Testament in Blei

Italien | USA, 1974

Originaltitel:

Crazy Joe

Alternativtitel:

Jo le fou (FRA)

Joe, el loco (ESP)

Deutsche Erstaufführung:

Tag. Monat 1974

Regisseur:

Carlo Lizzani

Kamera:

Aldo Tonti

Inhalt

Die Brüder Joe und Richie sind Teil einer fünfköpfigen Gangstergruppe, die für den
Underboss der amerikanischen Cosa Nostra, Don Falco, die Drecksarbeit erledigt. Da die mörderische Qualitätsarbeit des Quintetts nicht entsprechend honoriert wird, beschließt das Brüderpaar dem undankbaren Falco einen Denkzettel zu verpassen. Doch ihre hinterhältige Aktion beschwört zugleich einen internen Familienkrieg herauf und ruft gleichzeitig den großen Boss und Schlichter, Don Vittorio, auf den Plan. Hinter dessen scheinheiligen Vertröstungen verschanzt sich allerdings niemand Geringeres als der Verrat, dessen trügerische Klauen Joe für viele Jahre ins Gefängnis zerren…

Review

Ob Tommy Udo (der Richard Widmark gespielte Psycho in „Kiss of Death“) oder Jack Buck (Bogie in „Orchid, der Gangsterbruder“), Joseph Gallo kennt sie alle, die großen Gangster der Lichtspiele, die mit ihrer Coolness die Leinwand „zum Gefrieren bringen“. Die Dialoge seiner Helden erblühen zu seinem persönlichen Vaterunser, und wenn die Kids es wünschen, dann legt (Crazy) Joe auch gern eine Imitation seiner Idole auf das schmutzige Straßenparkett von New York City. Joe ist halt ein spezieller Gangster, der einerseits für die Kids den Narren spielt und andererseits unter Einsatz seines Lebens zwei Kinder aus einem brennenden Haus rettet.

 

Diese Taten stärken freilich die Beziehung zwischen Joe und den Menschen, die neben ihm leben. Eine Verbindung, welche den Gangster nicht allein für die Kids zu einer Ikone, ja, zu einem Ghettohelden transformieren lässt. Natürlich ist Joe ein Gesetzloser, ein Verbrecher, der - wenn es denn sein muss - auch vor Mord keinen Halt macht, aber er ist kein eigennütziger Mensch, sondern jemand, der für die Gemeinschaft denkt und dieser (der Gemeinschaft) Vorteile erspielen will, die fortan Bestand haben sollen. Folglich sind seine Absichten und die daraus resultierenden Taten nicht von Egoismus, sondern von Werten geprägt, welche Joe aus dem Kreis der gemeinen Verbrecher ausschließen und ihm einen Heldenstatus offerieren. Der Status eines Ghettohelden, der gleichermaßen zum Gewaltausbruch wie zur Gutherzigkeit fähig ist, was ihn ein überwiegend positives Image (darauf legt Lizzanis Inszenierung großen Wert) beschert. Lizzani transportiert Joe Gallo als einen literarisch bewanderten Gangster, der Ausbeuter wie Verräter gleichermaßen hasst, sodass um ihn herum ein leuchtender Nimbus waltet, welcher Joe eine einhergehende Unantastbarkeit bescheinigt und ihn als Mythos definiert, was schlussendlich dechiffrieren lässt, dass Joe Gallos´ irdisches Dasein nur durch den heimtückischen Verrat enden kann.

 

Wie beispielsweise so mancher Volksheld ist auch Crazy Joe von einer innigen Vaterlandliebe entflammt, was wir gleich zu Beginn des Films beobachten respektive erlauschen können, wenn sich Joe und seine engsten Vertrauten (Mannie, Jelly und Richie) als glühende Repräsentanten bella Italias in New York City vorstellen. Die Erben der italienischen Einwanderer, die mit der Muttermilch die Sizilianische Vesper in sich aufgezogen haben, feiern sich gern selbst, indem sie kollektiv nach vollzogener Mordtat und während der Flucht im Viersitzer ein kräftiges „Figaro“ schmettern. Diese feurigen Patrioten strahlen besonders hell in einer ca. 15 Quadratmeter kleinen Räumlichkeit, in der sich die Truppe mit weiteren Geistesverwandten trifft. Eine Zusammenkunft die - na was wohl? - Spaghettikochkünste präsentiert und einen der Heißsporne, dem Ghetto-Caruso, zur ultimativen „O sole mio“ Gesangseinlage motiviert, was schlussendlich die neapolitanische Hommage komplettiert. Ich find´s klasse und konnte mir so manches Schmunzeln nicht verkneifen.

 

Die Frage nach Italiens beliebtesten Regisseuren wird immer mit den üblichen Verdächtigen beantwortet, dabei bleibt Lizzani meist unerwähnt, was ich persönlich sehr schade finde. Der Schöpfer geliebter Genreperlen wie „Die Banditen von Mailand“, „Mögen sie in Frieden ruhen“, „San Babila, 20 Uhr: Ein sinnloses Verbrechen“ sowie „Storie di vita e malavita“ (dessen deutsche Firmierung, „Straßenmädchen-Report“, ich für unangemessen halte, da sie falsche Erwartungen weckt) konnte mit „Testament in Blei“ ein weiteres starkes Vehikel kreieren. Eine Mixtur aus italienischem Maffiafilm, den Klassikern des amerikanischen Gangsterkinos und Blaxploitation. Unter anderem aufgrund dieser Polyvalenz läuft der Film niemals Gefahr in einem stereotypen Aufstieg und Fall-Thema zu veröden, sodass sich dieser (der Film) schlussendlich als eine individuelle und sehenswerte Gangsterfilmarbeit ausweist, welche sehr viel richtig macht. Ein durch die Bank stark besetzter Film, der einen skrupellosen, aber - wie ich bereits verlauten ließ - durchaus sympathischen Zeitgenossen präsentiert, da Lizzani auf äußerst pfiffige Spielweise das Böse mit dem Guten überlagert.

 

Somit schließe ich die Besprechung mit den Worten des Literaturnobelpreisträgers, Bob Dylan, der auf seinem 1976er Studioalben, „Desire“, Joseph (Crazy Joe) Gallo, folgende Zeilen widmete.

 

“And someday if god's in heaven overlooking his preserve.
I know the men that shot him down will get what they deserve.“

Links

OFDb
IMDb

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