Friedenspolka

Deutschland, 1987

Originaltitel:

Friedenspolka

Alternativtitel:

Friedenspolka - Der 40-jährige Frieden

Deutsche Erstaufführung:

02. Dezember 1987

Regisseur:

Rolf Hädrich

Drehbuch:

Matthias Esche

Inhalt

Auf Gut Hasselburg in Schleswig Holstein wird prominenter Besuch erwartet. Abrüstungsexperten der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion wollen sich einem TV-Duell stellen, um die gegenseitigen Positionen der Supermächte und deren Vorschläge zur Erhaltung des Friedens zu erläutern. Bei den Vertretern handelt es sich um den amerikanischen Sonderbotschafter  Grey (Pinkas Braun) und den Delegierten Petrov (Gert Westphal). Den Schlagabtausch soll die TV-Moderatorin Holst (Eva Renzi) leiten. Schon vor der Sendung finden Gespräche zwischen den Gästen statt und die zunächst friedliche und unbefangene Atmosphäre kocht aufgrund sehr unterschiedlicher Ansichten derartig hoch, dass das kurz vor der Aufzeichnung stehende Gespräch zu platzen droht. Ist Krieg nach Ansicht der Abgesandten tatsächlich die beste Legitimation für den Frieden..?

Autor

Prisma

Review

Rolf Hädrichs ab August 1987 gedrehtes TV-Spiel wurde vom NDR zunächst auf den 16. Dezember des gleichen Jahres terminiert, doch aufgrund des damaligen Washingtoner Gipfeltreffens zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow am 7. Dezember 1987 wurde "Friedenspolka" auf den 02.12. zur besten Sendezeit vorgezogen. Im Norden der Bundesrepublik wird hoher Besuch erwartet, denn Rüstungsexperten der USA und UdSSR haben sich für einem Schlagabtausch vor laufender Kamera bereit erklärt Trotz der idyllischen Landschaft, der Ruhe und Verschlafenheit, die von den Schauplätzen vermittelt wird, entsteht bereits im Vorfeld eine nervöse Spannung, denn es wird um fundamentale Dinge gehen. Bereits zuvor soll große Prominenz auf dem Gut gewesen sein, das aufwändig zu einer Art Studio umfunktioniert wurde. Die Rollenverteilungen sind von vorne herein absolut klar. Deutschland als Gastgeber soll durch die TV-Moderatorin Holst eine vermittelnde Position einnehmen, was allerdings aufgrund einer angriffslustigen Eva Renzi nicht so einfach werden wird. Dies zeigt sich bereits ganz früh, da die Moderatorin teilweise aggressiv, wenn auch höflich, in die laufenden Gespräche hineingrätscht und dem Verlauf unerbittlich ihren Stempel aufdrücken möchte. Doch wie es aussieht, hat sie die Rechnung ohne die anwesenden Herren gemacht, die die attraktive Dame aufgrund ihres Geschlechts und der vermeintlichen Unwissenheit bezüglich Themen von globaler Wichtigkeit degradieren und außen vor lassen. Sichtlich ungeduldig und vor den Kopf gestoßen, forciert sie ihre Gesprächsführung und nimmt wichtige Fragen vorweg, was jedoch an der bestehenden Männersolidarität abzuprallen scheint.

 

Der »neue sowjetische Standpunkt« soll im Schlagabtausch dargelegt werden, doch bevor auch nur eine Kamera läuft und das Spotlight angestellt ist, verlieren sich die Herren ausgelassen im Smalltalk. Man jongliert mit Höflichkeiten und Worthülsen, es wird mit kulturellen Errungenschaften geprahlt und Eva Renzi beginnt, innerlich zu kochen. In Etappen wird die Arbeit hinter den Kulissen immer wieder anschaulich vermittelt, originale Einspielsequenzen - beispielsweise aus der Wochenschau 1939 - fungieren erklärend und deuten an, wohin diese sogenannten "Hasselburger Gespräche" führen sollen. Fieberhaft wartet man auf den US-Sonderbotschafter, Kanzler Helmut Schmidt sei höchstens zu einem Auftritt in einem Filmstudio zu bewegen gewesen und der Zuschauer weiß, dass er es mit einem waschechten Politikum zu tun bekommen könnte. Es ist sehr interessant, dass dieser Fernsehfilm an aktuelle Geschehnisse angepasst wurde. Regisseur Hädrich legt dabei großen Wert darauf, dass sein Beitrag nicht nur zu einem Angebot mit Anspruch wird, sondern seiner Unterhaltungsfunktion ebenso Genüge tut. Immer wieder folgen Einspielungen, die in der laufenden Sendung gezeigt werden sollen, wie beispielsweise aus Hiroshima, oder Interview-Sequenzen mit geschichtlichen Zeitzeugen. Hierbei ist und bleibt der Blick auf die im verborgen liegende Arbeit spannend, da man als Konsument normalerweise nur fertige Ware ohne Störungen und ohne Hektik serviert bekommt. Beim Stichwort Hektik denkt man sich allerdings insgeheim, dass mit einer angriffslustigen Moderatorin wie Eva Renzi noch genügend Zündstoff in der Luft liegt, da sich ihre Unberechenbarkeit in vielen Szenen im Vorfeld andeutet.

 

Es ist hier hoch beachtenswert und nicht minder lehrreich, die politische Eva Renzi präsentiert zu bekommen. Geht man ein bisschen weiter, lässt sich vielleicht sogar behaupten, dass sich Eva Renzi ein Stück weit selbst spielt, immerhin war die Berlinerin berüchtigt für ihre Attacken; man erinnere sich an den Eklat bei den Bad Hersfelder Festspielen 1983, als sie den amtierenden Bundespräsidenten angeblich öffentlich als »alten Nazi« bezeichnet haben soll und daraufhin gefeuert wurde. Aber es geht bei diesem politischen Diskurs nicht um Eva Renzi, sondern um Angelegenheiten, die für ganze Nationen von größter Bedeutung sind. Bei der Interpretin glaubt man zu sehen, dass sie es kaum ertragen kann, dramaturgisch und praktisch an der Leine gehalten zu werden, was sich darin bestätigt, wenn ihr endlich die Bühne überlassen wird. Renzi galt als leidenschaftliche Rednerin und Vertreterin liberaler Interessen, was sie auch hier eindrucksvoll unter Beweis stellt, allerdings auf Kosten der nötigen Objektivität einer Moderatorin. Agiert sie also wie man sie kennt? Zumindest im Fernsehen oder Kino waren ihre Rollen anders angelegt, vielleicht entschärfter, doch hier gibt sie sich problematisch und unbequem für ihr Gegenüber. Sie ist äußerst kritisch und launisch beim Hinterfragen, reagiert mit Zorn, Wut, Entsetzen oder sogar Verachtung, außerdem ist ihre so bekannte Körpersprache wahrzunehmen. Sie streift sich frustriert, beinahe theatralisch durch die Haare, atmet tief ein, um damit ihre konstruktiven (oder destruktiven) Pausen einzuleiten, spricht wie üblich schnell, als wolle sie dutzende Pointen in einen Satz legen, und legt eindeutige Wertungen in ihren Tonfall, abgerundet mit diesem bekannten, spöttischen Lächeln, welches ihr Gegenüber manchmal regelrecht abzukanzeln wusste, beziehungsweise es versuchte.

 

In der Zwischenzeit wird der immer noch wartende Gast der UdSSR kulinarisch und kulturell bei Laune gehalten, und demonstriert Frau Holst dabei immer wieder unmissverständlich, dass er mit Frage-Antwort-Spielen momentan nicht behelligt werden möchte, wenngleich er ihr gleichzeitig mit der Höflichkeit gegenübertritt, die einer Dame gebührt. Ausweichende Tendenzen sind allerdings nur gegenüber ihr zu sehen, was sich später mit dem Eintreffen des amerikanischen Sonderbotschafters ändert. Hädrich stellt dem Zuschauer viele Informationen über politische Hintergründe, Seilschaften und Interessen zur Verfügung und bei dieser Gelegenheit werden Gert Westphal und Pinkas Braun sich selbst übertreffen, wenn sie in die jeweilige Rolle schlüpfen. Eva Renzis neugierige und ungeduldige Penetranz wird dabei durch weltmännische Ausweichmanöver nahezu unterwandert. Kompetenz, Redegewandtheit, Besonnenheit und Ruhe sind die Waffen, die sie am meisten treffen werden. Doch zunächst muss der Gast aus den USA erst einmal landen, was er recht großspurig per Helikopter tut. Wird die wissbegierige Fernseh-Moderatorin in Joseph Grey, dem Sonderbotschafter der Vereinigten Staaten, einen geduldigen Gesprächspartner - oder wie anvisiert - Zuhörer haben? Vielleicht ließe sich auch beinahe von einem Opfer sprechen, gemessen an ihrer Art, die Gespräche nach ihren Wünschen beeinflussen zu wollen. Aber sie bekommt es schließlich mit Pinkas Braun zu tun, den nichts aus der Ruhe bringen kann und der weiblichen Kapriolen mit Sachlichkeit, Respekt, aber auch dem vehementen Vertreten seiner Ansichten gegenübertritt. Pinkas Braun erscheint dabei wie geschaffen für diesen Part und bildet den ruhenden Pol in dieser ungleichen Dreieckskonstellation.

 

Dies trifft allerdings nur auf seine kultivierten Umgangsformen zu, denn immerhin ist er der Mann, der stets betont, man sitze auf einer Unzahl von Atombomben, die im Zweifelsfall ihren Einsatz finden müssten. Sein Kontrahent Petrov merkte zuvor nachdenklich an, dass er immer wieder festgestellt habe, wie schwer es für die Amerikaner sei, sich in die Lage anderer Völker zu versetzen. Die Moderatorin reagiert äußerst bissig darauf, dass die Vereinigten Staaten vorab an den Pranger gestellt werden. Allerdings kommt es zu einem Sinneswandel, als sie den US-Botschafter live erleben kann. Das verbale Tauziehen der beiden Supermächte geht in Etappen immer wieder in eine neue, mit sachlichen Argumenten und giftigen Wortspitzen präparierte Runde, und letztlich wird relativ ergebnislos vor sich hin philosophiert, da niemand von seiner Haltung abweichen will. Rolf Hädrich bietet mit seinem TV-Spiel ein ausgiebiges Beleuchten der zwei Seiten einer Medaille an, sodass Positionen und Gegenpositionen ausgiebig diskutiert werden. Dass die Realität und latente Bedrohungen nicht verdrängt werden dürften, oder man einen Krieg mit einem Höchstmaß an Vernunft zu führen hätte, stellen jedoch nur Worthülsen beim obligatorischen Säbelrasseln in diesem TV-Spektakel dar. Auch bittere Seitenhiebe an die Medien bleiben nicht aus, da Grey süffisant in den Raum wirft, dass moderne Kriege heute im Fernsehen geführt würden. Ein Kommentar mit Torpedowirkung für die längst erboste Moderatorin, die zusehends um Fassung ringt, zumal ihre Einwände an beiden Herren abprallen und sie effektiv nie die Gelegenheit bekommt, eine Gegenargumentation aufzuziehen. Das intelligente Spiel mit Geschlechterrollen bringt die Szenerie in ein diskretes Ungleichgewicht - übrigens konträr zur symmetrischen Bildgestaltung - zumal bei jeder Rede der Herren unterschwellig mitschwingt, dass Frauen sich doch besser um das kümmern sollten, wovon sie Ahnung haben, also folglich nicht um Politik.

 

Für Eva Renzi war "Friedenspolka - Der 40-jährige Frieden" der kleine Grundstein für ihr deutsches TV-Comeback, mit dem sie vor allem wegen ihrer Verpflichtung bei der Serie "Das Erbe der Guldenburgs" nochmals ein Millionenpublikum erreichen konnte, beziehungsweise sich wieder ins Gedächtnis rufen konnte. Interessant ist die Tatsache, dass Rolf Hädrichs TV-Beitrag auf dem schleswig-holsteinischen Gut Hasselburg gedreht wurde. Im vollständig erhaltenen Herrenhaus des Anwesens fanden später auch Teile der Dreharbeiten zu den "Guldenburgs" statt. Etwa genau zwei Jahre später sollte Eva Renzi hier wieder vor der Kamera stehen; vielleicht hatte man sich ja an die gut aufspielende Eva Renzi erinnert. Insgesamt gesehen ist Rolf Hädrich eine gut an aktuelle Themen angepasste Variation politischer Ressentiments gelungen, bei der sich herauskristallisiert, dass der Clou der Veranstaltung darin liegt, dass sich die eigentliche Schlacht im Off abspielt, genau wie es in der Politik dem Vernehmen nach üblich sei. Der Zuschauer wird aus der Distanz Zeuge, was viele Blickwinkel, Spontanität und Unberechenbarkeit eröffnet, da nichts, wie für das Fernsehen üblich, choreografiert wurde. Dem eigentlichen Schlagabtausch vor laufender Kamera kommt der Abspann des Film zuvor. wenngleich viele der Diskussionsansätze und Positionen aufgrund ihrer Zeitlosigkeit definitiv nachhallen werden. Brisant inszeniert und hervorragend besetzt in den Hauptrollen, bleiben sehr hochwertige Eindrücke zurück. Insbesondere Pinkas Braun, Eva Renzi und Gert Westphal sorgen für packende und darüber hinaus glaubhafte Momente, in denen der Anspruch stets oberste Priorität eingeräumt bekommt, nicht zuletzt wegen der auffällig guten Dialogarbeit. Untermauert mit politischen Fakten und präpariert mit temperamentvollen und nachdenklichen Untertönen, ist dieser bis vor kurzem noch völlig in Vergessenheit geratene Beitrag äußerst sehenswert und als gelungen zu bezeichnen.

Autor

Prisma

Links

OFDb
IMDb

Bitte Kommentar schreiben

Sie kommentieren als Gast.