Prière d'extase (FRA)
Gushing Prayer: A 15-Year-Old Prostitute
Die 15-jährige Yasuko (Aki Sasaki) und ihre drei Freunde haben den Kopf voller seltsamer Ideen, was ihre erwachende Sexualität betrifft. Losgelöst von der Welt der Erwachsenen suchen sie nach Wegen anders zu sein, geben sie einander vor, beim Sex nichts zu empfinden. Auf der Suche nach Gefühlen, die sich von denen Erwachsener aber unterscheiden sollen, schläft Yasuko mit ihrem Klassenlehrer und wird schwanger. Von der Gruppe unter den Verdacht gestellt, deren Ideale verraten zu haben, muss sie nun unter Beweis stellen, dass sie in der Lage sei, nur mit dem Körper zu fühlen. Hierfür soll sie sich prostituieren.
„Autopsie zwecklos – Ihr könnt mein Innerstes sowieso nicht verstehen“
Der Film beginnt mit den zwei Mädchen Yasuko und Yoko und den zwei Jungen Koichi und Arai beim Sex. Es ist eine seltsame Szenerie, denn während zwei miteinander schlafen, versuchen die übrigen durch bohrende Fragen herauszufinden, ob das Mädchen Yasuko etwas dabei empfindet. Es scheint, als wolle niemand etwas empfinden, außerdem haben alle viel zu sehr den Kopf damit voll die Realität in ihre Theorien pressen zu wollen.
Es geht seltsam weiter. Yasuko ist (möglicherweise, könnte auch ein anderer gewesen sein) von ihrem Klassenlehrer schwanger und will das Kind behalten. Um den anderen zu beweisen, dass sie beim Sex mit ihrem Lehrer nichts empfunden hat, soll sie allen genau vorführen, wie die „Begegnung“ mit dem Lehrer verlaufen ist, Koichi nimmt dabei den Platz des Lehrers ein. Doch das reicht noch nicht. Yasuko soll sich prostituieren, um zu beweisen, dass…ja, was eigentlich? Mittendrin ändert sich die Theorie. Plötzlich scheinen alle – während Yasuko an einen Kerl nach dem anderen für immer weniger Geld verscherbelt wird, schließlich gar für eine Mahlzeit - begierig darauf, dass Yasuko etwas empfindet, um zu wissen, wie sich das anfühlt. Der Sex findet dabei in aller Öffentlichkeit statt, während Gefühle verleugnet werden.
Und die Gefühle werden tatsächlich verleugnet, denn jeder in der Gruppe lügt diesbezüglich, wie der Zuschauer im weiteren Verlauf erfährt. Und so sind, nach einer verwirrenden aber sehr schön gefilmten dreiviertel Stunde, die folgenden 30 Minuten auch die Intensivsten. Yasuko möchte allein sein und mietet sich in einem Hotel ein. Abseits von ihren Freunden lässt sie ihren Empfindungen freien Lauf, und die unterscheiden sich nicht allzu sehr von denen anderer ungewollt schwangerer Minderjähriger in vergangenen Zeiten. Und Koichi ist – wir haben es geahnt – im Grunde in sie verknallt. Es scheint als habe er sie zuvor demütigen wollen, damit er seine Gefühle für sie gegenüber sich selbst verleugnen kann.
„Ich will nicht verlieren. Doch wenn ich nicht gewinnen kann, bleibt nur der Tod“
Wie viele Pinkus jener Zeit ist „Gushing Prayer“ mehrheitlich in schwarz/weiß, mit einigen Farbszenen und – spielereien. Gedreht wurde „Gushing Prayer“ von einem der interessantesten und durchaus kontroversen Regisseure des japanischen Pinku und des Japanischen New Wave, Masao Adachi. Adachi war ein häufiger Drehbuchautor für die Regiearbeiten von Koji Wakamatsu, auch für Nagisa Oshima. Das erklärt nicht nur die politische Herkunft Adachis, sondern auch den intellektuellen Ansatz in seinen Pinkus. Wobei „Gushing Prayer“ mit diesem intellektuellen Ansatz auf interessante Weise spielt und ihn schließlich gar teilweise negiert. Denn hinter all den Wirrungen, die in den Köpfen der jugendlichen Protagonisten so große Bedeutung zu haben scheinen, lauert eine menschliche und biologische Realität, der sie nicht entrinnen können.
Doch bevor Masao Adachi im Jahr 2007 seine Regiekarriere fortsetzen konnte, machte er einen kleinen Umweg. Nach „Gushing Prayer“ reiste er 1971 mit Koji Wakamatsu (beide kamen gerade aus Cannes zurück) nach Beirut, wo sie den Dokumentarfilm „Red Army/PFLP: Declaration of World War“ (Sekigun-P.F.L.P: Sekai sensô sengen, 1971) drehten. Anschließend schloss sich Adachi im Libanon der Nihon Sekigun (Japanische Rote Armee) an, welche im libanesischen Bekaa-Tal ihre Basis hatte. Die JRA, man kann es nicht beschönigen, war eine Terrorgruppe, die für zumindest vier größere Anschläge verantwortlich zeichnet. Die deutsche Journalistin Regine Igel bezeichnete Adachi neben der Gründerin der JRA, Fusako Shigenobu, dabei als Führungsperson der Gruppe und sagte dieser zudem Kontakte zur DDR nach. Ohne diesbezüglich eine Wertung vornehmen zu wollen, zitiere ich hierzu mal Adachi selbst, der das als „Unsinn“ bezeichnete. Tatsächlich wurde er, nach seiner Verhaftung und Rückkehr nach Japan nach 28 Jahren, lediglich für die Fälschung von Ausweispapieren belangt.
Im September 2001 wurde er hierfür zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt, von denen er lediglich 18 Monate absitzen musste. Während seiner Zeit im Libanon tauchten in Japan pseudonyme Drehbücher von ihm auf, die meist von Koji Wakamatsu umgesetzt wurden. Adachi selbst nahm 2007 wieder auf dem Regiestuhl Platz und drehte „Yûheisha – terorisuto“. Ich habe diesen Film nie gesehen, aber die Geschichte um einen Selbstmordattentäter, dessen Handgranate versagt, so dass er gefasst und von den Behörden gefoltert und einer Art Umerziehung unterzogen wird, soll nichts für schwache Gemüter sein. Insbesondere klingt die Geschichte interessant, da sie Bezüge zum größten Anschlag der JRA auf dem Flughafen von Tel Aviv im Mai 1972 weckt. Bei diesem Anschlag schossen drei japanische Studenten mit Maschinenpistolen in die Menge und warfen Handgranaten. Sie töteten 26 Zivilisten und verwundeten Dutzende. Einer der Kozo Okamoto, überlebte und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, kam aber 1985 durch einen Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Volksfront zur Befreiung Palästinas wieder frei. Seit 2000 lebt Okamoto im Libanon unter Politischem Asyl.
Adachis (voraussichtlich) letzter Film war „Artist of Fasting“ (Danjiki geinin, 2016), eine Adaption von Franz Kafkas „Ein Hungerkünstler“.