Das Großmaul

Italien, 1964

Originaltitel:

I due evasi di Sing Sing

Alternativtitel:

Les deux évadés de Sing-Sing (FRA)

Two Escape from Sing Sing (GBR)

Oi dyo drapetes tou Sing-Sing (GRE)

Os Fugitivos de Sing Sing (PRT)

Deutsche Erstaufführung:

4. Mai 1967

Regisseur:

Lucio Fulci

Inhalt

Die Cousins Franco und Ciccio Bacalone (Franco Franchi & Ciccio Ingrassia) sitzen im Todestrakt von Sing Sing und erwarten ihre Exekution. Da das berüchtigte Gefängnis für seinen Elektrischen Stuhl bekannt ist, manipuliert Franco die Stromleitungen, damit er und sein Cousin dem Tod entgehen. Doch Überraschung, die Hinrichtung soll in der Gaskammer erfolgen, doch auch das kann Franco sabotieren. Zurück in ihrer Zelle, schreibt Franco an seinen Memoiren weiter, in denen es um die Ereignisse geht, die zu ihrer Inhaftierung und Verurteilung geführt haben.

 

Franco und Ciccio arbeiteten in New York als Angestellte eines Türkischen Bades, wo sie eines Tages – natürlich durch ihre Trotteligkeit - das Leben des Mafiosi Attanasia (Arturo Dominici) retten, den sein Rivale Lemmy Tristano (Livio Lorenzo) umlegen will. Attansia versorgt die Beiden aus Dankbarkeit mit Molly und Ruth (Gloria Paul und Alicia Brandet) und bietet ihnen einen Job an. Franco wird Boxer, Ciccio sein Trainer. Da Attanasia die Gegner dafür bezahlt sich auf die Matte zu legen, ist Franco nach 500 Kämpfen als „Frankie, die Bestie“ bekannt und sieht dem Finalkampf um die Weltmeisterschaft entgegen.

 

Die Gangster Attanasia und Tristano verbünden sich, um beim Titelkampf abzukassieren. Der Box-Gegner soll Franco während des Kampfes töten, und die Gangster wollen ihre Wetteinnahmen kassieren. Doch Franco gewinnt. Tristano fühlt sich betrogen, und es kommt zum Shootout zwischen den Mafiosi, den nur Franco und Ciccio überleben – und so werden sie zum Tode verurteilt.

 

Nach einem misslungenen Gefängnisausbruch beißt auch der Rest der beiden Mafiabanden ins Gras, und Franco und Ciccio erwarten, erneut zum Tode verurteilt zu werden. Doch nachdem ihr Fall noch einmal gründlich geprüft wurde, ist endlich klar, dass sie unschuldig sind. Als man sie entlassen will, glauben sie aber nicht so recht daran und verbarrikadieren sich in ihrer Zelle – wo sie noch im Jahre 1990 hocken werden.

Review

In dieser weiteren Regiearbeit Lucio Fulcis mit dem Komiker-Duo Franco & Ciccio erwartet man zunächst nichts neues mehr und wird angenehm überrascht. Ich hoffe, ich werde nicht allzu sehr übertreiben, denn – man mag Franco & Ciccio oder man mag sie nicht. Da werden keine Gefangenen gemacht, Ausnahmen gibt es keine. Hat man einen Film mit dem Komiker-Duo gesehen und beschlossen, dass sie einem auf den Geist gehen, sind weitere Versuche zwecklos.

 

Das Drehbuch von Lucio Fulci und Marcello Ciorciolini, welcher später selbst bei fünf Filmen mit dem Komiker-Duo Regie führen würde, weiß zu überraschen. Zum Einen begegnet uns mit DAS GROSSMAUL eine Persiflage auf den Boxer-Epics der Film Noir-Ära. Fulci spielt hier durchaus gekonnt mit den Zutaten dieses Subgenres. Zum Anderen sind da seltsame Subebenen in der Geschichte, der Zuschauer wird mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft konfrontiert.

 

Als fast schon genial für eine Slapstick-Komödie dieser Art kann man das Spiel mit Schein und Realität empfinden. Da die Story trotz roten Fadens in kleinen Kabinettstückchen angelegt ist, funktioniert das ausgezeichnet. Es beginnt mit der versuchten Hinrichtung Franco & Ciccios in Sing Sing. Dort gab es keine Gaskammer. Franco und Ciccio erwarten somit folgerichtig, auf dem berühmten Elektrischen Stuhl (Old Sparky) hingerichtet zu werden. Doch Fulci schafft seine eigene Realität und wirft zugleich seine Schatten auf den fünf Jahre später entstandenen NACKT ÜBER LEICHEN (Una sull'altra, 1969), in dem eine Gaskammer eine wichtige Rolle einnehmen wird. Und wer sonst hätte die Chuzpe eine Slapstick-Nummer in einer Gaskammer zu inszenieren, abgesehen von Lucio Fulci?

 

In einer Rückblende sehen wir dann Franco & Ciccio als Angestellte in einem Türkischen Bad in New York. Sie platzen dort in eine Schießerei zwischen zwei rivalisierenden Gangsterbanden und retten Mafiaboss Attanasia (der einem realen Mafiosi und ehemaligem Sing Sing-Insassen nachempfunden ist) das Leben. Zum Dank in sein Luxus-Apartment eingeladen, wird das Komiker-Duo dort Zeuge der Macht Attanasias. Diese äußert sich zunächst darin, dass alle während einer Party vor dem Fernseher sitzen und Attanasia durch Anrufe das Programm beeinflusst. Später werden wir erfahren, dass das TV-Studio ihm gehört. Hier sind wir bei einem altbekannten Thema in Lucio Fulcis frühen Komödien: seiner Missachtung für den TV-Sender RAI, der sich fest in der Hand von Christdemokraten (und dahinter Faschisten und Mafia) befand.

 

Als ein Senator namens MacParthy (lol) die Szenerie betritt und ankündigt massiv gegen die Mafia kämpfen zu wollen aber eigentlich nur sein Schmiergeld von Attanasia kassieren will, wird dieser beseitigt. Der echte McCarthy hat leider länger gelebt. Doch überspringen wir die kommende und nebenbei bemerkt äußerst amüsante Boxkarriere von Frankie La Belva und schauen auf den nächsten genialen Moment des Films. In Attansias TV-Studio kommt es zum Shootout zwischen den rivalisierenden Banden und nun fallen endgültig die Grenzen zwischen Film und realer Welt.

 

In der Studiokulisse eines Römerfilms, Kameras, Schweinwerfer und andere Arbeitsgeräte und Requisiten deutlich sichtbar, wird scharf geschossen, mit Revolvern und Maschinenpistolen. Franco & Ciccio stolpern dazwischen umher und lösen Regenfälle, Schneewirbel und Stürme aus. Als die Polizei erscheint, sind nur Franco & Ciccio noch am Leben und werden nach Sing Sing verbracht. Doch auch dort ist nichts solide. Während der Gefängnisdirektor noch mit Diplomen und Preisen für die Ausbruchssicherheit seines Gefängnisses angibt, befinden sich hinter den Wänden von Zellen mit wackelnden Gitterstäben Tunnel, in Marmeladengläsern befindet sich Nitroglyzerin-Paste.

 

Und was ist überhaupt mit der seltsamen Auflösung? Man sagt dem Duo, sie wären nun frei und könnten in die reale Welt zurück. Doch sie trauen dem Braten nicht und beschließen in ihrer Illusion zu verbleiben, hinter der Sicherheit ihrer verbarrikadierten Gefängniszelle.

 

Neben Franco und Ciccio ist DAS GROSSMAUL sehr solide besetzt. Es gibt einen amüsanten Kurzauftritt von Lino Banfi und selbst man nicht so bewandert auf dem Gebiet der italienischen Komödie ist, wird man schnell Alicia Brandet und Livio Lorenzon erkennen. Auffällig ist wieder einmal, wie Fulci seine Szenen mit nicht wenigen schönen Frauen drapiert, das scheint sich durch sein gesamtes Frühwerk zu ziehen. Die wenigsten dieser Damen erfüllen irgendeine andere Funktion als einfach vorhanden zu sein, damit die Bilder schöner werden. Der Soundtrack des Films stammt laut Vorspann von einem gewissen Ennio Moriconi. Fulcis Regieassistent war Giovanni Fago, hinter der Kamera stand Bitto Albertini.

Bitte Kommentar schreiben

Sie kommentieren als Gast.