De Sade 2000 (ITA)
Eugenia de Sade (COL)
Eugénie de Franval (LIE)
Sade's Eugenia (FRA)
Eugenie Sex Happening
Eugenia
Eugénie ist bei ihrem (Stief)-Vater Albert Radeck aufgewachsen, einem Autor und Connaisseur erotischer Literatur. Weitgehend von Kontakten zu anderen ausgeschlossen, entwickelt sie ein Faible für ihren Vater und dessen erotische bis mörderische Phantasien, die sie schließlich gemeinsam ausleben – bis sie sich verliebt.
Von unsicheren Finanzierungen und künstlerischen Differenzen angefressen, ließ Jess Franco seine Zusammenarbeit mit Produzent Harry Alan Towers nach Fertigstellung von NACHTS, WENN DRACULA ERWACHT (1970) hinter sich, obwohl noch einige Projekte in deren Pipeline waren. Und so beschreitet Franco für seinen nächsten Film einen durchaus riskanten Pfad, kann dabei aber auf alte Bekannte zurückgreifen.
Mit Unterstützung von Karl Heinz Mannchen dreht er Anfang 1970, während eines äußerst kalten Winters in Berlin, die ersten Szenen für EUGENIE DE SADE. Dass er klare Vorstellungen von der Story hat, zeigt die Herangehensweise, auch wenn etwa Darsteller Paul Muller beklagte, dass er nie ein Drehbuch zu sehen bekam. Mit diesen ersten Szenen geht Franco zu Eurociné, um eine Finanzierung für den kompletten Film zu erhalten. Mit dieser folgen weitere Szenen in Paris und – möglicherweise – ein paar Neudrehs. Es existieren Standfotos, die Darsteller in anderer Kleidung zeigen als letztendlich in EUGENIE DE SADE zu sehen. Auch enthält ein französischer Trailer eine Mordszene, welche im Film nicht vorkommt oder mit einer anderen Darstellerin neu gedreht wurde. Das ist unklar.
Mit geringen finanziellen Mitteln und Manuel Merino hinter der Kamera macht sich Franco ans Werk und legt den Grundstein für seine kommende Karriere. EUGENIE DE SADE ist – neben DIE NACKTEN AUGEN DER NACHT (Les cauchemars naissent la nuit, 1970) – der Beginn eines stilistisch weniger kommerziell orientierten, experimentellen und gewagten Franco. In EUGENIE DE SADE streut er Inhalte ein, die für Kinozuschauer des Jahres 1970 schwer verdaulich gewesen wären. Das ist womöglich auch der Grund, warum der Film erst vier Jahre später erstmals die Leinwand erblickte. Angaben der IMDb zu Veröffentlichungen im Jahr 1973 scheinen falsch, und eine Liechtenstein-Version existiert nicht.
Das Dubbing tut potenziellen Zensoren den Gefallen Eugénies Vater zu ihrem Stiefvater zu machen. Der hat einst Eugénies Mutter ermordet und überhaupt findet er Lustgewinn am Töten. Für die Zukunft hat er vorgesorgt. Im sicheren Glauben, seine schwangere Frau würde ihm eine Tochter gebären, hat er bis nach der Geburt mit der Ermordung der Mutter gewartet. Eugénie wächst dann weitgehend isoliert in seiner Villa in Berlin auf, zu seinen Vortragsreisen nimmt er sie nicht mit. Alleingelassen mit der sado-erotischen Buchsammlung Albert Radecks, konzentriert sich Eugénies sexuelles Erwachen auf diesen.
Schließlich kommt es zum Coming-out. Angespitzt von einer sexuell orientierten Mordgeschichte nimmt Radeck seine Tochter auf eine Signierstunde nach Paris mit, welche den beiden als Alibi für einen Mord in Brüssel dienen soll. Als Fotografen getarnt mieten die zwei ein Modell, hier bekommt man Alice Arno in ihrem ersten Auftritt in einem Franco-Film zu sehen. Nach diesem Mord werden Vater und Tochter endgültig zum Liebespaar. Doch ihre Tour blieb nicht unbemerkt. Der Schriftsteller Attila Tanner (Jess Franco) ist fasziniert von der Person Radecks und spioniert die Beiden aus. Es bleibt unklar, was Tanner eigentlich will. Einerseits ist der fasziniert von den Taten des Paares andererseits selbst nicht dazu imstande. Franco inszeniert sich hiermit selbst erstmals als Voyeur für die Praktiken anderer.
Nach einem weiteren Mord an einer Anhalterin (Greta Schmidt) fasst Radeck einen neuen Plan. Eugénie soll den Jazz-Trompeter Paul (Andrea Montchal) für sich einnehmen, nur um ihn dann in den Selbstmord zu treiben. Eugénie, die hier jedoch erstmals den Gefühlen eines anderen als ihrem Vater ausgesetzt ist, verliebt sich in ihn. Das kann Albert Radeck nicht hinnehmen.
Trotz seiner bescheidenen Mittel beweist Franco in EUGENIE DE SADE, wozu er mit einem Kinkerlitzchen-Budget fähig ist. Paul Muller ist so professionell wie gewohnt, und Soledad Miranda, die hier natürlicher wirkt als in anderen Franco-Filmen, ist hinreißend, faszinierend und wie gewohnt sexy gekleidet. Während der erste Mord an Alice Arno noch etwas steif rüberkommt, zeigt sich die wahre Klasse des Films beim Mord an der Anhalterin. Franco geht so weit er kann bei der Darstellung eines Lustmords im Jahre 1970. Aus einer zunächst spaßig inszenierten Szene wird bitterer Ernst. Die Liebesszenen zwischen Soledad Miranda und Andrea Montchal, zeigen nicht nur dieselben Personen, sondern wurden im gleichen Zimmer mit teils gleichen Hintergrunddekorationen gedreht wie ihre gemeinsamen Szenen in DIE NACKTEN AUGEN DER NACHT. Offensichtlich hat Franco also wieder mal an zwei Filmen gleichzeitig gebastelt.
Dass wir uns einen sehr preiswerten Film ansehen, wird an der Nebenbesetzung deutlich. Neben Jess Franco selbst in seiner Rolle als Attila Tanner gibt es Cameos von Kameramann Manuel Merino, Produzent Marius Lesoeur, und Co-Produzent Karl Heinz Mannchen gibt in einer Club-Sene einen grauenhaften Comedian zum Besten. Ansonsten gehört EUGENIE DE SADE aber zu Francos schönsten Werken. Dazu trägt selbstredend auch der Score von Bruno Nicolai bei. Ich hoffe, mit meiner Reihenfolge der Morde ist niemand durcheinandergekommen, denn natürlich sieht man den „ersten“ Mord bereits während des Vorspanns. Dieser liegt zeitlich jedoch vor der Begegnung zwischen Eugénie und Paul, Franco springt halt gerne im zeitlichen Ablauf hin und her. Das wäre somit Mord No 3, wird nur früher gezeigt.
Noch ein kleiner Fun-Fact am Rande: wenn Paul Muller und Soledad Miranda die (nicht mehr existierende) Brücke zum Europa-Center in Berlin überqueren, zeigt die Tafel des dortigen Kinos, dass gerade DOKTOR SCHIWAGO läuft. Als Franco zwei bis drei Jahre zuvor an gleicher Location für NECRONOMICON – GETRÄUMTE SÜNDEN (1968) drehte, lief dort ebenfalls DOKTOR SCHIWAGO.