Addio Onkel Tom

Italien, 1971

Originaltitel:

Addio zio Tom

Alternativtitel:

Goodbye Uncle Tom

Uncle Tom

Adios, Onkel Tom

Weißer Teufel, schwarze Hölle

Deutsche Erstaufführung:

27. Januar 1972

Inhalt

1968: Martin Luther King, der schwarze Bürgerrechtler und Gallionsfigur des Civil Rights Movement, fällt einem tödlichen Attentat zum Opfer – die Lage in den USA spitzt sich angesichts anhaltender Rassenunruhen zu und lanciert den Aufstieg der Black Panther Party, es droht ein neuer Bürgerkrieg. Inmitten dieser historischen Meilensteine verschlägt es die italienische Dokumentations-Mannschaft um Gualtiero Jacopetti und Franco Prosperi wiederum mitten ins Herz einer gespaltenen Nation. Nachdem sie von Südafrikas Status als britische Kronkolonie mit ihrem "Africa Addio" kritisch Abschied nahmen, gehen sie nun auf eine Zeitreise zurück in das sogenannte antebellum Amerika. Lange vor der Befreiung der Sklaven wird sodann der Leidensweg jener Verschleppten geschildert, welche Qualen sie zu durchleiden hatten und zu welch niederen Aufgaben man sie in Massen zwang. Für die Sklaventreiber das Geschäft ihres Lebens, „naturgemäß“, wie sie es selber nennen und sich darin gefallen. Nach Jahrhunderten der Erniedrigung an der afroamerikanischen Bevölkerung scheint die Stunde für die Weißen gekommen zu sein – doch was sagen unsere dies beobachtenden, wackeren Europäer mit der Kamera dazu? Die Antwort wird sie verblüffen!

Review

Diese Zäsur der US-amerikanischen Sklavenhistorie vermittelt auf unvergleichbar haptische Weise, wie der Bio-Amerikaner von einst zu den Schwarzen stand (bzw. auch jetzt immer noch steht): Als Ware, entmündigte Masse, Nutztiere, Stallhengste und Huren, von Gott höchstpersönlich verdammte Untermenschen. Dafür schlägt der Film als Vermengung aus reenactment (eine beliebte Übung der Amis in martialischem Fetisch und Geschichtsverklärung) und Tagesgeschehen zudem mehrere Brücken in seinen Erzählebenen und Symbolen – via der bewussten Egoperspektive der „europäischen Journalisten“ als Erzähler/Kameralinse kommen einem das Gegenwärtige und Vergangene entgegen, wie es inzwischen auch Adam McKay mit seinen jüngsten Polit-Komödien versucht und als Erklärbär scheitert. Die historisch verbürgten Gesellen*Innen, die sich hier in keifender Südstaaten-Noblesse tummeln, wollen nicht gefallen. Sie feiern und rechtfertigen stattdessen ihren Geschäftssinn mit dem geballten ‚minderwertigen‘ Fundus an Schwarzen:  Wie sich die nach pseudowissenschaftlichen stats erschlossenen Gruppen einsetzen/entsorgen lassen, wie die Jungen – Pups, sprich Welpen – gar drollig an der Leine zu führen sind, wie viele Nachkommen an Rohstoff ein Weib aus einer gewissen Anzahl aufgehetzter Samenhorter werfen kann, mit welchem Sparfutter sich allesamt abfüllen lassen, et cetera. Dieser Zynismus will sich keine Beschönigung gönnen, Kapitalismus funktioniert halt so und da war man als Weißer vom systematischen Prinzip her bislang stets auf der Gewinnerseite, selbst wenn man sich die Sklaven nur als Statussymbol ansammelt und damit über Ecken wirtschaftlich denkt.

 

Binnen der medialen Selbstreflexion US-basierter Künstler kommen die kritischen Standpunkte dazu ja inzwischen gewiss nicht selten zustande, wohl aber sind die Italiener eben doch unbefangener darauf aus, die Geschichte jenseits des Feelgood eines Zwei-Parteien-Systems (Gut vs. Böse, Konservative vs. Liberale, Batman vs. Superman, usw.) auseinanderzunehmen und die Exzesse des kommerzialisierten Rassismus zu beschreiben. Zwischen einer Nostalgie à la „Vom Winde verweht“ und regelrechten Holocaust-Bedingungen kommen die Bilder gestauter Menschenschwärme sodann als gemeinsamer Nenner zusammen – jenes Filmsprachen-Leitthema entlarvt die Geltungssucht der Ewiggestrigen als Herrenmenschen in ihrer bedingungslosen Industrialisierung. Jede Romantik wird fortan außer Kraft gesetzt, überwältigt von der Leidenslast der Körperströme, welche dem Dreck und der Gewalt am Bodensatz der Nahrungskette überlassen werden, sich auch gegenseitig anhand von Mammys und titelgebenden Onkel Toms bis zur Selbstverstümmelung in Hierarchien quetschen lassen. Sie haben keine andere Wahl, müssen leidensfähiger sein, um zu Gomorrha zu gehören, weiß der Sklaventreiber ihnen schon anhand der falsch verstandenen Bibel zu verklickern. Im virtuosen Breitwandformat nehmen einen die Eindrücke dieses Verderbens gefangen, prasseln in unmenschlicher Schnittmenge ein und geraten via Riz Ortolanis Score-Melodramatik (inklusive dem in NWR’s „Drive“ kontextbefreit eingesetzten Titelsong „More“) an die Grenze des Unerträglichen – ganz schön malade, von bombastischer Poesie. Jacopetti & Prosperi machen es einem gewiss nicht leicht, so statten sie ihren Post-Mondo dann auch mit streitbaren Thesen aus und betreiben ohnehin schonungslose Kolportage für den skandalverwöhnten Zuschauer anno 1971.

 

Alle primären Geschlechtsmerkmale der Exoten geraten reihenweise in den Fokus und die danach ausgespielten Sexnachtdienst-Fantasien spielen schon Vorschauen auf Trittbrettfahrer wie „Mandinga“ im inneren Auge des Betrachters ab, nur dass „Addio Onkel Tom“ daraus Hypokrisien und Idiotien binnen der weißen Saubermänner und -frauen der Plantagen-Chefetage schlussfolgert. In etwa: „Mein Mann macht sowas nicht! Unsere Sklaven werden nur deshalb von Generation zu Generation hellhäutiger, weil sie sich uns anpassen!“. Manche besonders prallen Zeitgenossen geben ihre Fickereien mit dem Personal aber auch offen zu, schließlich gehört das angeblich zur Körperpflege (des Egos) und macht ja Spaß, welche Farbkombinationen dabei herauskommen. Angesichts solch herber Satire hält der Film wiederum trotz aller Schockwellen und Freiheitssehnsüchte nicht zurück, die extremistischen Ambitionen der Black Panther und Co. zu hinterfragen. Sobald die (einstige) Gegenwart parallelisiert wird, das Attentat auf Martin Luther King, der status quo der afroamerikanischen Bevölkerung und die daraus folgenden Aufstände Gerechtigkeit fordern, stellt man z.B. Soundclips eines reverse racism seitens LeRoi Jones voran oder gar Splatter-Fieberträume von Nat Turners blutrünstiger Revolte (ebenfalls die Vorlage für Nate Parkers „The Birth of a Nation“). Gleiches mit gleichem vergelten oder die Schuldfrage via der Lehren Jesu Christi auflösen? Hier wird eben katholisch gedacht: Wenn auch mit Eigenkritik versehen (von „Wir sind Papst!“ keine Spur), versuchen sich die Italiener vom Evangelischen des allgemeinen Sklavenhändlers/Amerikaners abzugrenzen, präsentieren mittels der Spiegelung tyrannischer Cracker-Hackfressen & Close-Up-Empathien (schlechte Zähne haben sie jedenfalls alle gemein) die objektive Lösung der Vergebung, obgleich sich der Film da eine krasse kognitive Schere zum Gezeigten schafft - oder man denkt das nur, weil der Neoliberalismus einen inzwischen so auf Rache-ist-Blutwurst genormt hat.

 

Wie dem auch sei spricht der Film also im Zweifelsfall nicht stellvertretend für die Schwarzen (versuchen zig Oscarfilme mit White-Saviour-Komplex ja oft kläglicher Weise), bei der millionenfachen Misshandlung der menschlichen Seele sowieso kaum möglich, sondern übt sich in einer Distanz des hysterischen Bildersturms. Derart intensiv geraten sonst Zulawski oder Jodorowsky ins Panoptikum der Pein und bei denen gilt ja meist kein konkretes Politikum mehr, eher muss jeder die Umstände für sich selbst bewerten. Jenes Handling (inkl. verstrahlter Totentänze) kommt bei „Addio Onkel Tom“ insbesondere durch, da er die Wohlstandsästhetik des modernen Kaukasiers (manchmal auch Hippies) als lächerlich biedere Dekadenz outet, stattdessen fragt, ob sich die jeweiligen Parteien jemals in beiderseitig reinstem Gewissen lieben können (das zeigt sich übrigens so hinreißend kitschig, wie es klingt). Für diese Gefühlswelten ist ihm jedes Mittel recht – da entstehen Montagen, Versinnbildlichungen, Slo-Mo-Sterbeopern und sonstige Kamera-Übergriffigkeiten, als hätte man  den wahren Jakob an Menschenhandel angeheuert. Besonders hilfreich zur Bereitstellung jener Ressourcen war dann wohl auch der haitianische Diktator François ‚Papa Doc‘ Duvalier (auf sein Konto gehen knapp 30.000 Staatsfeinde) zugegen – Jacopetti & Prosperi erhielten als seine Gäste uneingeschränkte Drehgenehmigungen sowie Statisten vom Karibikstaat und einen abermals schlechten Ruf oben drein (siehe auch „Das Wilde Auge“). Kritiker wie Roger Ebert und Pauline Kael vermuteten einen ausgestellten Rassismus seitens der Filmemacher, jene schon immer zweifelhaften Macher behaupten/behaupteten seither hartnäckig das Gegenteil. Fest steht: Sie wollten aufrütteln - kamen, sahen und rannten mit einem Reifezeugnis menschlicher Untiefen davon.

Veröffentlichungen

Auf eine high-definition Aufbereitung, wie sie der Vorgänger „Africa Addio“ erfahren durfte, muss man bei diesem Film bis auf Weiteres noch verzichten. Mag vielleicht auch daran liegen, dass „Addio Onkel Tom“ seit Ewigkeiten auf dem Index steht und aufgrund zahlreicher Härten und Genitalien eventuell auch nicht so schnell von dort verschwindet. Wer aber den Händler („für den unterschlagenen Film“) seines Vertrauens aufsucht, könnte zumindest einige Varianten auf DVD beziehen. Uralte Videokassetten von VMP, IMV und EuroVideo gibt es auch, aber die sind in unterschiedlichstem Maße gekürzt. Gänzlich uncut (bis zu 135 Minuten!) brachten den Streifen hierzulande Simpel Movie und X-NK in mehreren Cover-Varianten (mit jeweils 2 Discs), aus den USA bieten sich zudem einige Ausgaben von Blue Underground an - das Bildmaster dürften alle gemein haben.

Filmplakate

Links

OFDb
IMDb

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