Caligula

Italien | USA, 1979

Originaltitel:

Caligola

Alternativtitel:

Io, Caligola

Caligvla

Caligula, My Son

Deutsche Erstaufführung:

25. April 1980

Inhalt

Der junge Prinz Caligula ist der nächste in der Thronfolge Roms. Gleich nach seinem greisen und von der Syphilis zerfressenen Großvater Tiberius, und fast gleichauf mit seinem Halbbruder Gemellus. Somit heißt die Hauptaufgabe „Überleben“, und mit dem Anführer der Prätorianer Macro an seiner Seite widmet er sich dieser Aufgabe dann auch proaktiv: Der Großvater wird ermordet, Caligula wird Cäsar, und alle möglichen Nebenbuhler und Rivalen werden aus dem Weg geräumt, gleich ob es um die Macht oder die Frauen geht. Jetzt kann er sich hemmungslos mit seiner Schwester Drusilla vergnügen, kann sich für sein Kind die (Zitat) „verkommenste Schlampe Roms“ als Mutter aussuchen, und überhaupt ganz einfach völlig die Sau rauslassen. Beim Volk ist er ausgesprochen beliebt, denn er weist den mächtigen Senat in seine Schranken und sorgt neben Steuersenkungen auch für allerlei lustiges Amüsement, wie etwa der Massenexekution durch gigantische Tötungsmaschinen. Als allerdings Drusilla am Fieber stirbt, stirbt auch etwas in Caligula, nämlich sein Verstand. Er verfällt zunehmend dem Wahnsinn, sein Versuch der Regierung wird zunehmend zur Tyrannei, und er selber wird für seine Umgebung immer mehr zur Gefahr. Orgien sind zwar etwas tolles, aber wenn man als Teilnehmer nicht weiß ob man sie überlebt, leidet die Geilheit fast zwangsläufig …

Autor

Maulwurf

Review

„Könnt ihr nicht mal eine Minute das Intrigieren sein lassen?“

 

Skandal im Tempelbezirk

Es gibt Filme, über die wird schon seit ewigen Zeiten gesprochen, die einen Ruf als „Skandalfilme“ haben, und doch hat sie kaum jemand gesehen. DIE 120 TAGE VON SODOM sind so ein Fall, und CALIGULA ebenfalls. Ich wusste lange nicht ob mich dieser überhaupt interessiert, und selbst beim Bestellen befürchtete ich mir nur einen originalverpackten Staubfänger besorgt zu haben. Gewalt und Sex in abstoßender Mixtur, so heißt es. Im Internet liest man Dinge wie „… hineinmontierte Orgien, Sexszenen und Geschmacklosigkeiten …“ oder “Eine stringente, fesselnde Handlung sucht man ebenso vergebens wie ausgefeilte Charakterstudien oder politische Analysen zum Thema Machtmissbrauch und Totalitarismus.“. Auf der anderen Seite dann aber auch Meinungen wie “Wenn Porno so aussehen würde dann wären Porno und Erotik keine zweierlei Genres.“ und “Mit einer gewalttätigen, durchdachten und glaubwürdigen Geschichte nahe am historischen Vorbild, gewaltigen Bildern und der passenden Musik.“. Ja was denn nun? Fakt ist, dass die ursprünglich 240 Minuten lange Fassung nur in Cannes gezeigt wurde, und wir Normalverbraucher uns mit 156 Minuten beschränken müssen. Das ist der wirkliche Skandal! Fakt ist aber auch, dass Tinto Brass einen Film über eine Orgie der Macht drehen wollte, die Produzenten aber einen Film über (Zitat Tinto Brass) “die Macht der Orgie“ geschnitten haben. Was eigentlich skandalöser ist als der ganze Film, aber auch ein Licht auf eine gewisse Zerrissenheit des Films wirft und die Polarisierung der Zuschauer erklärt, erwartet doch der eine sexuell aufgeladene Blutorgien (und bekommt eine Abhandlung über Macht serviert), während der andere ein Historiendrama sehen möchte (und einen römisch-amerikanischen Hardcore-St(r)eifen bekommt).

 

Die spinnen, die Römer

Der wahre Caligula war wahrscheinlich vieles, nicht aber unbedingt wahnsinnig. Ich möchte auf den untenstehenden Link zur Wikipedia verweisen anstatt den Inhalt des Artikels wiederzukäuen, aber eines lässt sich festhalten: McDowells Anlage des Kaisers scheint gar nicht so weit entfernt von der historischen Gestalt des Caligula. Ein junger Mann, fast noch ein Kind, früh zur Herrschaft bestimmt, der mit dem damit einhergehenden Druck nicht zurechtkam, und seiner Schwester Drusilla zutiefst ergeben war. Aus heutiger Sicht würde man wahrscheinlich sagen, dass er zu früh auf eine Führungsposition gehievt wurde, ohne die Voraussetzungen dazu zu haben. Auch die historischen Geschehnisse wie die Ermordung von Tiberius auf Capri und das Ausrufen der Kaiserschaft durch den Prätorianer Macro werden im Film korrekt wiedergegeben. Die Ehe mit Caesonia allerdings wird für die Spannung ein wenig zurechtgebogen, was aber dem Film durchaus zugute kommt. Schlussendlich schleicht sich beim Lesen des Artikels dann ein Lächeln auf das Gesicht, werden doch Originalzitate Caligulas geschickt in die Filmhandlung mit eingeflochten, etwa “Sollen sie mich doch hassen, solange sie mich fürchten“. Ein wenig wie die Sepp Herberger-Zitate bei DAS WUNDER VON BERN …

 

Orgien, Orgien, wir wollen Orgien

Produziert wurde CALIGULA von Bob Guccione, dem Gründer und damaligem Herausgeber der Penthouse. Was dazu führte, dass 13 Penthouse-Mädels mitspielten und ihre attraktiven Körper zur Verfügung beziehungsweise zur Benutzung stellten. Wie die Penthouse-Pets Lori Wagner und Jane Hargrave beide beteuern wurden am Set echte Orgien mit echtem Sex gefilmt (und beide geben in zeitgenössischen Interviews an dabei auch eine Menge Spaß gehabt zu haben). Tinto Brass selber hatte an der endgültigen Schnittfassung keinen Anteil, weswegen seitens Guccione ebendiese Sexszenen hinzugefügt wurden. Aber mal ganz ehrlich, diese Szenen sind ausgesprochen sexy und schaden dem Film in keinster Weise, wenngleich die originale Fassung sicher auch höchst sehenswert wäre. Aber in der vorliegenden Fassung wird die Verkommenheit der römischen Gesellschaft umso greifbarer, die alles beherrschende Lust umso dichter. Und Spaß macht das Zuschauen auch. Hier wird nicht geschmuddelt und es gibt auch keine körnigen Inserts mit unschönen Nahaufnahmen haariger Geschlechtsteile. Im Gegenteil, filmtechnisch ist qualitativ kein Unterschied zwischen dem Material von Brass und dem von Guccione zu sehen. Die Lesbenszene während des Gewitters etwa ist mit viel Gespür für die Atmosphäre gefilmt und geschnitten worden und ist allen Ernstes ein erotisches Highlight meiner Filmsammlung. Und die große Orgie auf der Liebesgaleere, nun ja, die pendelt sowieso zwischen bizarrer Geilheit und grenzenloser Lust hin und her dass es nur so eine Freude ist.

 

Malcom McDowell erklärte in einem Interview, dass im antiken Rom Sex etwas völlig normales war, und dass die Römer damit sehr freizügig umgegangen sind. Die Verdammung des Sexus und das Abrutschen in das Dunkle und Verborgene sei der christlichen Lehre zu verdanken, womit die Darstellung im Film möglicherweise recht realitätsnah sei. Und laut Bob Guccione handelt es sich bei CALIGULA sowieso nicht um Pornographie sondern um „Paganographie“, also heidnischen Sex. Mir soll es recht sein, als Filmliebhaber und Freund schöner und nackter Frauen kann ich dieser Version eh begeistert zustimmen! Zur mutmaßlichen Brass-Fassung werde ich weiter unten noch etwas schreiben.

 

Letzten Endes ist es halt so gewesen, dass Brass vertraglich von vornherein bereits das Recht am Endschnitt verweigert wurde, er dies aber akzeptierte. Was er nicht akzeptierte war, das Bob Guccione ohne sein Wissen Sexszenen drehen ließ die im Endschnitt verarbeitet wurden. Brass zog daraufhin seinen Namen zurück (im Vorspann steht nur „Principal Photography: Tinto Brass“). Wie es dann in Italien zu den Gerichtsverhandlungen wegen der Pornographie kam wurde aber interessanterweise wiederum Brass belangt. Der aber ist tatsächlich studierter Volljurist und konnte in längeren Verhandlungen glaubhaft machen, dass jemand, der einen Film nicht schneidet, ihn auch nicht verantworten kann. Brass bekam Recht, die amerikanischen Produzenten allerdings wurden nie in irgendeiner Weise belangt.

 

Holt mich hier raus, ich bin ein … Gott

Vor der Kamera konnte Tinto Brass so einiges versammeln, was der Mainstreamzuschauer niemals in einem wie auch immer gearteten „Schmuddelfilm“ verorten würde. OK, Malcolm McDowell kennt man ja aus CLOCKWORK ORANGE, und der hat ja eh einen an der Klatsche. Mitnichten! Der Mann ist damals Mitglied der Royal Shakespeare Company gewesen, und wenn man sich CALIGULA in der englischen Synchronisation anschaut merkt man auch, dass er hier reichlich Erfahrungen aus schmutzig-blutrünstigen Königsdramen einfließen lässt. Die Grenzen zwischen Macbeth, König Lear und Caligula verschwimmen zusehendes, und das Getriebene in seinem Blick, sowie die Bereitschaft absolut alles zu geben, ergeben einen Schauspielgenuss wie man ihn selten erlebt. McDowell ist die ideale Besetzung für diese Rolle, nicht zu brav und nicht zu ausgeflippt. Trotz seines Wahnsinns, trotz der brutalen Marotten, die den Zuschauer oft jegliche Sympathie verlieren lassen, trotzdem ist Caligula auch immer noch der kleine Junge, der gerne auf den glatten Marmorplatten durch den Palast schlittert, und eine Treppe nur rennend hinauflaufen kann, niemals würdig schreitend. Perfekt hält er die Balance zwischen blutrünstigem Tyrann und nettem Kerl, zwischen dem grausamen Herrscher der ein Paar während der Hochzeit vergewaltigt (beide!), dem Staatsmann der die Frauen der Senatoren als Fickstuten öffentlich verkauft (und diese haben offensichtlich auch ihren Spaß daran, jedenfalls mehr als ihre Männer), und dem verzweifelten Liebhaber der den Tod seiner Schwester nicht verarbeiten kann. Gerade diese Szene, in der er seine tote Schwester auf dem Arm trägt und dabei des Menschseins verlustig geht, diese Szene geht wirklich unter die Haut. Und gerade die in diesem Augenblick stattfindende Metamorphose Caligulas vom liebesspielenden Jugendlichen zum größenwahnsinnigen Tyrannen ist eine Meisterleistung McDowells, und steht seiner Darbietung in CLOCKWORK ORANGE in nichts nach.

 

Als machtgeile Megaschlampe Caesonia ist Helen Mirren zu sehen, die in anderen Filmen oft so brav und bieder wirkt. Hier ist sie scharf und dauergeil, und zeigt nicht nur ihre erstklassige Figur, sondern auch ihr herausragendes Können. Zwar hält sie sich oft zurück, doch wenn Caligula erst so richtig am Rad dreht, dann dreht sie oft mit, zeigt Spaß am Irrsinn, und bleibt doch mit beiden Beinen auf dem Boden stehen. Was soll sie sonst auch tun, als Haustier das am Salzstein der Macht ab und zu lecken darf. Eine stille und großartige Performance. Im Gegensatz zu Teresa Ann Savoy, die ein perfekter Pornostar geworden wäre: Das Aussehen eines Kindes, die Verderbtheit einer Hure, und der Machtwille einer Kaiserin – was wäre Ms. Savoy für eine erstklassige Messalina gewesen. Sie balanciert auf dem schmalen Grat zwischen hemmungsloser Lust und spießigem Palastleben als ob sie im wirklichen Leben nichts anderes machen würde. So süß und harmlos wirkt sie, aber ihr Blick spricht ganze Bände lüsterner Gedanken. Eine zutiefst verkommene Lolita als mächtigste Frau Roms. Ob die ursprünglich gecastete und nach einem Drehtag flüchtende Maria Schneider (DER LETZTE TANGO IN PARIS) wohl diesen Eindruck hinterlassen hätte?

 

Und dann fragen sich viele kulturhoheitliche Götter oft, wie denn Stars wie Peter O’Toole und John Gielgud hier hineinpassen, und stellen dann auch seltsam übereinstimmend fest, dass beide Rollen sich ja schon nach einer halben Stunde Film verabschieden. Als ob es für die Qualität eines Filmes spricht, wie lange ein sogenannter „Superstar“ zu sehen ist. … Nun, Gielgud hat als kaiserlicher Berater Nerva sicher nicht die Rolle seines Lebens, und wahrscheinlich hat er die kurze Drehzeit mit einem längeren Urlaub in Bella Italia verbunden. Peter O’Toole hingegen ist eine Traumbesetzung für den bösartigen und unberechenbaren Altkaiser Tiberius. Hinterhältig, lüstern, todkrank, gemein, tyrannisch … Und das alles spiegelt sich in seinem Blick und in jeder Geste. Wenn er „alle kleinen Fischlein“ dazu auffordert zu baden, dann haben gefälligst alle anwesenden Nackedeis sofort ins Wasser zu springen und zum Knutschen zur Verfügung zu stehen, bis der Kaiser „Schluss“ sagt. Ringelpietz mit Anfassen auf Befehl. Eine betrunkene Wache erleidet einen grausamen Tod, und während der Mann zu Tode gefoltert wird, geht das lustige Vögeln und Fummeln außenrum munter weiter. Das ist wie wenn Privatfernsehen läuft, nur quasi in echt. Eine Wonne dem Mann zuzuschauen! Dass er die Teilnahme am Film im Laufe der Dreharbeiten zu hassen begann (Grund war eine Verringerung seiner Rolle zugunsten der Caligula-Rolle) ist dann eine andere Sache, bis hin zu der Tatsache, dass er sich sogar lange weigerte die englische Nachsynchronisation anzufertigen. Aber an den Titten seiner Haustierchen zu schlabbern, das hat ihm wahrscheinlich trotzdem gefallen …

 

Noch unbedingt erwähnenswert sind natürlich John Steiner als Opportunist Longinus, der nach und nach Angst um sein eigenes jämmerliches Leben bekommt, aber doch vom Leben am Hof auf keinen Fall lassen möchte und der zwischen Angst und Macht hin- und hergerissen ist, und Guido Mannari als Macro, der Anführer der Prätorianer, dessen Frau von halb Rom bestiegen wird, und der so hoch hinaus möchte, dafür seinen Stolz immer wieder herunterschluckt, und der doch so überraschend so tief fällt. Aber das sind nur zwei von vielen, da wären auch noch Namen wie Anneka di Lorenzo, Joss Ackland (zumindest behauptet das die IMDB), Antonio Casale,  und letzten Endes strotzt der Film nur so von gigantisch guten Schauspielern und gigantisch guten Bildern.

 

Hinter den Spiegeln

Was bei CALIGULA neben den Sexszenen vor allem im Gedächtnis bleibt sind diese unglaublichen, pompösen, gigantischen, überwältigenden Bilder. Tableaus bei denen selbst ein Lucio Fulci vor Neid erblassen könnte, und die mit dem Aus-Stoß des heutigen Kinos dann schon gar nicht mehr vergleichbar sind. Manche Bilder wirken in ihrer künstlichen Überhöhung wie Theaterkulissen (Screenshot 6), andere wie römische Fresken (Screenshot 10), manche verweisen direkt auf den erwähnten SODOM (Screenshot 3) und andere sind einfach nur deftig-antikes Bauerntheather (Screenshot 13). Aber eines tun diese Bilder immer, sie berühren den Zuschauer. Gleich ob er sich bei der Tötungsmaschine angeekelt abwendet (die aber vom römischen Geschichtsschreiber Sueton tatsächlich beschrieben wird, also in der Realität existiert hat), sich beim orgiastischen Cumshot zwischen Ekel und Faszination nicht abwenden mag oder das lesbische Liebespiel von Caligulas Schwestern als erotischen Aufgeiler empfindet, langweilig ist der Film nie!

 

Was halt auch daran liegt, dass sich nicht nur vor der Kamera eine Menge großer Namen versammelt haben, sondern auch dahinter. Das beginnt damit, dass der US-amerikanische Schriftsteller und Drehbuchautor Gore Vidal das grundsätzliche Drehbuch verfasst hat, 20 Jahre nachdem er ebenfalls in Rom das Script zu BEN HUR geschrieben hat (und 7 Jahre, nachdem er in Frederico Fellins ROMA eine kleine Rolle als sich selbst hatte). OK, die endgültige Drehbuch-Fassung stammt von Tinto Brass, und Gore Vidal hat daraufhin das Spinnen angefangen und sich selber zum Autoren des Films erklärt. Aber die Grundidee, der Aufbau des (ursprünglichen) Films, das ist alles von Gore Vidal.

 

Die Kamera führte Silvano Ippoliti, der Perlen wie NAVAJO JOE, LEICHEN PFLASTERN SEINEN WEG oder SACCO UND VANZETTI gefilmt hat, wobei in seiner Vita noch einige große Filme mehr stehen. Auf jeden Fall ein Mann mit Gefühl für das große und perfekte Bild, was er in diesem Film vollendet unter Beweis stellt.

 

Die Musik schrieb Bruno Nicolai (unter dem Pseudonym Paul Clemente), zumindest für die Originalversion, die Musik zur einer späteren Version schrieb Renzo Rossellini. Diese kenne ich nicht, ich gehe aber davon aus, dass sie um einiges bombastischer ist als der Nicolai-Score, der aber anscheinend von Produzent Bob Guccione eingesetzt wurde, und zwar entgegen des Willens Tinto Brass’. Der nämlich hatte ursprünglich einen Score von Fiorenzo Carpi komponieren lassen, was aber Guccione offensichtlich nicht gepasst hatte. Nichtsdestotrotz ist Nicolais Score ein wahrer Ohrgasmus, setzt der Meister nämlich nur bedingt auf 08/15-Trompetengeschmettere und Bombast-Gedöns wie in einem x-belieben Sandalenfilm. Stattdessen schmeicheln in erster Linie leise Töne und Rhythmik die Ohren. Musik, die einem Giallo mindestens genauso gut zu Gesicht stehen würde, so sinister und fein ist sie gewoben. Dazu aber an anderer Stelle mehr. Und last but not least war für das Production Design Donato Danilo zuständig, der viel mit Fellini und Pasolini gearbeitet hat, mit letzterem u.a. bei EROTISCHE GESCHICHTEN AUS 1001 NACHT und PASOLINIS TOLLDREISTE GESCHICHTEN. Und außer bei Brass’ direktem Vorgänger SALON KITTY war Donati bei noch einem Pasolini beteiligt: Bei DIE 120 TAGE VON SODOM, womit sich der Kreis wieder schließt.

 

Die 120 Tage von Rom

Gerade der Vergleich mit SODOM bietet sich an, haben doch beide diesen ganz speziellen Ruf und polarisieren die Zuschauer seit Jahrzehnten aufs Heftigste, vor allem im Hinblick auf die sexualisierte Darstellung von Gewalt.

 

Ich muss sagen, SODOM ist in seiner Aussage sicher der aggressivere und stärkere, und die Gewaltszenen in SODOM bleiben definitiv länger im Gedächtnis haften. CALIGULA hingegen punktet mit der unverblümten Darstellung von Sex, wohingegen die Handlung hier auf den ersten Blick eher vernachlässigbar scheint. Der düstere und pessimistische Blick auf die degenerierte und hedonistische Gesellschaft allerdings, den haben beide Filme gemeinsam. Beide Male wird die Aufmerksamkeit auf Instrumente gewaltsamer Herrschaft gerichtet, und beide Male ist das Ergebnis niederschmetternd. Gleich ob die absichtliche Zerstörung von Menschen in SODOM oder die fortschreitende Dekadenz und das Abgleiten in blutige Tyrannei in CALIGULA, das Resultat ist immer das Gleiche: Menschen werden korrumpiert, Macht wird eingesetzt um persönliche Motive zu befriedigen, und Gewalt ist das einzig brauchbare Mittel zum Zweck. In der von Brass intendierten Fassung wäre diese Machtspirale wahrscheinlich noch deutlicher  zum Ausdruck gekommen, was auch einen direkten Bezug zum vorher gedrehten SALON KITTY zugelassen hätte. Die Guccione-Version mag zwar saftiger und besser goutierbar sein, aber gerade die Sache mit der Macht wird degradiert auf die Komponenten Sex und Wahnsinn, was dem Film, so wie er sich darbietet, nicht gerecht wird. Anscheinend war es Brass’ Absicht zu zeigen, was Macht anrichten kann. Zu viel Macht in den Händen eines Einzelnen, der dann auch noch ein kindliches Gemüt hat. Brass selber sagt dazu, dass Kinder, wenn sie spielen, ihre Spielzeuge gerne kaputtmachen. Caligula wird ganz klar als kindlicher Charakter dargestellt und hat als Spielzeug die Macht bekommen. Er versucht dieses Spielzeug zu zerstören, indem er die Ausübung der Macht pervertiert und zu einer Parodie ihrer selbst verdreht.

 

Tatsächlich versuchte der historische Caligula das Römische Reich, das bis dahin immer noch regiert wurde wie ein Stadtstaat, umzubauen zu einem modernen administrativen Staat, mit einer funktionierenden Bürokratie und aufeinander aufbauenden Strukturen. Der Senat, der durch diesen Umbau entmachtet worden wäre, stemmte sich mit aller Gewalt dagegen. Und an der Stelle kommt wiederum der filmische Caligula in Spiel, der ein Pferd zum Senator ernennt und es eine Rede halten lässt: In dieser, in der Guccione-Fassung nicht mehr enthaltenen, Szene reitet Caligula verkehrt herum sitzend in den Senat und kündigt an, dass das Pferd jetzt eine Rede hält. Der Senat schweigt, das Pferd äppelt auf den Boden, und Caligula reitet wieder raus. Eine klare Kampfansage an den Senat, mit dem Credo „Ich scheiße auf euch.“  

 

In der heutigen Zeit würde Caligula wahrscheinlich als tyrannischer Potentat eines Bananenstaats dargestellt werden, der in einem Palast lebt während das Volk in Dreck und Armut vegetiert, und der nur aus Lust und Machtanspruch heraus tötet, nicht aus Notwendigkeit. Vielleicht jemanden wie Idi Amin in DER LETZTE KÖNIG VON SCHOTTLAND. Wie Papa Doc Duvalier in DIE STUNDE DER KOMÖDIANTEN. Oder wie der grauenhaft realistisch dargestellte Andre Baptiste sr. in LORD OF WAR – HÄNDLER DES TODES. Die Kunst Brass’ besteht nun darin, Caligula nicht wie die genannten als größenwahnsinniges Monster zu zeigen (was er wahrscheinlich auch gar nicht war), sondern eben als Menschen, der an der ihm (und sich selbst) gestellten Aufgabe und den Schicksalsschlägen zerbricht. Ein Mensch, der lange versucht Mensch zu bleiben, bis es einfach zu viel wird für ihn. Aber im Herzen bleibt er ein Kind: Es gibt diese Szene, in der die Tötungsmaschine auf Macro zurollt, während der Kaiser und sein Hofstaat Eier und Kartoffeln auf die bis zum Kopf eingegrabenen Delinquenten werfen. Und jedes Mal wenn Caligula ein Ei wirft und trifft, freut er sich, eben „wie ein Kind“, klatscht in die Hände, und tut so als ob er beim Blinde-Kuh-Spielen gewonnen hat. Macro wird geköpft, das nächste Ei zerplatzt Caligula in den Händen – und aus ist es mit der guten Stimmung, das Spiel ist vorbei. Und ich verwette meine Filmsammlung, dass die Herrenmenschen aus SODOM nach den abschließenden Hinrichtungen genauso geschaut haben, merken sie dann doch dass ihre Spielzeuge kaputt sind und der Spaß vorbei ist.

 

In den untenstehenden Links habe ich einen angefügt, der eine recht gute Analyse zum Film beinhaltet, der aber vor allem versucht die originale Version zu rekonstruieren und zu diesem Thema sehr viel Interessantes zu sagen hat. Aus meiner Sicht haben beide Versionen ihre Berechtigung, sowohl Brass’ politische Aussage wie auch Gucciones erotische Meinung, und es wäre ein feuchter Traum, irgendwann einmal beide Fassungen in einer Edition zu veröffentlicht zu sehen und direkte Vergleiche ziehen zu können. Bis dahin gilt Helen Mirrens Kommentar, der es perfekt auf den Punkt bringt: “CALIGULA ist eine unwiderstehliche Mischung aus Kunst und Genitalien.“

Autor

Maulwurf

Veröffentlichungen

In deutschsprachigen Landen liegt der Film in mehreren Versionen vor, die meisten davon sind cut und/oder Bootlegs. Die legalen und ungeschnittenen Versionen kommen alle von NSM aus Österreich. Gesehen wurde die Blu-ray aus der 2-Disc-Steelbook-Edition. Enthalten ist der Film in der 156-Minuten Fassung auf deutsch und englisch mit deutschen Untertiteln. Als Extra liegt der Originaltrailer vor.

Soviel zur Blu-ray. In der Box gibt es aber auch noch eine DVD, und die beinhaltet dann ein Fest an Extras: Eine einstündige englischsprachige (und wie alle Features deutsch untertitelte) Doku von 1981, mit einem Sprecher der klingt wie Schlock das Bananenmonster, und einem hochinteressantem Zusammenschnitt aus Set-Aufnahmen und Interviews mit allen Beteiligten (aus Guccione-Sicht zumindest). Von dieser Doku existiert auch ein 10-minütiger Zusammenschnitt der ebenfalls enthalten ist. Dann ein 24-minütiges Interview mit einem extrem sympathischen John Steiner, der über seine Karriere spricht und erklärt, warum er heute als Immobilienmakler in Kalifornien arbeitet. Für alle Italo-Afficionados ein echtes Bonbon! Weiter gibt es eine 28-minütige Featurette mit Lori Wagner, einem Penthouse-Pet, die uns neben ihrer CD auch ihre einzige Hirnzelle präsentiert und seltsame Geschichten von den Dreharbeiten erzählt. Auf jeden Fall interessant, aber die Frau bestätigt tatsächlich alle Vorurteile die man gegenüber Nacktmodels eventuell haben könnte. Und zu guter Letzt darf Tinto Brass auch seine Version der Dreharbeiten und der dazugehörigen Machtspielchen erzählen. Zugegeben, während Bob Guccione (laut Lori Wagner „The italian stallion from hell“) mit Goldketten behängt in superluxuriöser Umgebung fläzt und schaut, als ob ihm ein Penthouse-Mädel gerade unter dem Tisch einen bläst, sitzt Tinto Brass mit Zigarre in einem gemütlich eingerichtetem Lokal und wirkt irgendwie … glaubwürdiger. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.

 

So oder so ist die Summe der Interviews hochinteressant, und ermöglicht es dem Zuschauer sich ein eigenes Bild vom ursprünglichen sowie vom endgültigen Film zu machen. Zwei Bildergalerien mit Bildern von Film und Set runden das Paket dann ab.

Autor

Maulwurf

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