Salon Kitty

Frankreich | Deutschland | Italien, 1976

Alternativtitel:

Salão Kitty (BRA)

Salón Kitty (ESP)

Madame Kitty (FRA)

Salon Kitty - O Bordel dos Nazis (POR)

Madam Kitty (USA)

Doppelspiel

Deutsche Erstaufführung:

26. März 1976

Regisseur:

Tinto Brass

Inhalt

Untergruppenführer Helmut Wallenberg (Helmut Berger) erhält von seinem Vorgesetzten (John Steiner) den Auftrag, ein paar vorbildlich nationalsozialistisch eingestellte junge Frauen zu finden, die bereit sind einfach alles für ihr Land zu tun – gutaussehend sollen sie natürlich ebenfalls sein.

 

In der Giesebrechtstraße in Berlin-Charlottenburg befindet sich das Bordell „Salon Kitty“, geführt von Kitty Kellermann (Ingrid Thulin). Zu ihr kommen die Wohlhabenden Berlins und alle bekannten Nazigrößen (außer Göring, für den ist nichts Passendes dabei), und können dort allen nur erdenklichen Vorlieben nachgehen.

 

Wallenberg, der mit „Madame“ Kitty bekannt ist – Huren aber verabscheut – bestellt sie zu sich, und als sie diesem Wunsch nicht augenblicklich entspricht, lässt er sie durch die Gestapo abholen. Er teilt ihr mit, man werde ihr Etablissement schließen. Allerdings habe er eine neue Location für sie, eine Villa im Grunewald und neue Mädchen. Kitty bleibt keine Wahl, und sie willigt widerstrebend ein. Sie bildet die neuen Frauen zu Huren aus, nichtsahnend, dass diese Spioninnen sind, die künftig ihre Kunden zum Sprechen bringen sollen, um anschließend über das Gehörte Wallenberg Bericht zu erstatten. Aber auch die Huren ahnen nicht, dass sie zusätzlich von Wallenbergs Männern abgehört werden.

 

Unter diesen Frauen befindet sich Margherita (Teresa Ann Savoy), für die sich Wallenberg ganz besonders interessiert, und zwischen den Beiden entspinnt sich eine sado-masochistische Beziehung. Er will ihren Stolz brechen und sie in eine gehorsame Sklavin verwandeln, was ihm bei seiner Ehefrau Herta (Tina Aumont) bereits gelungen scheint. Doch Margherita verliebt sich in einen ihrer Kunden, den Flieger Hans Reiter (Bekim Fehmiu). Hans erzählt ihr nach anfänglichem Zögern von den grauenhaften Dingen, die er im Krieg gesehen hat und von seiner Absicht, zum Feind überzulaufen. Margherita erwähnt nichts davon in ihrem Bericht an Wallenberg.

 

Als einige Zeit später ein anderer Kunde Margherita von Hans Reiters Hinrichtung wegen Verrat und Feigheit berichtet, verdächtigt sie zunächst Madame Kitty. Doch dann wird den Beiden klar, dass Wallenberg die Zimmer im Bordell abhören lässt und die Frauen schließen sich zusammen, um Wallenberg zu Fall zu bringen.

Review

„Der Nationalsozialismus ist mir scheißegal, er ist mir so scheißegal, wie er es unserem Führer ist. Er ist nur Mittel zum Zweck - Macht, hörst du? Es gibt keine Ideale, es gibt keinen Glauben. Ich mache mir überhaupt keine Illusionen, du machst dir welche...und die Millionen Deutschen, die an uns glauben, blind und fanatisch.“
(Wallenberg zu Margherita in „Salon Kitty“)

 

Tinto Brass‘ bereits 1975 gedrehter „Salon Kitty“ gehört zu meinen absoluten Lieblingsfilmen. Genau wie „Caligula“, den Filmkritiker Roger Ebert als „schamlosen Müll“ bezeichnete - allerdings favorisisere ich bei Letzterem die „Io, Caligula“-Fassung ohne den Porno-Krempel von Guccione. Bei „Salon Kitty“ ist es einfach, schon die Moral des Films hat es mir angetan. Die Nazis sind die Bösen, und somit sind Madame Kitty und ihre Huren und Bordell-Crew zwangsläufig die Guten. Manchmal kann die Welt so einfach ein.

 

Aber es gibt noch so viel mehr zu entdecken. Eine wichtige Rolle spielt das Verhältnis von Alt und Jung, bzw. Vergangenem und Zukunft. Margherita, gespielt von Teresa Ann Savoy, kommt aus einem wohlhabenden Umfeld, und ihre Eltern sind reine Gewinnler. Sie unterstützen die Nationalsozialisten, weil diese aktuell die Stärkeren, möglicherweise die zukünftigen Gewinner sind, um sich selbst ihren Wohlstand zu erhalten. Eine Rolle, die während des NS-Regimes dem Zentrum (den heutigen Christdemokraten) zukam, die zunächst Mitläufer waren, aus denen später Lager-Logistiker und Kriegsgewinnler wurden. Margherita verkörpert die Jugend, die nationalsozialistische Überzeugung und begegnet ihren Eltern mit offenkundiger Verachtung. Später wird Margherita ihre Gesinnung allerdings ändern, was ihre Verachtung für die Eltern noch steigert.

 

Ein weiterer wichtiger Kontext ist die Sehnsucht nach Macht, und wie kleine Leute sich nach dieser Macht über andere Menschen sehnen. Wichtig hier eine Szene, wie eine der künftigen Damen Madame Kittys genüsslich das Spielzeug eines kleinen, jüdischen Jungen zertritt. Genauso die Figur des Helmut Wallenberg, gespielt von Helmut Berger, der als Untergruppenführer im Grunde ein ganz kleines Licht ist, auch keineswegs gebildet, dafür aber reichlich zerfressen von Machtphantasien, die er zu einem späteren Zeitpunkt auch in die Tat umzusetzen gedenkt. Berger gehören hier in „Salon Kitty“ auch die besten Dialogstellen. Und sein „Nazi-Supermann-Kostüm“ gegen Ende, einsame klasse.

 

Helmut Berger ist in „Salon Kitty“ in einer großen Paraderolle zu sehen, nicht zu unterschätzen ist allerdings die Präsenz von John Steiner. Berger hat die besseren Texte, aber der fiesere Look gebührt Steiner, der von Tinto Brass auch herrlich in Szene gesetzt wird. Ein Moment – ebenfalls gegen Ende – wo Steiner sich in seiner schwarzen Uniform auf einen Schreibtisch stützt, diagonal platziert zu einer Figur von einem schwarzen Panther ist ein sorgfältig inszeniertes Momentum.

 

Die Verbindung zwischen Untergruppenführer Wallenberg und Margherita ist Programm. Wallenberg hat seine Ehefrau bereits abgerichtet und möchte nun aus Margherita einen weiteren Triumph des Gehorsams schaffen. Die besitzt aber Stolz, den sie zwar vorübergehend abschalten kann aber eben nicht endgültig. Wallenberg will, dass sie in Unterwerfung und Selbsterniedrigung ihre Persönlichkeit zerstört, um dann als hundertprozentige, zu allen Opfern bereite Nationalsozialistin und als Triumph seines Willens wiederersteht. Stattdessen entdeckt sie jedoch später durch ihre Gefühle für Hans Reiter ihr Gewissen und erwacht in der Realität, wo für die Verirrungen des Nationalsozialismus kein Platz mehr ist.

 

Gott, wie mir solch kontroverse Filme in der heutigen Filmlandschaft fehlen, kann man gar nicht oft genug erwähnen. In der Uncut-Version gibt es dazu ein paar schwer anschaubare Explizitheiten (ja, ich weiß, das Wort gibt es eigentlich nicht), jede Menge Penisse und einen beispiellos ausschweifenden Einsatz von Nazi-Symbolik. Letzteres führte auch zu einer Unzahl von Kleinstschnitten in der deutschen Kinofassung plus die längeren Schnitte in Sachen Zensur.

 

Die Frauen: Ingrid Thulin (traf bereits 1969 in Viscontis „Die Verdammten“ auf Helmut Berger), Teresa Ann Savoy (wunderschön, in „Salon Kitty“ jedoch in einigen Dialogszenen deutlich überfordert), Tina Aumont als Wallenbergs Frau (wortkarg, aber welch ein frivoles Augen- und Körperspiel), ferner Rosemarie Lindt („Foltergarten der Sinnlichkeit“, 1975), Paola Senatore („Lebendig gefressen“, 1980), Patrizia Webley („Play Motel“, 1979), Malisa Longo („Elsa, Fräulein SS“) und Sara Sperati („Deported Women of the SS Special Section“, 1976) – sprich, alles was das Italo-Fan-Herz begehrt.

 

Bei den Männern fallen neben den bereits genannten Hauptprotagonisten ein paar weitere ins Auge. Eine kurze aber durchaus auffallende Rolle bekam hier Dan van Husen. Kaum zu erkennen und deshalb umso brillianter ein kleiner Part für Luciano Rossi („Die Mörderbestien“, 1973) als fast schon comicartiger Dr. Schwab. Eine längere Rolle fiel Stefano Satta Flores („Vier Fliegen auf grauem Samt“, 1971) zu, eher unspektakulär dagegen ist John Ireland, wobei man sich bei Letzterem fragt, ob er überhaupt wusste, in was für einen Film er da reingeraten ist.

 

Die Stimme bei den Songs in den Cabaret-ähnlichen Szenen ist die der britischen Sängerin Annie Ross, nicht Ingrid Thulin. Filmkomponist war Fiorenzo Carpi, Musical Director Bruno Nicolai. IMDb gibt als (uncredited) Vorlage für das Drehbuch den halbdokumentarischen Roman „Salon Kitty“ des Krimiautors Peter Norden an. Vergleicht man aber den reinen Handlungsinhalt des Films mit der Inhaltsangabe des Romans auf wikipedia, bleibt eigentlich nur das Grundgerüst (der Salon Kitty und die Spionage) über. Die Unterschiede scheinen größer als die inhaltlichen Gemeinsamkeiten. Second Unit-Regisseur bei den in Berlin gedrehten Szenen (z. B. die Szene mit Teresa Ann Savoy und Bekim Fehmiu auf dem U-Bahnhof Gleisdreieck) war Werner Pochath.

 

Mehr zum historischen Standort Salon Kitty im Wikipedia-Link unten, und da ist mir eines sauer aufgestoßen. In den frühen 1990er Jahren – als das Bordellgeschäft nicht mehr so florierte – verwandelte Kittys Enkel den Laden in eine Unterkunft für Flüchtlinge aus dem damaligen Jugoslawien-Krieg. Diese wurde jedoch schon nach kurzer Zeit wegen Anwohner-Protesten geschlossen. Man fragt sich, wo waren bloß all diese protestierenden Anwohner als dort Nazi-Größen ein und ausgingen.

Filmplakate

Links

OFDb

IMDb

Wikipedia

 

Kommentare (1)

  • Dr. Kevin de Silva

    Dr. Kevin de Silva

    26 Oktober 2016 um 10:09 |
    Eine gelungene Rezension..., die einen klaren und die SINNE geschärften Standpunkt umreißt.- Nein..., es gibt keine "halbdokumentarische" Buchvorlage von Peter Norden, wie auf WIKI behauptet, sondern diese Story entspricht genau den historischen Begebenheiten. Es bedarf keiner tiefgründigen "wissenschaftlichen" Aufarbeitung deshalb. Im Übrigen entsprach das Geschehen genau den gleichen Vorgängen des kommunistischen MfS der DDR !! Auch dieses bediente dieser Methodik sich, mit mehr oder weniger Erfolg. Historisch betrachtet, lässt Mata Hari grüßen....
    (Wallenberg alias W.Schellenberg's Dialogspruch traf genau des Pudels Kern, was das NS-System betraf.) Nur war er KEIN SS-UNTERGRUPPENFÜHRER sondern "Obergruppenführer"; den Film-Dienstgrad gab es in der Allgemeinen SS und der Waffen-SS n i c h t !! (GF, OGF und OberstGF nur.) Insgesamt ist es beschämenswert für die Kultur der BRD, dass sie (vertreten durch die Strafjustiz) sich genötigt sah, diesen Film im Prinzip wegen gewisser "obszöner" Szenen zu demontieren. Penisse hin oder her...; ohne diese gäbe es weder uns noch Filme. Die "Begrifflichkeit" der Pornographie ist sehr umstritten; nach wie vor auch rein wissenschaftlich. (Ausgenommen natürlich "child sex"). Was die Kunst braucht, ist ein NEUES Selbstverständnis und Bewußtsein in die allgemeine Mündigkeit ihrer Bürger und keine Zensur.

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