The Killer of Dolls
Paul (David Rocha) will Chirurg werden, fürchtet aber den Anblick von Blut. Er ist der Sohn eines Gärtners, der die Anlagen der Contessa Olivia (Helga Liné) pflegt und verfügt über eine seltsame Hassliebe zu Puppen und Frauen. Einst hatte Paul eine Schwester, die aber kurz nach der Geburt verstarb, und seine Mutter, die diesen Verlust nicht recht verarbeiten konnte, zog ihm als Kind Mädchenkleider an und beobachtete ihn beim Spielen mit Puppen. Paul leidet an gespaltener Persönlichkeit. Paul ist verrückt. Paul ist ein Mörder…
„Killing of the Dolls“ beginnt mit einer Einleitung von Regisseur Miguel Madrid, der hier unter dem Pseudonym Michael Skaife auftritt. Wenig ist über ihn bekannt. Er wurde anscheinend im September 1933 in Kastilien als Miguel Madrid Ortega geboren und starb 1996 im Alter von 62 Jahren in Madrid. Als Regisseur inszenierte er nur drei Filme, darüber hinaus war er als Nebendarsteller (Death whistles the Blues/La muerte silba un blues, 1962) und Drehbuchautor (Tanz des Satans/Las amantes del diablo, 1971) tätig. Seine erste Regiearbeit „Necrophagus“ (1971) – in den USA unter den Titeln „The Butcher of Binbrook“ oder „Graveyard of Horror“ zu einem gewissen Kultstatus gelangt – wurde in Spanien von einem (kleinen) Skandal überschattet.
Besucher des Sitges Festival waren sehr verwundert als „Necrophagus“ zusammen mit „Lokis“ von Janusz Majewski den Preis für die beste Regie erhielt, denn offen gesagt ist „Necrophagus“ nicht sehr gut. In Fanzines wird später behauptet, dass Festivalleiter Antonio Ráfales Co-Finanzier von Madrids Film gewesen sei und die Jury geschmiert habe. Der Wahrheitsgehalt ist schwer beweisbar, da man Ràfales nicht in den Credits finden wird, bewiesen ist lediglich, dass er und Madrid sich kannten. Tatsächlich hat Ráfales auch einen Kurzauftritt als Partygast der Contessa in „Killing of the Dolls.“ Egal.
Bevor wir um eigentlichen Inhalt des Films kommen, noch ein paar grundsätzliche Sachen. Miguel Madrid ist Autorenfilmer. Das Drehbuch zu „El asesino de muñecas“ schrieb er selbst, außerdem war er CEO der kurzlebigen Produktionsfirma Huracán Films, welche diesen Film produzierte. Schauplatz des Films ist die wunderschöne Gartenanlage nebst Villa der Contessa, wobei dieser Handlungsort aus mehreren Komponenten zusammengesetzt ist, nämlich dem Palau de Maricel in Sitges, dem Güell Park, dem Ciutadella Park und dem Cervantes Park, letztere drei in Barcelona. Eine Strandszene mit David Rocha und Inma de Santis entstand in Castelldefells, einer kleinen Ortschaft nahe Barcelona. Und der Skandal war nicht weit, denn bedenkt man, dass die Dreharbeiten bereits 1974 (lt. Rocha gar 1973) begannen und Homosexualität noch strafbar war, ist es ein Wunder, dass Madrid sein Drehbuch durch die Zensur bekommen hat.
In Spanien mussten Drehbücher vor Drehbeginn von der Zensurbehörde geprüft und genehmigt werden, erst dann konnte man sie registrieren lassen. Der Film bedient Inhalte wie Homosexualität, Promiskuität, Mord natürlich, gespaltene Persönlichkeit (Mann/Frau), Nekrophilie, Pädophilie, Sex mit einem schwarzen Angestellten (die Contessa), Rocha beim Nacktduschen, etc. Wie man damit an der Zensur vorbeikam? Man verlegte die Handlung nach Montpellier, Frankreich! Sollen die Franzosen machen was sie wollen, wir Spanier machen sowas nicht, hieß wohl die Devise. Das ist angesichts der bekannten Locations natürlich ein wenig lächerlich, denn jeder Spanier wird wohl mindestens den Güell Park wiedererkannt haben.
Worum geht es also in „El asesino de muñecas“? Miguel Madrid, welcher sich zu Lebzeiten darüber beklagte, andere würden seine Drehbücher stehlen, liefert einen beeindruckenden aber auch kuriosen Mischmasch ab. Ein wenig „Psycho“, zahlreiche Giallo-Motive, sowie einen nicht zu übersehenden Einfluss durch Eloy de Iglesias „Cannibal Man“ (La semana del asesino, 1972). Dazu eine Musical-Nummer (die in einen Doppelmord mündet, wie man fairerweise anmerken sollte) und – wie bereits angedeutet – zahlreiche provokante Anspielungen. Zwei Beispiele. Paul hat sich mit einem kleinen Jungen angefreundet, der sich immer im Park herumtreibt und mit dem er sich identifiziert, weil der ein kleiner Mistkerl ist. In einer Szene spielt der Junge am Wasser, und Paul kommt hinzu. Die spanischen Zensoren mokierten, Paul würde den Jungen schlagen, das sei inakzeptabel, weil Kindesmissbrauch. Ich weiß nicht, ob die Zensoren so konservativ waren, dass sie das Offensichtliche nicht auszusprechen wagten, aber ich sehe da – auch wenn beide Akteure halbwegs bekleidet sind – eine simulierte Vergewaltigung. Als Weiteres wäre da das Doktorspiel von Paul mit dem Jungen. Dieses mündet fast in einen Mord, und als es an der Tür klopft und Paul das Szenario verlässt, knüpft er sich deutlich sichtbar die Hose zu. Doktorspiele eben. Tatsächlich bleibt am Ende offen, ob der Junge den Film überlebt hat oder nicht.
Aber ich will nicht zu viel über den Inhalt verraten. Höhepunkt wird eine Liebesgeschichte zwischen Paul und der Tochter der Contessa, gespielt von der damals 15- oder 16-jährigen Inma de Santis. Paul wird sich allmählich bewusst, dass die traumhaften Erinnerungen, die er an Handlungen seiner zweiten Persönlichkeit hat, tatsächlich stattgefunden haben und er versucht sich zu ändern. Das Finale hierzu ist wirklich verstörend und tragisch. Und wie sieht es in unserer Realität aus? Nun, um die offensichtliche Homosexualität des Hauptdarstellers abzuschwächen, dichtete ihm die Boulevardpresse eine Liebesbeziehung zu Inma de Santis an. Mitte der Achtziger – nach Beendigung seiner Karriere als Schauspieler (der es satt hatte, die Annäherungsversuche von Produzenten über sich ergehen zu lassen) – machte David Rocha noch mal mit der Ankündigung seines Selbstmords (mit Datum und Uhrzeit) im Magazin „Pierrot“ von sich reden. Den Selbstmord hat er dann aber zum Glück doch nicht durchgezogen.
„El asesino de muñecas“ ist ein ebenso abwechslungsreicher wie spontaner Film. Trotz eines ausgeklügelten Drehbuchs wurden Szenen nur ein Mal gedreht, nichts wurde wiederholt. Das macht die Performance von David Rocha – hier in seiner ersten Hauptrolle – sehr wechselhaft. Seine Darstellung schwankt zwischen exzentrischer Natürlichkeit und unfreiwilliger Komik. Seltsamerweise macht das seine Darstellung sehr real, vielleicht zu real für einen Psycho-Thriller. Sein Filmdebut hatte Rocha übrigens in der deutschen TV-Serie „Percy Stuart“ (1969), für die oft in Barcelona gedreht wurde, bevor er später bei Bunuel und Naschy zu sehen war. Die Rolle seiner zweiten Persönlichkeit wird übrigens von Rochas Schwester Lupe gespielt.
Ich möchte noch erwähnen, wie wundervoll Inma de Santis wirkt, und der betörende und verlangende Blick, den dieses junge Mädchen bei ihrer ersten Begegnung mit Paul an den Tag legt, zeugt davon, dass Schaupielerei eben nicht immer auf persönlicher Erfahrung beruhen muss, wenn man talentiert genug ist. Und über eines sollte man beim Sichten des Films nicht allzuviel nachdenken – political correctness. Denn sonst muss man sich die Frage stellen, ob das Bild, das Miguel Madrid hier von Homosexualität entwirft, nicht verdammt schwulenfeindlich ist.
Wie auch immer, „El asesino de muñecas“ ist ein sehr sehenswerter spanischer Giallo, der einem neben einer interessanten Geschichte und exzentrischer Inszenierung jede Menge Provokationen um die Ohren haut.
Mondo Macabro veröffentlichte den Film unter dem Titel „The Killer of Dolls“ mit einer Lauflänge von 104 Minuten im Oktober 2019 auf Blu-ray (4K), in Spanisch mit engl. Untertiteln, Region A, B & C. Im Bonusmaterial findet sich ein Interview mit Hauptdarsteller David Rocha, geführt von Uwe Huber. Weiterhin gibt es ein zweiteiliges Interview mit Dr. Antonio Lázaro-Reboll, in dem er einmal über den spanischen Horrorfilm im Allgemeinen und im zweiten Teil über „El asesino de muñecas“ spricht. Neben zwei Audiokommentaren mit Kat Ellinger, sowie Robert Monell und Rod Barnett, beinhaltet die Veröffentlichung auch ein sehr informatives Booklet von Ismael Fernandez. Diese Inhaltbeschreibung gilt für die Limited Edition von Mondo Macabro, der späteren Retail-Version könnten Features fehlen.
Zu Beginn des Films weist Mondo Macabro auf die schlechte Qualität des Ausgangsmaterials hin, aber nein, das sieht alles verdammt gut aus, solange man kein Korinthenkacker ist.