Mitten in Deutschland: NSU - Die Täter

Deutschland, 2016

Alternativtitel:

Die Täter - Heute ist nicht alle Tage

Kamera:

Frank Lamm

Drehbuch:

Thomas Wendrich

Inhalt

Jena nach der Wende: Viele Jugendlichen verlassen die neuen Bundesländer um im Westen ihr Glück zu suchen. Andere bleiben und rutschen von der Schule direkt in die Arbeitslosigkeit. Sie fühlen sich vom Staat im Stich gelassen, leben in den Tag hinein und suchen nach Alternativen. Eine dieser Jugendlichen ist Beate Z., die gemeinsam mit ihrer Mutter in einer kleinen Mietwohnung lebt. Gemeinsam mit ihrer Freundin, Sandra, hängt Beate mit Punks und Linksradikalen ab und beteiligt sich an Aktionen gegen die Nazi-Skins aus ihrem Umfeld.

 

Bei einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im ortsansässigen Winzerclub lernt Beate jedoch einen der Skinheads, Uwe M, näher kennen. Es entwickelt sich eine Beziehung, die Beate in die rechte Szene führt. Dort findet sie Halt und Bestätigung, aber auch abgrundtiefen Hass. Als Uwe B. zu dem Paar stößt lautet ihr Motto:

 

TATEN STATT WORTE.

Review

RECHTER TERROR IN DEUTSCHLAND – DIE ZEIT VOR DEM NSU

 

Gegenwärtig wird der deutsche Rechtsterror vornehmlich mit dem NSU verbunden, dafür sorgt zum Beispiel die bekannteste Suchmaschine des Inet. Doch Rechtsextremisten und Rechtsterroristen sind seit Jahrzehnten im „Land der Dichter und Denker“ aktiv und deren Kampf reicht zurück bis in die 1970er Jahre und bietet ein unfassendes literarisches Feld, um sich damit ausgiebig auseinanderzusetzen.

 

So rief beispielsweise Michael Kühnen am 29. November 1977 die „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“, die aus dem „Freizeitverein Hansa“ hervorging, ins Leben. Eine Vereinigung der Christian Worch, Frank Stubbemann, Tibor Schwartz, Christian Grabsch, Peter Teuffert und Michael David angehörten. Die ANS konnte unter anderem mit ihrer „Eselsaktion“ für Schlagzeilen sorgen und stand in engem Kontakt zu Gary Lauck und der NSDAP Aufbauorganisation. Nach dem Verbot der ANS wuchs über kleine Umwege die GdNF (Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front) und später die FAP heran. Nachdem Kühnens Homosexualität bestätigt wurde, kam es zu derben Differenzen innerhalb der rechten Politlandschaft, die unter anderem von Friedhelm Busse mächtig angeheizt wurden.

 

Um den Folgen seiner Volksverhetzung zu entgehen, beschloss der Jurist, Manfred Roeder, Ende der 1970er in den Untergrund zu gehen. Nach seinem Aufenthalt im Iran (wo man ihm Asyl gewährte) verschlug es ihn (frühe 1980er) wieder nach Deutschland. Nach beziehungsweise neben dem RAF-Terror sollte nun auch von rechter Seite Druck ausgeübt werden, um den Staat endgültig in die Knie zu zwingen. Es war die Geburtsstunde der „Deutschen Aktionsgruppen“, eine terroristische Vereinigung die (sechs) Sprengstoff- und (zwei) Brandanschläge wie zum Beispiel gegen eine Ausschwitzausstellung, eine jüdische Schule und eine Unterkunft für vietnamesische Kriegsflüchtlinge verübte. Da die Motive einzig mit Rassismus begründet und zudem keine Bekennerschreiben am Tatort hinterlassen wurden, werden diese Anschläge oft mit denen des NSU verglichen.   

 

Die von einigen „Experten“ gern getätigte Aussage, dass die „Hepp-Kexel-Gruppe“ zum Kreis rechtsextremistischer Terrorgruppen zählt, ist schlichtweg falsch! Odfried Hepp und Walter Kexel hatten sich mit Gründung der Gruppe vom Hitlerismus losgesagt und zum antiimperialistischen Befreiungskampf aufgerufen. Man wollte durch gezielte Anschläge den Abzug der US-Truppen aus Deutschland provozieren. Zudem muss man entschieden gegen die Behauptung sprechen, dass die „Hepp-Kexel-Gruppe“ aus der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ entstanden sei. Weder Odfried Hepp, Walter Kexel, Dieter Sporleder, Hans Peter Fraas, Helge Blasche oder Ulrich Tillmann waren jemals Mitglieder der (von Karl-Heinz Hoffmann gegründeten) WSG. Hepp und Fraas sind zwar mit Hoffmann im Libanon gewesen, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

 

Obwohl die „Wehrsportgruppe Hoffmann“ im Januar 1980 vom damaligen Bundesinnenminister, dem FDP Politiker, Gerhart Baum, verboten wurde, entwickelte sich dieses Kalenderjahr zum bis dato blutigsten des deutschen Rechtsterrorismus. Weniger als drei Monate nach dem Oktoberfestattentat (der „Einzeltäter“ nahm an ein oder zwei Übungen der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ teil und war kein, wie es meist behauptet wird, festes Mitglied der WSG) erschoss das Uwe Behrendt den Verleger Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin, Frida Poeschke, mit der angeblichen Begründung, dass Lewin die WSG Hoffmann immer wieder angeprangert hat, wie zum Beispiel in der italienischen Zeitschrift „Oggi“. Uwe Behrendt floh anschließend zur „WSG-Ausland" in den Libanon, wo Hoffmann und seine Leute mit den Palästinensern zusammenarbeiteten. Dass Behrendt für den späteren Tod von Kai-Uwe Bergmann hauptverantwortlich ist, sollte kein Geheimnis sein. Wie Behrendt später selbst zu Tode kam, muss ich allerdings mit einem dicken Fragezeichen versehen, denn die Allzweckdiagnose Selbstmord spukt mir einfach zu oft durch die Geschichte des (unabhängig ob links- oder rechtsextrem motivierten) deutschen Terrorismus.

 

Finalisierend sei gesagt, dass (die in den 1980ern aktiven) CSU-Politikergrößen, Gerold Tandler und Franz Josef Strauß, die Mitglieder der „WSG Hoffmann“ als „harmlose Spinner“ bezeichneten und das Verbot der WSG heftig anprangerten. Zudem sei man aufgrund der V-Leute über alle Schritte der „WSG“ informiert gewesen. Da die beschriebenen Taten nach dem Verbot der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ begangen wurden, stellt sich natürlich die Frage, ob der Verfassungsschutz die Lage (bis zum Verbot) nicht tatsächlich im Griff hatte? 

 

EIN TRIO FINDET SICH UND SEINEN WEG

 

„In diesem Land tut sich nichts ohne Widerstand. Wir tun das Richtige und wir tun es jetzt!“ (Beate Z.)

 

„Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“ ist ein von Christian Schwochow inszenierter Fernsehfilm, der sich an den Ereignissen um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt orientiert. Zugleich ist es der Auftakt zur „Mitten in Deutschland-Trilogie“, die im Frühjahr 2016 von der ARD erstausgestrahlt wurde. Gleich zu Beginn weist eine Texttafel darauf hin, dass der Film keinen Anspruch erhebt, die Geschehnisse in jedem einzelnen Punkt authentisch wiederzugeben und fiktionale Elemente enthält. Aus diesem Grunde werde ich die Rollennamen als Beate Z., Uwe M und Uwe B. suggerieren, um eine gewisse Distanz zu den realen Personen aufzubauen, welche zugleich für einen besseren Überblick (Film und Realität) garantiert. Ergänzend sei angemerkt, dass sich die Darbietungen der drei Hauptprotagonisten mit den literarischen Beschreibungen überwiegend decken.

 

Jenas Jugend wird nach der Wiedervereinigung mit dem Unbekannten der „Westlichen Welt“ konfrontiert. Scientology macht sich im Osten auf die Suche nach neuen Jüngern, und der „Koloss von Oggersheim“ spricht von blühenden Landschaften. Inmitten der „neuen Freiheit“ befinden sich die Freundinnen Beate Z. und Sandra. Der Unterschied zwischen den beiden jungen Frauen ist gravierend. Die eine, Sandra, glaubt an sich und an eine Zukunft, die andere, Beate, meint, dass eh alles keinen Sinn hat.

 

Der Film beleuchtet die Phase nach der Wiedervereinigung bis zum ersten NSU-Mord. So werden wir zum Beispiel mit dem gestörten Verhältnis zwischen Beate Z. und ihrer Mutter konfrontiert. Rainer Fromm und Udo Frank berichten in ihrem Buch „Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland“, dass Beate Zschäpes Mutter, Annerose Zschäpe, wechselnde Männerbekanntschaften hatte. Sie heiratete Horst Petzold, überließ ihm Beate, studierte in Rumänien Zahnmedizin und betrog ihren Ehemann. Mit diesem Hintergrundwissen lässt sich der Hass, den Beate Z. gegenüber ihrer Mutter hegt, besser nachvollziehen, da uns der Regisseur diesbezüglich ein wenig „im Regen stehen lässt“.

 

Das Familienleben von Uwe M. und Uwe B. wirkt hingegen überwiegend intakt. Uwe M. pflegt ein fürsorgliches Verhältnis zu seinem an den Rollstuhl „gefesselten“ Bruder, wird als wissbegierig und begeisterungsfähig dargestellt. Uwe B. verzichtet hingegen darauf, seine Gehirnzellen einzusetzen und setzt meist auf ein kompromissloses und unkontrolliertes „Fressehauen“. Die beiden Männer sind in ihrer politischen Einstellung zwar konform, unterscheiden sich allerdings ganz deutlich in ihrem Gebaren. So handelt Uwe B. spontan und nach Bauchgefühl und macht sich über die Konsequenzen keine Gedanken. Diese Verhaltensweise erinnert an eine (verallgemeinernde) Umschreibung von Michael Kühnen, der behauptete:

 

„Die Skinheads, die sind verrückt und dumm. Sie denken nicht mit den Köpfen,
sondern mit dem Bauch. Sie können zwar gute Soldaten sein, aber keine brauchbaren Menschen.“

 

Folglich muss Uwe M. seinen Kameraden oft zur Räson bringen. Uwe M. will zwar eine Faust zeigen, jedoch ganz sauber. Die Taten sollen sichtbar sein, aber niemals die Täter. Und dieses Ziel wird von dem Gebaren des Uwe B. deutlich gefährdet. Uwe M. besitzt jedoch ein Verantwortungsbewusstsein gegenüber seinem Freund und will ihn auf den (Vorsicht: Doppeldeutigkeit) rechten Weg bringen.   

 

TAG X

 

In einem Video, das die lautlosen Techniken des Tötens in Zeitlupe darstellt und im Dunstkreis von Michael Kühnen vertrieben wurde, besagt der Off-Kommentar:

 

„Der Werwolf ist friedlich und ruhig. Aber reizt ihn nicht zu sehr. Unrecht und Unterdrückung wecken ihn auf. Und wenn er erwacht, ist er unsere Macht. Und die Straßen sind rot vom Blut der Reaktion.“

 

Mit dem seit Jahrzehnten in rechten Kreisen präsente Warten auf den bestimmten Tag, an dem der Nationalsozialismus die Oberhand gewinnt, kann sich Uwe M.  bestens arrangieren. Der autarke Widerstand, das Agieren aus dem Untergrund, den Staat dort treffen wo es wehtut. Uwe M. lebt die nationalsozialistische Ideologie und wenn es sein muss, dann würde er die Gashähne selbst wieder aufdrehen. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Um diesen erfolgreich beschreiten zu können, benötigt Uwe M. die passende Anleitung, welche er in den „Turner-Tagebüchern“ findet. Der Aufbau einer Untergrundzelle zum Zwecke des führerlosen Widerstands. Sich als Elite definieren und körperlich wie geistig topfit werden. Fit für den Tag X, dem Tag an dem man bereit sein muss sein Leben zu opfern. Dieses oft erwähnte rechte Martyrium lässt sich unter anderem mit den Todfällen von Frank Schuberth und natürlich Rainer Sonntag begründen.

 

WENN SCHAUSPIELER ÜBER SICH HINAUS WACHSEN

 

Anna Maria Mühe spielt die Rolle der Beate Z. inbrünstig und beinahe fanatisch. Es sind immer wieder Gefühle des Neids und der Ausweglosigkeit zu spüren. Der gesellschaftliche Erfolg ihrer Jugendfreundin drängt Beate Z. (aufgrund ihres eigenen „Versagens“) immer tiefer in die Frustration. Ein Gefühl, dass sie mit einem abgrundtiefen Hass egalisieren will.

 

Zwei weitere famose Schauspielerleistungen bieten Albrecht Schuch (Uwe M.) und Sebastian Urzendowsky (Uwe B.). Es ist teilweise beängstigend wie es den beiden gelingt die Besessenheit der Charaktere zu vermitteln, denn wenn Uwe B. einen Bierhumpen in das Fressbrett eines Gastwirtschaftsbesuchers schleudert, dann kann es schon beim Zuschauen gewaltig wehtun.

 

Zudem wirken die nachgestellten Situationen, wie der Aufmarsch von Jenas rechter Jugend (inc. der „Wir haben euch was mitgebracht…“ Parole), der Party-Pogo, sowie ein Liederabend, der einen Auftritt von Frank Rennicke suggerieren soll, sehr realistisch. Die Kameraleute und Schnitttechniker haben eine verdammt gute Arbeit geleistet.  

 

Fazit: Eine Sternstunde des deutschen Fernsehens. Ein Film, der die Wut und den Hass der Hauptcharaktere jederzeit authentisch spüren lässt.

 

PS: Die gelegentlich im Zusammenhang mit dem NSU genannte Bezeichnung „Braune Armee Fraktion“, wurde übrigens 2003 erstmals offiziell vom deutschen Innenministerium propagiert. Zur Inspiration diente die um Martin Wiese agierende rechte Zelle „Kameradschaft Süd“.

 

Literaturnachweise:

Aust, Stefan (2014) Heimatschutz: Der Staat und die Mordserie des NSU. 1. Auflage. 

Chaussy, Ulrich (2014) Oktoberfest – Das Attentat. 1. Auflage.

Fuchs, Christian / Goetz, John (2012) Die Zelle – Rechter Terror in Deutschland. 1. Auflage.

Pomorin, Jürgen / Junge, Reinhard (1978): Die Neonazis. 1. Auflage.

Winterberg, Yuri (2004): Der Rebell. 1. Auflage.

Links

OFDb
IMDb

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