Im vergangenen Herbst 2016 durften wir im KommKino unser 10-jähriges Jubiläum im Rahmen des Italo-Cinema Festivals ausgiebig feiern. Gefolgt von einer Reise in die gnadenlose Welt des Italowestern zusammen mit Dirty Pictures Ende März 2017 folgt nun: Norimberga Violenta - Festival des italienischen Polizeifilms!
Eine kurze Einführung in das Genre überlassen wir dem Experten und Mitautor des Standardwerkes "Der Terror führt Regie" Michael Cholewa, dem wir hiermit ganz herzlich für den Text danken:
Antihelden vs. Verbrechen - Der italienische Polizeifilm
In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts tickten die Uhren im europäischen Kino, speziell dem italienischen, noch anders. In den 1960er Jahren bekam der Western in Italien nicht nur ein komplett neues Aussehen verpasst, auch inhaltlich gab es kein Weichspülprogramm mehr. Als dem Italo-Western in den frühen 70er Jahren langsam die Puste ausging, wuchs man mit seinen Aufgaben, orientierte sich abermals formal an Hollywood und den Klassikern des modernen Actionfilms und kreierte erfolgreich das Genre des Poliziotto. Nonkonforme Cops, die nicht selten auch gegen die eigenen Vorgesetzten agierten. Eine Kunstform die schließlich in der Fleischwerdung solch rebellischer Einzelkämpfer wie Commissario Ferro kulminierte und mit seinem Darsteller Maurizio Merli eine untrennbare Allianz einging. Als Architekten des Poliziottesco muss man unbedingt Regisseure nennen wie Fernando Di Leo, Umberto Lenzi, Enzo G. Castellari oder Marino Girolami.
Das italienische Gangsterkino war geboren und kondensierte erfolgreich die Essenz des Thrillers, verdichtet und beschleunigt seine Rituale, nutzte und veränderte noch einmal dessen Erbinformation, die DNA des Polizeifilms. Jene Polizisten waren schlagkräftige Arbeiter und Malocher. In gewisser Weise auch das schlechte Gewissen einer Wohlstandsgesellschaft, die ihre Drecksarbeit gerne delegiert. Die Grauzone zwischen Unterwelt und Penthouse. Charaktere die das exakte Gegenteil der z. B. hierzulande inflationär vorkommenden Kriminologen waren. Hiesige Kommissare und ihr ins Drehbuch gemeißeltes instinktsicheres Einfühlungsvermögen (ein dem Täter gegenüber versöhnliches Auftreten), waren eine ältliche Mischung aus Kombinationsgabe, einem unerschütterlichen Glauben das Richtige zu tun und stets eine Priese zu viel Verständnis. Dieser pädagogische Ansatz, das Richtige tun zu müssen, konveniert leider nicht mit dem Unterhaltungsaspekt, bzw. kollidiert schon Mal mit einem spielerisch fantasievollen Konzept. Ohne den das Gangster- und Polizeikino aber nicht funktioniert. Das italienische Genrekino der 70er Jahre ließ sich nicht durch politische korrekte Polizei-Überflieger einschränken. Jene "Helden" waren schon damals Antihelden und folgten ihrem eigenen ganz persönlichen ethischen Kompass. Protagonisten mit einem reinen Herzen, auch wenn sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit den Dialog weniger mit Worten als mit ihren Fäusten suchten. Ein Kompass und die Wildcard für ein aus allen Fugen berstendes Actionkino. Figuren die auf der richtigen Seite waren, auf der Seite der Schwächeren. Politisch nicht astrein, aber, auch niemals langweilig! Womit zumindest eine Mission erfüllt war: Kino total!
Entführung, Erpressung, Gewaltverbrechen, Raub, das Italien des 70er Polizeikinos zeichnete unser liebstes Urlaubsland ganz anders als die Kataloge der Reiseindustrie. Die quietschenden Pneus der Alpha Giulias und ihre sich vor Adrenalin überschlagenden Fahrer, standen dabei in einem starken Kontrast zu einer farbenfrohen, mediterranen, urbanen Architektur der italienischen Innenstädte und der quirligen, lebhaften Mentalität ihrer Bewohner. Dazu schwelgte die Musik in psychedelischen, atonalen, sphärischen Klängen. Und die Geschichten zeichneten mit Freude und ungebremstem Schwung Gewalt und Brutalitäten.
Der Zuschauer wurde damals durch die Filmkritik (einmal mehr) "entmündigt". Kritiker bemängelten einen undifferenzierten Erzählaufbau sowie (im Genrekino üblich) ideologisch fragwürdige Charakterzeichnungen. Dagegen spricht jedoch das satirische Gesamtkonzept des Poliziotto. Im Genrekino im Allgemeinen und dem Poliziesco im Besonderen, hat Realismus wenig Platz. Figuren werden überzeichnet, ins comichafte überhöht. Man muss entweder völlig ahnungslos oder ein Spielverderber sein, um in dieser phantastischen, einer symbolhaft verdrehten Filmsprache politisch fragwürdige Tendenzen orten zu können. Hinzu kommt, dass diese Commissarios nie durch Besonnenheit oder taktisches Kalkül glänzten. Sie folgten einer emotionalen aber ehrlichen Ethik. Den Schwachen hilft man und das Böse, oftmals auch die Karikatur dessen, wird exemplarisch bestraft (symptomatisch für das gesamte Genre). Der Poliziotto besaß genau den richtigen Abstand zur Tragödie und eine unverkennbare Liebe für klassisches Thrillerkino. Eine Enddramatisierung die den Filmen ihr charakteristisches angenehmes Tempo gab und eine erzählerische Ebene ohne gestenreiches Moralisieren erstellte. Ein Kino das geschickt mit einer unbestimmbaren Mischung aus Gut und Böse spielte. Eine fast verloren gegangene künstlerische Freiheit, welche dem heutigen Kino bestimmt sehr gut täte. (Michael Cholewa)
Die Filme werden in den nächsten Wochen einzeln angekündigt.
3 Tage - 9 Filme - alle von 35mm
Einzelticket: 6€
Dauerkarte: 36€
Timetable:
Freitag, 03.11.
21:15 Uhr "Der Mafiaboss - Sie töten wie Schakale" (La mala ordina, 1972)
23:15 Uhr "Testament in Blei" (Crazy Joe, 1974)
Samstag, 04.11.
14:00 Uhr "Gangster sterben zweimal" (Gangsters '70, 1968)
16:00 Uhr "Die Klette" (Un detective, 1969)
21:15 Uhr "Tote Zeugen singen nicht" (La polizia incrimina la legge assolve, 1973)
23:15 Uhr "Feuerstoß" (Una Magnum Special per Tony Saitta, 1976)
Sonntag, 05.11.
13:00 Uhr "Ein Mann geht aufs Ganze" (L'assassino... è al telefono, 1972)
15:00 Uhr "Höllenhunde bellen zum Gebet" (Con la rabbia agli occhi, 1976)
17:00 Uhr "Eiskalte Typen auf heißen Öfen" (Uomini si nasce poliziotti si muore, 1976)