Cannibal Terror

Frankreich, 1980

Originaltitel:

Terreur cannibale

Alternativtitel:

Terror caníbal (ESP)

Regisseur:

Alain Deruelle

Inhalt

Die zwei Taschendiebe Roberto und Mario (Antoine Fontaine und Antonio Mayans) sind nicht sehr erfolgreich, eher ist es deren Freundin Lina, die ab und an Geld ins Haus bringt. So beschließen die Drei sich als Entführer der kleinen Florence (Annabelle) zu versuchen, Tochter des Geschäftsmannes Danville (Olivier Mathot) und dessen Frau (Silvia Solar). Doch das Ganze geht schief, und so fliehen die Drei mit ihrer Geisel über die Grenze in den Dschungel. Abseits der Wege lauern aber blutrünstige Kannibalen.

Review

Manchmal denkt man sich so als Schreiberling, nehme ich mir einen kleinen Exploitation-Film vor, das wird bestimmt einfach. Und schon steckt man bis zum Hals in widersprüchlichen Informationen zu einem schwer zu beschreibenden Film und denkt sich, Du Idiot, es ist eine Eurociné-Produktion, hast Du was Einfaches erwartet? Selbst Schuld. Und so werde ich neben dem verzweifelten Versuch, den Film höflich zu beschreiben, später auf Stichpunkte zurückgreifen, was zweifelhafte Hintergrundinformationen betrifft.

 

„Cannibal Terror“ wurde back-to-back mit Jesús Francos „Mondo Cannibale Teil 3: Die blonde Göttin der Kannibalen“ (Mondo Cannibale, 1980) gedreht, vieles mit den gleichen Darstellern, einiges an gleichen Settings. Szenen wurden beim Endschnitt hin und her geschoben, zusätzlich gibt es eingekauftes Archivmaterial. Franco wusste das, war ihm bei einer Produktion dieser Art egal. Der Vorteil: er hatte die Lesoeurs nicht permanent am Hacken, denn die ließen Alain Deruelle, den Regisseur von „Cannibal Terror“ nicht aus den Augen. Und so kommt es auch zu Wahrnehmungsunterschieden bei den Beteiligten, dazu später mehr.

 

Für „Cannibal Terror“ gab es sicher eine Grundidee, die tatsächlichen Szenen legten Marius und Daniel Lesoeur aber erst am jeweiligen Morgen Alain Deruelle vor, welcher diese dann abfilmte. Viel Zeit hatte er nicht, denn Mondo Cannibale war das Hauptprojekt. Viele Szenen entstanden so auch erst im Nachhinein, erkennbar an sichtlich anderer Umgebung. Tatsächlich gelingt es „Cannibal Terror“ über weite Strecken nicht, den Zuschauer davon zu überzeugen, dass wir uns im Dschungel befinden. Dies ändert sich erst im letzten Drittel, wo man schließlich auf Landschaften zurückgriff, die auch Franco verwendete. Der Einfluss der Lesoeurs auf „Cannibal Terror“ ist groß, das merkt man nicht zuletzt daran, dass man eigentlich einen Krimi zu sehen bekommt, in dem die Kannibalen vor dem letzten Drittel noch wie Fremdkörper wirken. Die Struktur des Films ist insgesamt konfus, wie bei so vielen der späteren Eurociné-Filme. Die Endbearbeitung trägt sein Übriges dazu bei, „Terreur cannibale“ zu einer nur schwer verdaulichen Seherfahrung zu machen. Die Musik von Jean-Jacques Lemêtre ist bisweilen unglaublich unpassend, und manche Szenen enden abrupt und so unerwartet, als hätte man beim Schnitt versehentlich die falschen Filmschnipsel weggeworfen. Emilio Foriscot hat hier den letzten Credit als Kameramann seiner Karriere.

 

Zum Regisseur. Alain Thierry Deruelle drehte vornehmlich zunächst Inserts für die Filme anderer. Erst Softcore, später Hardcore. Eigene Hardcore-Filme inszenierte er sowohl unter seinem richtigen Namen als auch unter Nennung seiner beiden Vornamen. Dabei arbeitete er mindestens zwei Mal für Eurociné, anscheinend für die beiden an Gilbert Roussel gecrediteten Filmen „Zorro – Spiel mir das Lied der Wollust“ (Les aventures galantes de Zorro, 1972) und „Les filles du Golden Saloon“ (1975), für die Eurociné später Inserts verlangte, welche Deruelle drehte. Das muss Ende der Siebziger gewesen sein, denn kurz darauf bot man ihm die Regie zu „Cannibal Terror“ an. Bei „Terreur cannibale“ fällt vor allen Dingen eines auf: Deruelle hat ein Händchen für Landschaftsaufnahmen und ruhige Momente. Wer hätte das bei einem Insert-Regisseur erwartet, der es sonst eher mit „Action“ zu tun hat? Aber nein, mit ruhigen Momenten und Stillleben kann er sehr gut umgehen. Doch halt – Zeit für ein paar Stichpunkte, die ich einfach mal so gegenüberstellen will:

 

Stichpunkt Wahrnehmung. Alain Deruelle ist der Regisseur von „Cannibal Terror.“ Seltsamerweise haben andere Beteiligte ihn nicht so wahrgenommen, scheinen ihn nur für einen Assistenten gehalten zu haben. Haben die Lesoeurs – die wie bereits geschrieben, die ganze Zeit am Set waren – alle Beteiligten ausgetrickst? Deruelle gesagt, er habe die Regie, allen anderen aber erzählt, sie würden den Film machen und Deruelle sei nur ihr Assistent? Zuzutrauen wäre es den Beiden.

 

Noch vor „Cannibal Terror“ engagierten die Lesoeurs Alain Deruelle um einen „nicht fertig gestellten“ Film für sie zu beenden. Deruelle machte das und erfuhr erst viel später, dass er gelinkt worden war. Die bereits bestehenden Szenen stammten aus Jesus Francos „Frauengefängnis“ (1975), der fertige Eurociné-Rip-off mit den von Deruelle ergänzend gedrehten Szenen wurde „Women behind Bars – Frauengefängnis 2“ (Les gardiennes du pénitencier/Jailhouse Wardress, 1979). Franco und Deruelle kannten sich und scheinen sich deshalb nicht böse gewesen zu sein, allerdings soll Franco sich später revanchiert haben. Lt. Deruelle soll sich Franco mit ein paar Hardcore-Szenen - die Deruelle für diespätere Produktionsfirma OTP Ciné Productions drehte – aus dem Staub gemacht und sie in Eigenproduktionen verwendet haben.

 

Fun-Fact: Pamela Stanford soll sehr kurzsichtig gewesen sein, sich aber stets geweigert haben, Kontaktlinsen oder gar eine Brille zu tragen. In „Cannibal Terror“ sieht man das sehr deutlich, desorientiert stolpert sie bisweilen mit halbgeschlossenen Augen durch ihre Szenen, und wirklich, das kann sie besser. Man denke nur an ihre wundervollen Szenen etwa in Francos „Les possédées du diable“ (1974) oder „Die teuflischen Schwestern“ (1977). Auch hat es mich gefreut zu erfahren, dass Francos frühere Einschätzung Pamela Stanford sei verschwunden/missing nicht zutreffend ist. Sie lebt gesund und munter in Frankreich und dreht gerade für einen neuen Film von Alexandre Mathis, ihre zweite Zusammenarbeit.

 

In einem winzigen Cameo ist Sabrina Siani in „Cannibal Terror“ zu sehen. Ob sie weiß, dass das für einen anderen Film als Mondo Cannibale war, sei dahingestellt.

 

Die Regieangabe Julio Pérez Tabernero auf der OFDb ist falsch.

 

Noch ein Missverständnis möchte ich aufklären: in „Cannibal Terror“ spielte Ex-Stuntman Bertrand Altmann unter dem Pseudonym „Burt Altmann“ – welches ihm von Marius Lesoeur nahegelegt wurde - seine erste Rolle als Schauspieler. Jess Franco wiederum benannte für seinen zweiten Kannibalen-Film „Jungfrau unter Kannibalen“ (El caníbal, 1980) den Darsteller seines Zombies mit den Tischtennisball-Augen als Burt Altmann, und so steht es auch in Datenbanken. Nun, das ist definitiv nicht ein- und dieselbe Person.

 

Nach Abschluss von „Terreur Cannibale“ war Ende mit der Zusammenarbeit zwischen Alain Deruelle und Eurociné. Bei einer Vorführung für Distributoren am Rande der Filmfestspiele von Cannes, wurde „Terreur Cannibale“ gar nicht gut aufgenommen. Marius Lesoeur schob trotz der Tatsache, dass es sein Drehbuch, sein geringes Budget und sein miserables Konzept war, alle Schuld für das desaströse Endergebnis auf Deruelle und demütigte ihn so öffentlich. Deruelle kehrte zum Hardcore-Geschäft zurück und drehte für OTP Ciné Productions, bis zu deren Bankrott.

Veröffentlichungen

In Deutschland erschien „Cannibal Terror“ in diversen DVD-Editionen in eher minderwertige Bildqualität. Am Besten genießen kann man dieses Krimi-Kannibalen-Kuriosum auf der Blu-ray von Severin Films, welche ein Double Feature mit Jess Francos „Devil Hunter“ (Jungfrau unter Kannibalen, 1980) ist. Zu beiden Filmen gibt es Interviews mit dem jeweiligen Regisseur. Zusätzlich findet sich zu „Cannibal Terror“ als Easter Egg ein Kurzstatement von Jess Franco zu „Cannibal Terror“ und „Zombie Lake.“ Einziges Manko: neben dem englischen Dubbing von „Cannibal Terror“ gibt es eine deutlich bessere französische Tonspur, zu der es aber leider keine Untertitel gibt.

Links

OFDb
IMDb

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