The Child - Die Stadt wird zum Alptraum

Deutschland | Italien, 1972

Originaltitel:

Chi l'ha vista morire?

Alternativtitel:

Qui l'a vue mourir? (F)

Quién la ha visto morir? (ES)

Who Saw Her Die? (USA + Int.)

Regisseur:

Aldo Lado

Inhalt

Die kleine Roberta (Nicoletta Elmi) lebt eigentlich gemeinsam mit ihrer Mutter (Anita Strindberg) in London, stattet aber aktuell ihrem Vater einen mehrtägigen Besuch in der Lagunenstadt Venedig ab. Da sich der sehr beschäftigte Bildhauer Franco Serpieri (George Lazenby) nebenher auch noch ein paar Stunden mit seiner Geliebten vergnügen möchte, schickt er seine heißgeliebte Tochter zum Spielen mit den anderen Kindern aus dem Haus, um sich in der Zwischenzeit seiner bedürftigen Libido widmen zu können.

 

Am Abend ist Roberta jedoch plötzlich spurlos verschwunden und voller Panik startet Franco eine großangelegte Suchaktion in der geheimnisvollen Lagunenstadt. Doch schon tags darauf ist jegliche Hoffnung dahingesiecht, da im Kanal bereits die Leiche des rothaarigen Mädchens angeschwemmt wurde.

 

Nachdem die Beisetzung von Statten gegangen ist, macht sich Franco auf eigene Faust auf die Suche nach dem Mörder und kann unter der Mithilfe seines Freundes, dem Journalist Kuni (Piero Vida) in Erfahrung bringen, dass ein Serienmörder bereits seit längerer Zeit in Venedig sein Unwesen treibt und dem bereits mehrere Kinder auf eine ähnliche grausame Art und Weise zum Opfer gefallen sind. Als Täter wird eine schwarzgekleidete und schleierverhangene Frau vermutet, deren Identität aber bis zum heutigen Tag noch nicht ermittelt werden konnte.

 

Geplagt von zentnerschweren Schuldgefühlen steigert sich Franco immer tiefer in die Suche nach der unbekannten Täterin und stößt dabei auf ein grausames Geheimnis. Doch plötzlich kommt es zu weiteren Morden und das Leben der Serieris befindet sich schlagartig in aller höchster Gefahr...

Review

Aldo Lados Venedig-Thriller kann schon alleine aufgrund der einzigartigen Atmosphäre Venedigs überzeugen, wobei hier aber auch bildtechnisch ordentlich vom Stapel gelassen wurde. Der Film versprüht eine wunderbar alptraumhafte Atmosphäre und wartet mit stimmungsvollen Bildern auf, die einen direkt in ihren Bann ziehen können. James "Lazenby" Bond legt eine souveräne Leistung an den Tag und verkörpert den schuldgeplagten Vater auf der gnadenlose Suche nach dem Mörder seiner Tochter mit Bravour. Frau Strindberg gibt in der Rolle seiner getrennt lebenden Ehefrau auch mal wieder eine sehr gute Figur ab, lediglich die Spielzeit hätte hier etwas üppiger ausfallen dürfen. Adolfo Celi ist in der Rolle des undurchsichtigen Kunsthändlers "Serafian" zu bestaunen, der auch sehr solide von ihm verkörpert wird. Zuguter letzt kann die junge Nicoletta Elmi ein weiteres Mal mit ihrem kindlichen Charm beeindrucken und meistert überzeugend ihre Rolle der ermordeten Tochter mit dem roten Haar. Lediglich die Auflösung des Plots hätte im Endeffekt ein wenig opulenter ausfallen können, da der Film somit nur ein ein oberes Mittelmaß erreicht (was aber auch völlig ok ist). Gekrönt wird das Ganze durch die kinderchorlastige Filmmusik von Maestro Morricone, die bereits nach dem ersten Erklingen schon nicht mehr aus den Gehörgängen zu bekommen ist.

 

Fazit: Alles in Allem eine sehr spannende und visuell ansprechende Inszenierung, die lediglich ein wenig bei der Konstruktion des Plots schwächelt...

Review

Eine Stadt wird zum Alptraum
Aldo Lados vergessenes Kleinod The Child

 

1.
Der italienische Genre-Maverick Aldo Lado hat seinen Hitchcock sorgfältig studiert. So sorgfältig, dass ihm mit nur zwei Giallo-Thrillern zugleich bedeutende Meilensteine dieses italienischen Genres gelungen sind. Dabei wird sein Venedigfilm The Child oft mit Nicolas Roegs epochalem Mystery-Thriller Wenn die Gondeln Trauer tragen verglichen, der erst im Jahr darauf (1973) ins Kino kam, daher also kaum als Vorbild dienen konnte. In der Besetzung bediente sich Lado auf ungewöhnliche Weise nicht im eigenen Genre, sondern spekulierte auf die Popularität der James-Bond-Reihe: George Lazenby hatte 007 zwar etwas farblos aber in einer soliden Inszenierung in Im Geheimdienst ihrer Majestät (1969) gespielt und tritt hier als Vater und bildender Künstler auf. Dazu kommt Adolfo Celi, der Emilio Largo in James Bond - Feuerball (1965) dargestellt hatte. Anita Strindberg dagegen kannte man bereits aus Lucio Fulci A Lizard in a Woman’s Skin (1971) und Sergio Martinos Der Schwanz des Skorpions (1971). Danach sah man sie noch in Martinos Your Vice Is a Locked Room and Only I Have the Key (1972) und Alberto de Martinos Schwarze Messe der Dämonen (1974). Unvergesslich ist in The Child aber Ennio Morricones ungewöhnlicher Soundtrack, der fast durchweg auf Kinderchöre baut, die mal unheimlich, mal fatalistisch das Geschehen kommentieren.

 

2.
Alles beginnt in dem Bergen, im Schnee: Im französischen Megève wird die rothaarige Nicole während eines Schlittenausflugs von einer schwarz gekleideten verschleierten Frau erschlagen und verscharrt. Vier Jahre später besucht die ebenfalls rothaarige Roberta Serpieri ihren Vater Franco Serpieri (Lazenby), der dort als Bildhauer arbeitet, in Venedig. Bald verschwindet sie jedoch spurlos und wird wenig später tot aufgefunden (eine Szene, die in ihrer Inszenierung erstaunliche Parallelen zu dem Fischen der Frauenleiche aus Venedigs Kanal in Roegs Film aufweist). Ihr trauender Vater beginnt, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen, vor allem, weil er dem geschwätzigen und eher zwielichtigen Kommissar De Donato nicht vertraut. Auch die Mutter des Mädchens, Elizabeth Serpieri (Strindberg), ist aus Amsterdam angereist und begibt sich auf die Suche nach dem Mörder. Die auffälligen Ähnlichkeiten der Morde führen sie zu verschiedenen Personen, die sich flüchtig kennen und allesamt verdächtig sind: Der Kaufmann Serafian (Celi), eine Freundin, Ginevra Storelli (Dominique Boschero) und deren Liebhaber Filippo Venier (Peter Chatel) sowie der Anwalt Bonaiuto (José Quaglio). Doch die Spuren führen scheinbar ins Leere. Statt dessen geraten die Eltern selbst in Lebensgefahr. Am Ende entdeckt Franco, dass Pater James (Alessandro Haber), der Bruder von Serafian, die Morde begangen hat, da er von Erinnerungen an seine Mutter, eine rothaarige Prostituierte, geplagt wird.

 

3.
The Child ist ein Film von großer visueller Schönheit und verstörender Tongestaltung, der die inhaltlichen Unebenheiten der Narration bald vergessen lässt. Hört man Morricones Kinderchöre isoliert auf dem Soundtrack, stellt sich bald ein zuckriger Überdruss ein – in Kombination mit den beklemmenden Bilder aber entfaltet sich eine morbide Dynamik. Intensiv arbeitet Lado mit einer oft subjektiven Kamera, die den Zuschauer zwingt, den Blick des Mörders einzunehmen. Dieser Blick ist meist durch einen Schleier vor dem Gesicht gekennzeichnet, der zur Maskierung des psychotischen Paters gehört. Diese Stilisierung findet sich gleich zu Beginn, als das Mädchen im Schnee attackiert wird und auf schockierend ‚trockene’ Weise mit einem Stein den Schädel eingeschlagen bekommt.

In eher fahlen Farben zeichnet der Film das Bild eines wenig touristischen, karg anmutenden Venedigs, wie man es auch in Wenn die Golden Trauer tragen geboten bekommt. Und auch diese Motiv nimmt The Child vorweg: Wenn die Eltern hier den Sarg ihrer Tochter auf Booten durch die Lagunen begleiten. Auf subtile und schleichende Weise wird die Stadt zum Alptraum für alle Beteiligten.

 

Anm.: The Child ist bei Koch Media auf DVD erschienen.

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