Elle: abuso y seducción (MEX)
Ela (POR)
Oh!
Im Mittelpunkt von »Elle« steht Michèle Leblanc (Huppert), eine selbstsichere, kühl-überlegte Unternehmerin, die mit ihrer Freundin Anna (Consigny) eine Computerspielfirma betreibt. Sie ist kompetent und zielorientiert, lässt sich nichts sagen und weiß sich in der Männerdomäne der Computerspiele zu behaupten. Sie hat alle Mitarbeiter fest im Griff. Sie ist von Richard (Berling) glücklich geschieden, hat einen erwachsenen Sohn (Jonas Bloquet) und lebt in einem schönen, beinahe charaktervollen Haus am Rande von Paris. Eben dort wird sie eines Nachmittags von einem maskierten Eindringling überfallen und vergewaltigt. Anstatt zur Polizei zu gehen, ist Michèle entschlossen, ihren Angreifer selbst aufzuspüren. — Dies ist nur der Rahmen für eine facettenreiche Charakterstudie, in deren Verlauf wir die Frau hinter Michèles kühler Fassade immer besser kennen lernen. Die Szenen nach der Vergewaltigung sind ungeheuer aufschlussreich. Sie beseitigt die Spuren des Verbrechens, nimmt ein heißes Bad und bestellt sich das Abendessen beim Lieferservice. Sie unterstützt ihren Sohn dabei, eine neue Wohnung zu finden, da seine Freundin Josie (Alice Isaaz) ein Kind erwartet. Ihr Ex-Mann hat, obschon er Michèle noch immer liebt, eine neue Beziehung mit einer Entspannungstherapeutin (Vimala Pons). Michèle indes hat ein sexuelles Verhältnis mit Robert (sexy: Christian Berkel), dem Mann ihrer Freundin und Geschäftspartnerin Anna. Die Heimlichtuereien und Lügen begleiten Michèle schon so lange, dass ihre klare, sortierte Fassade zu einem undurchdringlicher Panzer geworden ist. Den hatte sie auch gebraucht, denn auf ihrer Vergangenheit liegt ein schwerer, schwarzer Schatten: Ihr Vater ist ein verurteilter Massenmörder, der noch immer einsitzt. Seine Verbrechen und deren Auswirkungen belasten Michèle und ihre Mutter Irène (Judith Magre) bis heute. Während ihr Vater einen Antrag auf Bewährung stellt und kurz vor der Anhörung ist, forscht Michèle auf eigene Faust nach ihrem Vergewaltiger, der jedoch alsbald von sich aus Kontakt zu ihr aufnimmt. Zwischen den beiden entwickelt sich ein perverses Rollenspiel, das Michèles Leben noch weiter aus den Fugen bringt…
Zehn Jahre nach seinem letzten großen Spielfilm »Zwartboek« (2006, mit Sebastian Koch) brachte Paul Verhoeven 2016 sein alles in den Schatten stellendes Meisterwerk »Elle« nach Cannes — und sorgte für eine weltweise Sensation mit einem selten dagewesenen Preisregen. Es war sein erster französischer Film, frei nach dem Roman »Oh…« von Philippe Dijan. Zunächst als große internationale Produktion geplant, standen Nicole Kidman, Sharon Stone, Diane Lane, Marion Cotillard, Julianne Moore und Carice van Houten für die Hauptrolle auf der Wunschliste der Produzenten. Alle lehnten ab, ohne das Buch gelesen zu haben. Jennifer Jason Leigh zeigte Interesse, hatte aber in den Augen der Geldgeber einen »zu kleinen Namen«. Nachdem Hollywood nicht möglich schien, wandte sich Verhoeven nach Paris, wo auch der Roman angesiedelt ist, und fand mit Isabelle Huppert seinen idealen weiblichen Star. Unter Verhoevens Führung erbrachte sie eine fein nuancierte, vielschichtige Darstellung, die beste ihrer Karriere. — Um mit dem französischen Team arbeiten zu können, nahm Verhoeven intensiv Französischunterricht. Seine erste Dreherfahrung in Frankreich bewertete der legendäre Filmemacher als so positiv, dass er direkt nach Abschluss der Dreharbeiten die Absicht kundtat, in Zukunft weitere Filme dort zu drehen.
Seit »Basic Instinct« (1992) hatte Verhoeven keinen so guten Film mehr in die Kinos gebracht. Seit Catherine Tramell hat die Leinwand keine so fulminante femme fatale mehr gesehen. Die Dreharbeiten begannen im Januar 2015 in Paris. Als »Elle« nach seinem Triumph in Cannes im Ende Mai 2016 in den französischen Kinos anlief, entwickelte er sich zu einem beachtlichen kommerziellen Erfolg. Mit rund 50 Filmpreisen (und über 60 weiteren Nominierungen!) gehört »Elle« zu den prestigeträchtigsten Werken des europäischen Kinos der letzten 20 Jahre. Im Februar 2017 lief er schließlich auch in Deutschland an, wo das Publikum eher verhalten reagierte.