Zabriskie Point

USA, 1970

Alternativtitel:

Sakyû (JPN)

Deserto de Almas (PRT)

Deutsche Erstaufführung:

3. September 1970

Inhalt

Während einer der gebetsmühlenartig wiederkehrenden Studentenproteste in Los Angeles werden ein schwarzer Student als auch ein Polizist erschossen. Mark, ein Kommilitone, der vom Waffenrecht Gebrauch machte und sich eine Pistole zulegte, befürchtet nun, dass man ihn unberechtigterweise zum Polizistenmörder erklärt. Um der brisanten Lage zu entfliehen, stiehlt der junge Mann ein Privatflugzeug und nimmt Kurs auf die Wüste. Dort trifft er auf die Büroangestellte Daria, die auf dem Weg nach Phoenix ist. Ihr Zusammentreffen führt sie zum Zabriskie Point, einem mythischen Ort, an dem sie nach Herzenslust diskutieren, philosophieren, Haschisch konsumieren und halluzinieren. Bald darauf, die beiden Personen sind sich bereits sehr nahe gekommen, will Mark das gestohlene Flugzeug zurückbringen. Doch am Ort des Diebstahls, einem kleinen Flughafen, wird Mark bereits von der Polizei erwartet und seine waghalsige wie unnotwendige Aktion endet mit dem Tod. Daria erfährt die Todesmeldung über das Autoradio, ist kurze Zeit in sich gekehrt, setzt anschließend ihre Reise fort und stößt inmitten der Wüste auf eine luxuriöse Villa, in der sie von ihrem Vorgesetzten Lee Allen herzlich empfangen wird…

Review

Mit Blick auf die Kooperation von Pink Floyd und Michelangelo Antonioni fällt auf, dass Momente des Videoclips zur zweiten Pink Floyd Single „See Emily play“ (1967) an das pantomimisch aufgeführte Tennisspiel aus BLOW UP (1966) erinnern. Es wäre durchaus denkbar, dass sich das einstige Aushängeschild des Psychedelic-Rock sowie der Regisseur des umrissenen Videoclips von Carlo di Palmas Fotografie respektive von Antonionis Ideenreichtum beeinflussen ließen, um der imaginär spielenden Emily eine besonders attraktive, visuelle Spielfläche zu generieren. Ob meine Beobachtung mit der Wirklichkeit konform geht, kann ich nicht beantworten, da ich innert der Bücher bisher keine bestätigende(n) Aussage(n) entdecken konnte.

 

Das (mögliche) Inspiration und Zusammenarbeit zwei grundverschiedene Paar Künstlerschuhe sind, davon weiß Pink Floyd-Schlagzeuger Nick Mason zu berichten, denn der reflektierte die Zusammenarbeit mit Michelangelo Antonioni mit der handfesten Aussage: „Es ist sehr hart und nervenaufreibend, für einen Verrückten zu arbeiten.“ Obwohl Waters, Gilmore, Wright und Mason rund zwei Jahre zuvor eine ausgesprochen schwierige Zeit mit Syd Barrett durchlebten, stuften sie die Arbeiten am Score zu ZABRISKIE POINT als den härtesten Job ihres Lebens ein.

 

Mit kilometerlangem belichtetem Material flog Antonioni nach Rom, um das frisch fotografierte Zeug adäquat zu schneiden. Simultan bestellte er Pink Floyd in die Ewige Stadt, die in den folgenden zwei Wochen eifrig an einem passenden Soundtrack dokterten. Roger Waters bekräftigt, dass die Band während dieser Zeit ihre Ideen effizient umsetzte, aber Antonioni lauschte den erschaffenen Klangkonstrukten bestenfalls nur halbherzig und hatte immer was an der Musik auszusetzen. In letzter Konsequenz entschied sich Antonioni für drei Songs: "Heart Beat, Pig Meat", "Crumbling Land", "Come in Number 51, Your Time Is Up" (eine Neuaufnahme des Klanggewitters „Careful with That Axe, Eugene“). Die Floyds fühlten sich ob Antonionis lethargischem Desinteresse mehr als geringfügig verarscht, verließen genervt Rom und kehrten mit den übrigen, von Antonioni vornehmlich ignorierten, Aufnahmebändern in den Abbey Road Studios ein, um in der City of Westminster dem Material den ultimativen Schliff zuzuführen. Die Tonmeister affimier(t)en, dass der Stoff den Grundstein für das „Atom Heart Mother“-Alben lieferte. Der Titelsong des 1970 veröffentlichten Album weckte übrigens das Interesse von Stanley Kubrick, der den ersten Teil („Father’s Shout“) dieser grandiosen Tondichtung in die Auftaktsequenz von UHRWERK ORANGE integrieren wollte, was Pink Floyd allerdings ablehnten. Roger Waters spielte im Gegenzug mehr als 20 Jahre nach dem Erscheinen von 2001- ODYSSEE IM WELTRAUM mit dem Gedanken die Stimme von HAL 9000 für sein Alben „Amused to Death“ zu verwenden, da es jedoch zu keiner konkreten Anfrage kam, wurde der Gedanke niemals in die Tat umgesetzt.

 

Den miserablen Erfahrungen mit Antonioni folgte ein harmonisches Zusammenwirken der Floyds mit Barbet Schroeder, sodass ihre Musik in MORE und LA VALLEE einzog. Erstgenannter wurde auf Ibiza fotografiert, wo David Gilmore sehr häufig abhing. Überhaupt verdankt die genannte Pityusen-Insel ihre Endeckung den Floyds, die dort gar einen Hippie-Boom auslösten. Schließlich wurde Ibiza mit wie nach dem Film MORE zu einem Mekka für Aussteiger. Zahlreiche Freaks lösten ihre Konten auf und folgten den Floyds, die freilich längst fort waren, nach Ibiza. Aus den Musikboxen der ansässigen Gaststätten erklangen „Ummagumma“ sowie der MORE-Score. „Astronomy Domine“, „Grantchester Meadows“ als auch „Several Species of small furry Animals gathered together in a Cave and grooving with a Pict“ bahnten sich ihre Wege durch einen dichten Haschischnebel, um in die Gehörgänge berauschter Aussteiger einzuziehen und die Adressaten zu den (von Pfeifer Syd¹ bewachten) Pforten zur Dämmerung zu transportieren. Falls Sie mir immo nicht folgen können, dann googlen Sie mal nach „Wind in the Willows“ sowie nach dem Titel des Pink Floyd-Debütalben.

 

Weit entfernt von Kenneth Grahames Kinderbuch, weit entfernt von Maulwurf, Dachs, Wasserratte und Kröte, weit entfernt von Syds halluzinogener Traumwelt, liegt das für ZABRISKIE POINT auf Zelluloid gehauchte Los Angeles. Proteste gegen Rassendiskriminierung und den Vietnamkrieg sind dito an der Tagesordnung wie Proteste gegen das rabiate Vorgehen der Polizei. Antonioni lässt im Herzen einer Universität intellektuelle wie pseudointellektuelle Redner in den Mittelpunkt treten und mehr oder minder hitzige Diskussionen führen, sodass sich eine Uneinigkeit, hier der Wille zum friedlichen und dort der Drang zum gewaltsamen Protest, entlädt. Inmitten dieser vornehmlich als Maulhelden identifizierbaren Revoluzzer sitzt Mark. Ein gut aussehender Student, der mit seiner Aussage „Ich bin auch bereit zu sterben, …aber nicht vor Langeweile“ die Blicke der Diskutanten auf sich zieht. Obwohl Mark nach meinem Dafürhalten die Pointe wohlplatziert einsetzt, kann er die Wortführer und deren Erfüllungsgehilfen nicht wirklich begeistern und erntet stattdessen ein kollektives Naserümpfen. Man blickt auf ihn, als sei er der ewige Nobody, dem man unter keinen Umständen einen Platz auf ihrer selbst errichteten Showbühne zugestehen will. Irgendwie erinnert mich Mark Auftritt an Andreas Baader, der mittels seiner Kommentare den Starrhetorikern der Kommune 1 (K 1) ebenfalls nur ein verachtendes Lächeln abverlangen konnte. Baader hatte mit Diskussionen eh nicht viel am Hut (im Ernstfall sprach Gudrun Ensslin ja für ihn) und war stattdessen Befürworter von Taten. Wo er auch auftauchte, forderte er Aktionen. Eine Maxime, die auch der Filmcharakter Mark, für sich beansprucht und sich demgemäß im Waffenhandel eine Schusswaffe zulegt, um für den Kampf gegen die Polizei gerüstet zu sein.

 

Antonioni behauptete lang vor dem Start des Projekts ZABRISKIE POINT, dass sein zukünftiger Film an aktuelle Ereignisse anknüpfen werde, da die ganze Welt den Aufstand probe. Freilich brodelte es derweil auch in den USA über alle Ecken und Enden hinaus, was Rassenunruhen, Studentenunruhen und Proteste gegen den Vietnamkrieg wie gegen die Polizeigewalt bezeugen. Beim Kent-State-Massaker im Bundesstaat Ohio (4. Mai 1970) wurden 4 Studenten von den Nationalgardisten getötet und neun weitere schwer verletzt. Ca. eine Woche später erschossen Nationalgarde und Staatspolizei im Bundesstaat Georgia (in Augusta) sechs schwarze Studenten. Und am 15. Mai 1970 schossen Stadt- und Staatspolizei auf ein Studentenwohnheim an der Jackson State Universität, töteten dabei Phillip Lafayette Gibbs (21 Jahre) und James Earl Green (17 Jahre). Im Zuge dessen sollte es keineswegs überraschen, dass der in ZABRISKIE POINT thematisierte Campus-Konflikt zwischen Studenten und Ordnungshütern (die in ihren dunkelblauen, fast schwarzen Uniformen sowie ihrem rigorosem Vorgehen an die SS respektive die SA erinnern) das Leben eines schwarzen Studenten als auch eines Polizisten fordert. Antonioni, der in den USA emsig für ZABRISKIE POINT recherchierte, wurde übrigens selbst Zeuge von Campus-Unruhen und einhergehender Polizeigewalt.

 

Der Tod jenes Polizisten bewegt den Studenten Mark dazu, ein Flugzeug zu stehlen und in die Wüste zu flüchten. Die Wüste bietet den harten Kontrast zu der alltäglichen Gewalt in L.A.. Sie (die Wüste) vermittelt Ruhe und strahlt Frieden aus. Zudem bietet sie Mark den gewünschten Zufluchtsort, der ihn vor Polizeiermittlungen schützen soll. Daria, mit der Mark in der Mojave-Wüste zusammentrifft, frequentiert die Einöde, um in sich zu gehen und zu meditieren. Während ihres gemeinsamer Blicks vom Zabriskie Point, ein mythischer Ort der Indianer, auf die sandgeflutete Landschaft, diskutieren sie eifrig und konsumieren einen Joint, der sie zum Liebesspiel animiert. Aus dieser Situation wächst eine, dem Haschischkonsum geschuldete Vision (Daria´s Vision), die zahlreiche Hippiepaare beim love-in zeigt. Roman Maurer schreibt in diesem Zusammenhang: […] „Der Mensch wird in der Natur aufgelöst, das Einzelne ins Kollektiv erweitert. Das love-in ist Darias Hippie-Traum einer Verbundenheit von Natur, Mensch und Liebe.“ [… ]² Hans-Peter Rodenberg blickt deutlich tiefer und behauptet […] „Mensch und Erde werden eins, der scheinbar tote Staub gebiert Liebe. Wie in der Prometheus-Sage des griechischen Altertums wurde auch in der Überlieferung verschiedener nordamerikanischer Indianderkulturen der Mensch aus einem Stück Lehm geformt, dem dann Leben eingehaucht wurde. Onto- und Phylogenese des Menschen verschmelzen in Antonionis Phantasmagorie so mit der Entstehung des Lebens aus dem Urelement der Erde.“ […]³

 

In meinen Augen wird mit dem Eintritt in die Wüste, der Weg zum Ursprung gesucht. Das Verweilen in der Wüste symbolisiert das krasse Gegenteil zum zuvor erfassten Gewalttreiben in L.A.. An die Stelle des „Hate and War“, das in den radikalisierten Großstädten vorherrscht, ist das „Love and Peace“ des Ursprungs getreten. Die Wüste als ein von Zivilisation verschontes Paralleluniversum. Ein hermetischer Kosmos, der als Projektionsfläche für Gedanken beziehungsweise Phantasien dient: Darias love-in-Phantasie als auch ihre Gewaltphantasie, die weniger mit Marks Tod als viel mehr mit der Konsumgesellschaft abrechnet. Die dabei resultierende Explosion, der allegorische Urknall (ich verrate nicht zuviel, da nun wirklich jeder halbwegs bewanderte Filmfan wissen sollte, dass ZABRISKIE POINT eine Explosion inkludiert) löste 1970 eine Welle der Empörung aus. Diese begründete sich damit, dass neben den unzähligen Konsum- und Luxusgütern auch Bücher durch die Lüfte fliegen, was man als Angriff auf die kulturellen Errungenschaften der amerikanischen Gesellschaft deutete. Freilich könnte man jetzt noch, um die Diskussion in eine andere Richtung zu lenken, die Bücherverbrennungen im 3. Reich ins Spiel bringen, aber man kann es auch bleiben lassen und nicht jeden Gedankengang auf der obligatorischen Goldwaage ausbalancieren. Deutlich interessanter finde ich, dass die Explosion aus mehreren Blickwinkeln und in Zeitlupe aufgeführt wird, was sie zu einem formvollendeten Spektakel macht - akustisch von Pink Floyds "Come in Number 51, Your Time Is Up" begleitet. Ein Freudenfest für Augen und Ohren.

 

Seinen Hauptdarsteller Mark Frechette entdeckte Antonioni, bei einer Straßenschlägerei in L.A.. Der junge Mann hatte bis zu diesem Zeitpunkt nichts mit Schauspielerei und Film am Hut, sodass vermutlich Frechettes Ausstrahlung Antonionis Entscheidung rechtfertigte, den Raufbold vom Fleck weg für ZABRISKIE POINT zu engagieren. Nun fehlte noch die Hauptdarstellerin, die Antonioni gemäß meiner Buchquelle in einem Kurzfilm fand. Ich vermute, dass es sich konträr zu der Aussage (Kurzfilm) um die Dokumentation HIPPIE-REVOLUTION, in der Daria Halprin einen klitzekleinen Auftritt hat, handelt. Schließlich schreiben Paul Sahner und Thomas Veszelitis in ihrem Buch „Pink Floyd - Elektronischer Rock in Vollendung“ von einer Einsekundeneinstellung, die Antonioni von Daria überzeugen konnte, und viel länger ist sie auch nicht im Bild zu sehen.

 

 

Fazit: Die Zeit der 68er symbolisiert eine Zeit der Erleuchtung, die den erleuchtungsoffenen Filmschaffenden und Drehbuchautoren reichlich Inspiration offerierte. Doch die Kinder diverser Liaisons von Inspiration und handwerklichem Geschick fielen zumeist nicht in das Beuteschema eines großen Publikums, sodass diese Filme an den Kinokassen abschmierten. Ein gutes Beispiel dafür ist ZABRISKIE POINT, denn Antonionis Film kostete MGM nicht nur viel Geld, sondern auch den Zuschauern wie einer Vielzahl von Kritikern die letzten Nerven. Ich persönlich kann die negativen Reaktionen nicht (!) nachvollziehen und halte ZABRISKIE POINT (den ich erstmals ca. 1984 beim ZDF gesichtet habe) für einen ausgesprochen reichen Film, dessen Sichtung ich jedem für Experimente aufgeschlossenen Filmliebhaber wärmstens empfehle.

 

 

Fußnoten und Quellenangaben:

 

¹ Michele Mari bezeichnet in seinem Roman „Mister Pink Floyd“ (eine Mixtur aus Realität und erfundenen Zeugenaussagen) mit Blick auf den Titel des ersten Pink Floyd Alben („The Piper at the Gates of Dawn“) Syd Barrett als the Piper.

 

² Maurer, Roman: „Entfesselte Träume - Rockmusik und Roadmovies“ (2004), in Kiefer, Bernd / Stiglegger, Marcus: „Pop und Kino“, Mainz: Ventil Verlag KG S. 119

 

³ Rodenberg, Hans-Peter: „Historischer Kontext und der zeitgenössische Zuschauer: Michelangelo Antonionis ZABRISKIE POINT (1969)“, in: Korte, Helmut: „Einführung in die Systematische Filmanalyse“, Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2., Auflage 2001, S. 86

Veröffentlichungen

Der Film wurde hierzulande zweimal in digitalisierter Form veröffentlicht. Die DVD aus der Kabel Eins Edition bietet ein falsches Bildformat und ist demgemäß untauglich. Empfehlenswert ist stattdessen die Warner DVD, die nebst dem richtigen Bildformat eine sehr gute Bildqualität bietet.

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