Piratenkapitän Mary

Frankreich | Italien, 1961

Originaltitel:

Le avventure di Mary Read

Alternativtitel:

Mary la rousse, femme pirate (FRA)

Hell Below Deck (GBR)

Queen of the (High) Seas (USA)

Fluch der Piraten

Unter der schwarzen Flagge der Piraten

Deutsche Erstaufführung:

01. Februar 1963

Regisseur:

Umberto Lenzi

Inhalt

Die Straßenräuberin Mary Read wird auf frischer Tat ertappt und anschließend in einen Londoner Kerker, wo Mary den irrtümlich inhaftierten Lord Peter Goodwin kennen lernt, gesperrt. Im Anschluss an ihre geschwind folgende wie freilich erfolgreiche Flucht heuert die listige Diebin auf dem Schiff des Freibeuters Captain Poof an, um auf den Meeren nach neuen Abenteuern und möglichen Reichtümern zu suchen. Als das Schiff von den Spaniern gekapert und der Captain getötet wird, ermutigt Mary die Freibeuter zur Meuterei, schlüpft in die Rolle des Captain Proof und segelt fortan als räuberische Piratenbraut durch die Gewässer. Doch die Jägerin wird schnell zur Gejagten, denn die britische Krone hat ein Sonderkommando (unter der Leitung von Marys ehemaligen Kerkergenossen Lord Peter Goodwin) zusammengestellt, das die Meere von der Piraterie befreien soll.

Review

Umberto Lenzis zweite abendfüllende (!) Regiearbeit (nach „Mia Italida stin Ellada“) ist zugleich meine fünfte Besprechung eines Lenzi-Vehikels in Folge. Nachdem ich Sie zuvor in die Welten von Peplum, Eurospy und Western entführte, sind wir diesmal auf einem der sieben Meere zu Gast, um uns von seeräuberischen Geschichten aus strapazierfähigem Seemannsgarn, das sich grob an der Lebensgeschichte der Mary Read orientiert, unterhalten zu lassen. Genannte Mary Read war eine 1685 geborene und mit 36 Jahren an Fieber verstorbene Engländerin, die, wenn es die Situation erforderte, in Männerkleidung schlüpfte und, so besagen es die Erzählungen um ihre Person, unerschütterlich tapfer als Piratin wie Freibeuterin ihnen Mann stand. Lenzi inszenierte demzufolge einen Film, der keinen maskulinen, sondern einen femininen Charakter in den Fokus von Freibeuterei und Piraterie rückt. Eine Methode, die freilich kein Novum darstellt, denn in den frühen 1950er Jahren gestand man dem weiblichen Geschlecht (innert der Piratenfilme) wesentlich mehr Spielraum respektive eine Autorität zu, die ihren Vertreterinnen fortan bedeutsamere Rollen unter der lichtspielerischen Totenkopfflagge ermöglichte. So wurde Yvonne De Carlo als und in „Die Piratenbraut” (USA, 1950) mit einer deutlich dominantere Filmfunktion ausstaffiert als es bislang bei ihren Kolleginnen, die zumeist als schmückendes und vornehmlich ineffizientes love interest auftraten, der Fall war. Noch deutlicher wurde der feminine Ausnahmezustand mittels „Die Piratenkönigin“ (USA, 1951), wo Jean Peters als femininer swashbuckler den symbolischen Segelmast erklomm und einhergehend gar zur allegorischen Herrin der sieben Meere emporstieg. Ein weiteres Beispiel ist Maureen O’Hara als die Piratin Prudence Stevens, der innert George Shermans „Gegen alle Flaggen“ die Wahl zwischen dem bürgerlichen und dem Piratenleben offeriert wurde. Ich könnte die Liste mit den Filmproduktionen „Lady Rotkopf“ und „Die Geliebte des Korsaren“, beide 1952 in den USA fertig gestellt, erweitern, da ich diese Filme jedoch bisher nicht sichten durfte, fehlt mir der benötigte Background, um sie wirklich eindeutig zu kategorisieren, sodass ich die Titel nur mit vorgehaltener Hand nennen mag.

 

Im Stiefelland nahm man sich der Thematik: Furchtlose Ladies im Aktionsradius von Jolly Roger, ebenfalls an. Dafür zeugen Mario Soldatis „Lucrezia, die rote Korsarin“ (ITA, 1952), Mario Costas „Venus der Piraten“ (ITA, 1960), Luigi Capuanos „Tiger der Meere“ (ITA, 1962) und eben Lenzis „Piratenkapitän Mary“. Ein Piratenfilm, der mit einer Musik angestimmt wird, die sehr amerikanisch klingt und demgemäß jederzeit in einem amerikanischen Seeräuber-Vehikel zum Einsatz kommen könnte. Ein Klangkonstrukt, das eine ebenso genretypische Ausstrahlung zu eigen hat wie die von Lenzi gewählten Schauplätze und seine darin waltenden Figuren wie Charaktere. Lenzi erzählt gemeinsam mit seinen Drehbuchautoren, die nach ihren Vorstellungen gestaltete, grob an den Fakten orientierte, Geschichte der furchtlosen Diebin, Freibeuterin wie Piratin Mary Read. Eine Geschichte, die flink konkretisiert, dass Mary gern in Männerkleider schlüpft, um später in selbstbewusster Manier ein mehr oder minder strenges Regiment zu führen und die Halunken der Meere gegen die spanische wie englische Flotte in Stellung zu bringen.

 

Doch die (von mir) in diesem Zusammenhang erwarteten Kämpfe und Seeschlachten sind rar gesät. Es werden lediglich eine kleine finale Schlacht sowie der ein oder andere Degenkampf, in denen Mary Read ebenso selten zum Einsatz kommt, geboten. Doch sollte sie tatsächlich am Kreuzen der Klingen beteiligt sein, dann wirkt ihr Einsatz, besonders mit Blick auf ihre prägnante Rolle, äußerst halbherzig. Das Spiel der Lisa Gastoni besitzt viel Luft nach oben und hätte deutlich mehr Enthusiasmus verdient als die Darstellerin letztendlich in ihre Rolle investiert. Ihre Darbietung ist ein Schatten dessen, was beispielshalber Jean Peters wie Maureen O’Hara oder - um Italien treu zu bleiben - Gianna Maria Canale (Consuelo in „Tiger der Meere“) in ihren Piratenrollen ab- wie aufziehen. Was die genannten Figuren unterdessen miteinander verbindet, ist - das Piratenleben mal außen vorgelassen - der Mann, der an ihre Seiten tritt und sie erobern will.

 

Das Kämpfe und artverwandte Actionsequenzen innert „Piratenkapitän Mary“ nur einen kleinen Part bekleiden, zeugt freilich nicht dafür, dass der Film ohne eine spezielle Form von Bewegung daherkommt. So treten weniger spektakuläre Attraktionen, der Tanz sowie die weniger als Drill denn als spielerische Leichtigkeit suggerierbare Schulung in einer Kadettenschule, in den Vordergrund. Man kann beides als besondere Schwingungen (das Pendeln zwischen zwei Identitäten) der betroffenen Protagonisten deuten. Lord Peter Goodwin, der während seiner militärischen Ausbildung zwischen Tunichtgut und Offiziersehren schwingt, Mary Read, die während eines Balls zwischen gerissener Diebin und begehrenswerter Dame schwingt. Schwingungen, die in letzter Konsequenz von symbolischer Bedeutung sind, da sich beide Personen in naher Zukunft für eine der Rollen entscheiden müssen, damit eine gemeinsame Zukunft realisierbar ist. So weit so gut, aber was mir bei dieser Konstellation fehlt, ist der für Intrigen sorgende Bösewicht. Lenzi schneiderte seinen beiden Hauptprotagonisten zwar wechselnde Rollengewänder, verzichtete allerdings auf die beidseitig spitze Nähnadel, die dem Schneiderlein das Daumenblut entzieht, welches dem Kausalprinzip folgend, die Kleidungsstücke mit alarmierenden roten Flecken dekoriert.

 

Fazit: Ungeachtet, dass mich Lenzis, lose an der Lebensgeschichte von Mary Read orientierter, unspektakulärer, aber passabel inszenierter Piratenfilm relativ saturieren konnte, bleibt dem Vehikel jenes Außergewöhnliche, das den Film wie im Besonderen seine Heldin hätte individualisieren können, erwartungsgemäß auf der Strecke. Schließlich unternimmt die furchtlose Diebin, Freibeuterin wie Piratin, Mary Read, nicht einmal den Versuch ihren Geliebten zur Piraterie zu verführen und versinkt stattdessen als unterwürfiges love interest in dessen Armen. Sie lässt sich ihrer, über weite Teile den Films waltenden, femininen Dominanz berauben, um künftig ein sorgenfreies Leben (was möglicherweise gar die Erfüllung ihrer tiefsten Sehnsüchte reflektiert) im Adelsstand zu führen. Ergo ist Mary - ebenso wie ihre eingangs skizzierten amerikanischen Vorgängerinnen - als Piratin gescheitert!

Veröffentlichungen

Gesichtet wurde die DVD des Billiglabels NUM, welches den Film in erwartet schlechter Qualität offeriert. Das Bildformat ist an beiden Seiten stark beschnitten und innerhalb der dunklen Bildsequenzen kann man so gut wie nichts erkennen. Auch wenn „Piratenkapitän Mary“ kein Überflieger ist, so hätte der Film deutlich mehr Zuwendung verdient.

Links

OFDb
IMDb

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