I violentatori della notte (ITA)
Los depredadores de la noche (ESP)
Dr. Flamand (Helmut Berger) betreibt zusammen mit seiner Partnerin Nathalie (Brigitte Lahaie) die „Clinic de la Mimosas“, wo er eine Frischzellenkur anbietet, für die er das Blut entführter Frauen verwendet. Gelegentlich versucht er sich zudem als Gesichtschirurg, doch nachdem er eine solche Operation bei einer Patientin in den Sand gesetzt hat, wird er fast das Opfer eines Säureattentats. Stattdessen trifft die Säure das Gesicht seiner Tochter Ingrid (Christiane Jean).
Fortan arbeitet Flamand daran, das Gesicht seiner Tochter wiederherzustellen. Hierfür entführt Nathalie mithilfe des leicht verblödeten Klinik-Faktotums Gordon (Gérard Zalcberg) das kokainabhängige Model Barbara (Caroline Munro), deren Gesichtshaut man für die Operation an Ingrid verwenden will. Flamand bringt es allerdings nicht fertig an seiner eigenen Tochter zu operieren, zudem besitzt er dafür nicht die nötige Fertigkeit. So wenden sich er und Nathalie an den berühmten Prof. Orloff (Howard Vernon), welcher ihnen einen gesuchten ehemaligen KZ-Arzt empfiehlt, der eine solche Operation während des 2. Weltkriegs erfolgreich durchgeführt hat und in der Gegenwart unter der neuen Identität Hans Moser (Anton Diffring) lebt.
Das teuflische Trio weiß allerdings nicht, dass Model Barbara einen einflussreichen Vater (Telly Savalas) hat. Der schickt den Privatdetektiv Sam Morgan (Christopher Mitchum) nach Paris, um Barbara zu finden. Aufgrund von Nathalies kleptomanischen Anwandlungen findet er schließlich auch die Spur zu Flamands Klinik, und während Dr. Moser das Gesicht der Schauspielerin Florence Guérin (Florence Guérin) auf Ingrid überträgt, schleicht sich Morgan aufs Gelände. Wie das wohl ausgeht?
Jess Francos bestbudgetierte Regiearbeit seiner langen Karriere beginnt mit einer Widmung an das Mitternachtskino. Danach folgt – während des Vorspanns - der weihnachtliche Einkaufsbummel einer scheinbaren Oberklassenfamilie, der mit einem Säureattentat endet. Doch die Hochglanzfassade trügt, wie dem Zuschauer schon durch den von Romano Musumarra komponierten Titelsongs „Faceless“ klar wird. In diesem geht es um gesichtslose Huren auf den Straßen, schmerzlose Wege zu den Sternen und den Weg ins Paradies, welcher eben viel näher ist als man gedacht hat. Wie makaber dieser Chanson - performed vom italienischen Sänger Vincenzo Thoma - ist, wird einem erst im Laufe des Films komplett bewusst.
Wir sind in einem Franco-Film und so stoßen wir auf denkwürdige sexuelle Familienverhältnisse. Dr. Flamand hat eine Affäre mit der Leiterin seiner Klinik, Nathalie. Dritte im Bunde ist Flamands Tochter Ingrid und ja, die haben ein Dreiecksverhältnis. Meist scheint Flamand allerdings die Rolle des Beobachters zu bevorzugen, etwa wenn Nathalie sich mit den Entführungsopfern vergnüget oder Tochter Ingrid den stummen Gordon peinigt. Helmut Berger bekommt ausreichend Gelegenheit zu beweisen, womit er die prüden Kollegen beim „Denver Clan“ so schockiert hat. Er spielt an seinem Rüpel, falls ihn nicht gerade Brigitte Lahaie in der Hand hat. Darstellerin Amelie Chevalier, die nur mit einem durchsichtigen Slip bekleidet ist, reibt er sichtlich und lange die… Method Acting halt, der Mann ist ein Profi.
Um es hier mal ganz deutlich zu sagen: Nach vielen mal mehr, mal weniger gelungenen Franco-Versuchen de Sade zu adaptieren, schafft es Helmut Berger in „Les Prédateurs de la Nuit“ den Kopf eines perfekten Libertin-Trios zu verkörpern. Die Flamands folgen nur ihren eigenen Genüssen, bereichern sich mit kriminellen Methoden, Gewissen kennen sie nicht. „Les Prédateurs de la Nuit“ ist ein kalter und mitunter sehr zynischer Film. Er spiegelt stilistisch die Hochglanz-Erotikfilme der späten Achtziger und frühen Neunziger wieder, gewürzt mit nihilistischer Philosophie und derben Splatter-Momenten. Meilenweit übertrifft er dabei die späten italienischen Erotik-Gialli, vermeidet deren leider nicht seltene Fadheit. Nicht alles an „Les Prédateurs de la Nuit“ muss man deshalb bitterernst nehmen. Referenzen, Augenzwinkern und eine gar selten blöde Szene (Jess Franco nutzt die Klischeefigur einer „Sissy“), welche man durchaus als schwulenfeindlich interpretieren könnte, begleiten das Geschehen. Dummerweise ist die Sissy-Szene so blöd, dass sie lustig ist, politische Korrektheit ist halt nicht immer einfach.
Die Besetzung von „Les Prédateurs de la Nuit“ ist top, sieht man mal von Christopher Mitchum ab. Ein blasser Held, der hier aber von einem guten Drehbuch profitiert, das ihm ganz schmissige Dialogzeilen beschert. In der einzigen gemeinsamen Szene mit Helmut Berger nutzt dieser den alten Mercedes McCambridge-Trick. Hände in die Taschen, zurückhaltend agieren, damit der Nebenmann nicht gnadenlos untergeht. Brigitte Lahaie ist absolut wundervoll, sie verströmt eine Aura von Kälte und Grausamkeit, ihrer Rolle entsprechend. Telly Savalas‘ Part ist kurz und Franco ist ihm nie begegnet. Savalas hatte diesem kleinen Part nur unter der Bedingung zugesagt, dass er hierfür seinen Wohnort in Kanada nicht verlassen müsse und so wurden seine Szenen von einer Second Unit dort gedreht. Stéphane Audran hatte wiederum zugesagt, weil sie wohl Horrorfilme mochte. Auch Caroline Munro spielte ihren Part, trotz der Warnung amerikanischer Freunde vor Jess Franco, weil dieser doch gelegentlich Frauen in für sie unvorteilhaften Winkeln ablichtete. Von wegen Porno und so.
Interessant sind die vielen Referenzen und Cameos. Jeden der wirklich gut gemachten Morde und Splattermomente kennt man in ähnlicher Form aus anderen Horrorfilmen, Referenzen also. Beim Scherenmord an einem Stricher könnte man meinen, es mit einem unbekannten Akteur zu tun zu haben, doch anscheinend ist es Daniel Beretta („Revolver – Die perfekte Erpressung“, 1973), das einzige Mal in seinem Leben ordentlich rasiert. Howard Vernon bekam einen Kurzauftritt als Dr. Orloff, sein letzter Auftritt als selbiger und seine letzte Arbeit für Franco. Lina Romay spielt Orloffs Frau, mittels Make-up auf Alt getrimmt. Anton Diffring hat selbstverständlich schon einmal den flüchtigen Gesichtschirurgen gegeben, in Sidney Hayers „Der rote Schatten“ (Circus of Horrors, 1960). Und wie er da plötzlich in einer Regennacht vor der Tür Flamands steht, wurde offensichtlich dem Erscheinen Pater Merrins in „Der Exorzist“ (1973) nachempfunden. Die Figur des stummen, verblödeten Faktotums ist freilich ein häufiger Gast in Francos Filmen. Zudem gibt es ein kurzes Wiedersehen mit einer rundlichen Doris Thomas, welche Anfang der Siebziger in mehreren Franco-Filmen zu sehen war.
Der von Dezember 1987 bis Januar 1988 gedrehte „Les Prédateurs de la Nuit“ ist im Oevre Francos natürlich ein sehr kommerzieller Film, trotz seiner einzigartigen Aura. Technisch nahezu perfekt. Was hielt also Jess Franco selbst davon? Nicht so viel. Obwohl er gerade, nach den mehr als preiswerten Produktionen für Golden Films und einer Reihe von Pornos für Fervi Films ein unerwartetes Hoch erlebte, vermisste er die künstlerische Freiheit. Er dürfte die Musik nicht aussuchen, die Kamera nicht anrühren, den Schnitt nicht selbst machen. Ein Second Unit-Team nahm ihm Arbeit (Einfluss) ab. Zudem lehnte Produzent René Chateau Francos Anliegen ab, Dr. Orloff den Hauptpart zu geben, wohl aus rechtlichen Bedenken. Denn ob die Figur des Dr. Orloff nun Franco persönlich gehörte oder Eurociné und den Lesoeurs, dürfte nicht so leicht zu ermitteln sein. Bei einer so teuren Produktion wie „Les Prédateurs de la Nuit“ wollte man das Risiko wohl nicht eingehen und so wurde die Figur des Dr. Moser eingeführt. Am Schluss erlaubte sich Franco allerdings ein Späßchen, indem er das von Chateau gescriptete Happy End schlicht ignorierte und stattdessen ein nihilistischeres (und viel passenderes) Finale kreierte.
Habe ich schon erwähnt, dass Florence Guérin sich selbst spielt und ihr das Gesicht abgezogen wird? Egal.
Wer sich den schwülstig-poppigen Soundtrack zusammenbasteln will, muss nach Folgendem suchen: „Faceless“ (Main Theme, Romano Musumarra, Performer Vincenzo Thoma), „Crystal Eyes“ (Romano Musumarra, Performer Vincenzo Thoma), „In the Heart Of The City“ (Romano Musumarra, Performer Vincenzo Thoma), „Mais Que Bonita“ (Carol Weisman), „Just Imagination“ (Carol Weisman). Das Titelstück „Faceless“ existiert dabei einmal mit Gesang und auch als Instrumentalversion (vergriffene Maxi-Single).
Meine DVD von „Media Blasters/Shriek Show“ spielt nicht mehr! Kaputt! Könnte also bitte mal jemand diesen großartigen Film endlich auf Blu-ray rausbringen? Helmut Berger, kommt schon! Aber immerhin habe ich so – auf die harte Tour – rausgefunden, dass sich die zensierte kanadische R-Rated-Fassung irgendwie auf meine Festplatte verirrt hat, woher auch immer. Hier fehlt unter anderem, wie Moser nach verpfuschter Operation an Melissa unter wütenden „Scheiße, Scheiße“-Rufen das Gesicht der Armen mit dem Skalpell zerfleddert.
Kommentare (1)
Gerald Kuklinski
Faceless (Single Version)
Faceless (Extended Version)
Faceless (Instrumental Version)
Ingrid's Theme (Instrumental)
Love in the Air (Instrumental)
Crystal Eyes
In the Heart of the City
Mais Que Bonita
Just Imagination
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