn Mario Anziehungskraft setzt sich aus raren Attributen wie Aufrichtigkeit und moralischen Prinzipien zusammen.

 

Paula ist mehr als nur ein schönes Vorzeigemodell ihres Mannes, und sie verkauft sich nicht weiterhin unter wert, da sie bereits einen hohen Preis in der Alltagshölle namens Ehe bezahlen musste. Große Momente mit Belinda Lee entstehen in der Regel innerhalb einer ganz bestimmten Kopplung: Das Auge der Kamera kann ohnehin nicht von diesem so außergewöhnlich schönen Gesicht ablassen, die Regie in den meisten Fällen auch nicht, hinzu sollte eine zentrierte Dramaturgie kommen, die Lees exponiert in den Credits erscheinenden Namen ebenso prominent erscheinen lässt, wie ihre Aura. Diese Strahlkraft kommt in "Auf St. Pauli ist der Teufel los" in profan oder eher alltäglich wirkenden Momenten zu vollem Einsatz, wie etwa in einer lasterhaften Hafenkneipe, oder in einer heruntergekommenen Pension, in der sie sich mit Mario trifft. Im Alltag hat sie es sich angeeignet, eine Maske zu tragen, die so perfekt sitzt, dass ihr Mann ihr alle Fehltritte verzeihen dürfte. Paula ist eine Frau, die es zu halten gilt, sodass ihr Narrenfreiheit eingeräumt wird. Jedoch ist die Dame im edlen Nerz kein austauschbares Püppchen, sondern eine Frau mit Bedürfnissen und Prinzipien. Ihre Melancholie wird wie ein Geheimnis behütet, denn derartig labile Momente machen sie verletzlich und unsicher. Mit Mario kann sie die Eintönigkeit des Alltags vergessen, doch ein Versteckspiel bedeutet gleichzeitig die Limitierung der gemeinsamen Zeit, die nicht vollends für das entschädigt, was anschließend kommt. Belinda Lee kann in Francesco Rosis Kiez-Drama für die nachhaltigsten Eindrücke sorgen, was nicht gegen die originelle Geschichte sprechen soll, sondern für Lees besondere Art, ihre Rollen anzupacken und sie auszubuchstabieren. Hinzu kommt diese wortlose Dominanz, die in dieser Intensität sicherlich nicht alle Tage zu finden war und den doppelten Boden des Verlaufs tatkräftig unterstützt. So bleibt im Zusammenhang mit der Ausnahme-Erscheinung Belinda Lee zu betonen, dass sie hier nicht nur ein willkommenes Highlight bleibt, sondern wie üblich viel mehr darstellt, als der erste Blick offenbaren will.

 

In "Auf St. Pauli ist der Teufel los" schwingt viel Melancholie und Sehnsucht mit, was sich nicht nur auf das Heimatland der Protagonisten beziehen will, sondern vor allem auf die unerfüllten Wünsche der Hauptfiguren. Die schöne und voller Leben wirkende Belinda Lee steht sinnbildlich für derartige Eindrücke, wo hingegen die Männer-Riege vor allem für die mit Problemen behaftete Realität steht. Bei Mario wirkt es bis zum Auftauchen von Paula so, als sei er vollkommen verloren in einem Land, dessen Sprache, Regeln und Leute er nicht versteht. So glaubt man schließlich, Heimweh erkennen zu können und einen eigentlich von Grund auf guten Kerl, dem es zuwider ist, andere Leute betrügen zu müssen. Aber der alltägliche Kampf ums Überleben rückt Prinzipien und moralische Grundsätze ganz schnell in die zweite Reihe. Francesco Rosi fährt eine brillant ineinander übergreifende Doppelstrategie bezüglich der Handlungsstränge, und die Fülle von Zeit- und Lokalkolorit sorgt für hochwertige aber auch konträre Eindrücke, die schmeichlerisch schön und liebevoll verträumt, bis hin zu brutal deutlich und beklemmend eng wirken. Wer auf St. Pauli seine große Liebe finden will, kann dem Vernehmen nach lange suchen, allerdings sorgen die Hauptfiguren Belinda Lee und ihr Partner Renato Salvatori für gegensätzliche Fährten, die sich in der nebligen Hafenluft und den charakteristischen Hafengeräuschen treffen und verlaufen werden. Zu unsicher ist das Pflaster, auf dem man sich traumwandlerisch bewegt, zu echt ist die Umgebung, als dass sie etwas anderes widerspiegeln könnte als die blanke Realität, und zu surreal ist die Verbindung, als dass sie auf Dauer halten könnte. Paula und Mario belehren den skeptischen Zuschauer eines Besseren und man wartet förmlich auf das nahende Licht am Ende des Tunnels, das genauso gut ein entgegen kommender Zug sein könnte. "Auf St. Pauli ist der Teufel los" schildert eine von vielen tragischen Geschichten rund um Heim-und Fernweh, berichtet gestochen scharf über die Unverbindlichkeit des nebeneinander Herlebens, prangert leise die Mechanismen gesellschaftlicher Spaltungen an und beweist mit einfachen Mitteln, dass es sich um einen stilistisch und inszenatorisch hochwertigen Beitrag handelt, der leider etwas in Vergessenheit geraten ist.

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