Carne fresca (ESP)
Die junge Paula (Amber Newman) hat ihren Freund Carlos (Mikail Kronen) gerade erst kennen gelernt, und trotzdem vertraut sie ihm blind. So schöpft sie auch keinen Verdacht als ihr auf Vermittlung durch Carlos hin das Geschwisterpaar Radeck (Lina Romay und Alain Petit) eine größere Summe für ein gemeinsames Sexwochenende auf einer einsamen Insel bietet. Doch der Deal ist faul. Carlos bekommt mehr Geld als er Paula erzählt, und nachdem er sie auf der Insel abliefert, soll er vergessen, dass sie je existiert hat. Denn die Radecks treiben ein teuflisches Spiel.
„Tender Flesh“ war Jesús Francos letzter Kinofilm, anschließend folgten nur noch mit Digi-Cam gedrehte Direct-to-DVD-Produktionen. Als Produktionsfirma ist One Shot Productions gelistet, als Produktionsländer Spanien und die USA. Tatsächlich müsste man auch Deutschland erwähnen, denn im Vor- und Abspann finden sich Namen wie Peter Blumenstock, Christian Kessler und das Videodrom Berlin. Wenn ich mich recht erinnere gab es insgesamt 16 Geldgeber, die Ansage war eindeutig: gebt nichts, was ihr euch nicht leisten könnt, zu verlieren. Zur Überraschung aller warf das Projekt am Ende gar einen kleinen Gewinn ab, wer diesen bekommen hat, scheint allerdings nicht so hundertprozentig geklärt. Egal.
Die Story von „Tender Flesh“ ist eine interessante Abwandlung von Francos „Comtesse Perverse“ (1974) und erweitert diese Geschichte um ein paar Aspekte. Ich möchte zwischendurch einfügen, dass „Tender Flesh“ in meinen Augen nicht nur der beste der letzten Franco-Filme ist, sondern dass Franco hier noch mal so richtig ins Zeug gelegt hat. Schon den Hauptfiguren – von denen es freilich nicht viele gibt - merkt man an, dass ein richtiges Drehbuch vorgelegen hat. Denn gar nicht mal so typisch für Franco gibt es eigene Charakterisierungen für jede dieser Figuren, was dazu beiträgt Szenarien, die im Francoversum keineswegs neu sind, eine besondere Wirkung zu verleihen.
Ich zähle jetzt einfach mal auf. Paula (Amber Newman) ist jung, ohne familiäre Bindungen und lebenslustig. Sie hat kein Problem damit, in Sexshows aufzutreten oder sich für ausreichend Geld übers Wochenende zu verhökern. Die damals gerade erst 19-jährige Amber Newman spielt diese Rolle mit charmanter Leichtigkeit, die zu überzeugen vermag. Die Frau hat etwas an sich, dass ich sogar die Silikonbrüste zu übersehen vermag. Lt. Franco hat sie allerdings ganz gern einen über den Durst getrunken, aber hey, sie war 19. Ich weiß nicht wer dieser Mikail Kronen ist, der die Rolle des Carlos spielt, aber für einen Newcomer versteht er es zumindest ausreichend, diese Mischung aus Geldgier und späterem schlechten Gewissen zu verkörpern. Natürlich ist Carlos ein falscher Hund, und am Ende bekommt er auch – im wahrsten Sinne des Wortes - sein Fett weg.
Lina Romay und einen süffisant agierenden Alain Petit sehen wir als Geschwisterpaar Radeck. Sie organisiert auf ihrer Insel Menschenjagden für zahlungskräftige Kunden, er bereitet die Beute anschließend für diese in seiner Eigenschaft als Chefkoch ganz spezieller kulinarischer Genüsse zu. Damit wandelt Franco das Konzept von „Comtesse Perverse“ ab. Es geht nicht nur um die Befriedigung eigener Gelüste, sondern um ein lukratives Geschäft mit Menschenjagd, Tod und Kannibalismus. Das Opfer wird zunächst missbraucht und anschließend von seinen Peinigern komplett und carnivorisch vereinnahmt, sozusagen die ultimative Inbesitzname eines menschlichen Lebens – falls es nach Plan läuft.
Obwohl Amber Newman die tragendere Rolle hat, musste Franco aus vertraglichen Gründen Monique Parent als Headliner im Vorspann angeben. Aber sorry, der farbloseste Part dieses Films ist Monique Parent. Als Countess Irina von Ruhe reist sie gemeinsam mit dem Geschäftsmann Kallmann, gespielt von Aldo Sambrell, an. Die Rolle von Aldo Sambrell ist wundervoll angelegt, zumindest in der englischsprachigen Version. Kallmann und Irina scheinen ein Paar, dabei scheint dieser eher der Homosexualität zugeneigt. Sambrell spielt diesen Part mit einer Art tragischen Melancholie, die von Einsamkeit und unbefriedigten Sehnsüchten zeugt. Leider zerstört Franco selbst diesen Eindruck in der spanischen Tonfassung. Und zum Schluss hätten wir noch die (weitgehend) stumme Furia, gespielt von Analia Ivars, „a strange creature“, wie Lina Romay sagt.
Jesús Franco hat oft Auspeitschungen, sexuellen Missbrauch oder Folter inszeniert, und doch würde ich die Mitte von „Tender Flesh“ als eine seine härtesten Szenen in dieser Richtung bezeichnen. Der Grund dafür ist keineswegs der Grad an Gewaltdarstellung. Es gelingt ihm durch die bereits erwähnten Charakterisierungen. Paula ist sowieso total niedlich in ihrer kindlichen Naivität, aber auch ein paar der anderen Figuren haben sympathische Züge gezeigt, zumindest etwas. Wenn Paula dann also unter Drogen gesetzt und heftigst ausgepeitscht wird, während sich die übrigen Protagonisten menschlich komplett distanziert von Paulas Schmerz und ihrem Weinen daran erregen, ist das ziemlich harter Tobak. Hierzu setzt Franco zudem gekonnt die Orgelmusik Daniel Whites aus „The Sadist of Notre Dame“ (1979) ein.
Wie bereits erwähnt gibt es zwei Tonfassungen, eine englischsprachige Originalfassung und eine mit spanischem Dubbing. Letztere habe ich mir heute erstmals angesehen. Die Filmfassung selbst ist gleich, keine der Fassungen ist länger oder kürzer. Hauptsächlich finden sich Unterschiede in der Musik. Grundsätzlich gäbe ich dem englischen Originalton den Vorzug, denn in der Spanischen habe ich nicht zuletzt die Stimmen von Amber Newman und gerade die von Aldo Sambrell vermisst. Im Spanischen wird Sambrell von Jess Franco gesprochen, der der Figur eine komödiantische und alberne Note zu verleihen versucht, die einfach nicht mit Sambrells Performance übereinstimmt und deshalb nur Kopfschütteln auszulösen vermag. Francos Dubbing widerspricht sich hier völlig mit der Figur. Für die englische Fassung gilt leider, was ich schon bei „Esmeralda Bay“ (1989) bemerken musste. Franco hatte nur wenig Erfahrung mit Ton-Orginalaufnahmen am Set, und auch hier bei „Tender Flesh“ sind viele Dialoge mal wieder akustisch nur schwer verständlich. Was dagegen die musikalische Vertonung betrifft, so ist diese in der englischen Fassung wundervoll, überhaupt hat „Tender Flesh“ einen sehr starken Soundtrack. Die musikalischen Ergänzungen in der spanischen Fassung kolportierten Francos Stil allerdings etwas besser. Bei der längeren Szene der Menschenjagd gelingt es ihm durch Einfügen dissonanter Klänge zudem, die Szene düsterer zu gestalten. Zudem erfährt man ausschließlich in der spanischen Tonfassung, was es mit dem damaligen Poster-Untertitel „Boccato di cardinale“ auf sich hat.
Als Erstes begegnete mir „Tender Flesh“ in Form einer Videokassette im Videodrom Berlin. Diese war ein Doppelpack von VHS-Kassette und Soundtrack-CD. Entgegen der Angaben auf OFDb enthielt diese natürlich keinen deutschen Ton sondern war im englischen Original mit deutschen Untertiteln. Sollte jemandem mal ein komplettes Exemplar mit Soundtrack-CD davon in die Hände fallen, darf er sich wohl ruhig einen Phantasie-Sammlerpreis dafür aus den Fingern saugen.
Heute gesichtet wurde die französische Doppel-DVD von Artus Films. Diese enthält auf einer Disc beide Tonfassungen, allerdings mit französischen Zwangsuntertiteln. Darüber hinaus ein knappes Dutzend Trailer zur Jess Franco Collection von Artus Films. Auf Disc 2 befindet sich interessantes Bonusmaterial vom Dreh, wahlweise im spanisch-englischen Originalton, musikalisch untermalt oder mit französischem Kommentar von Alain Petit. Bild- und Tonqualität des Hauptfilms sind annehmbar, aber ich denke, da ginge noch was – gerade auch in Sachen international verständlicher Untertitelung der spanischen Tonfassung und des bereits erwähnten Bonusmaterials auf Disc 2.