Sonno Profondo

Argentinien | Italien, 2013

Alternativtitel:

Deep Sleep

Regisseur:

Luciano Onetti

Drehbuch:

Luciano Onetti

Inhalt

Der Killer beobachtet eine exotische Tänzerin und Prostituierte beim Masturbieren. Er schleicht sich in ihre Wohnung und ersticht sie. Doch wird er selbst dabei beobachtet und erhält schon kurz darauf einen Briefumschlag mit einigen Fotos seiner Tat und der Aufforderung, sich in einem alten, stillgelegten Krankenhaus einzufinden. Doch dort erfolgt keine Konfrontation mit dem Mitwisser, sondern es beginnt eine Spurensuche in der eigenen Vergangenheit...

Review

SONNO PROFONDO oder THE DEEP SLEEP ist das Erstlingswerk der argentinischen Onetti-Brüder Luciano und Nicolas aus dem Jahre 2013. Luciano Onetti verzichtet hierbei auf eine durchgehende, zusammenhängende und durch Dialoge vorgetragene Narrative. Der Film präsentiert sich eher als eine Ansammlung von Einzel-Szenen, die nicht immer chronologisch aneinander montiert sind, so dass sich der Zuschauer die Handlung als eine Art Puzzle selbst daraus zusammensetzen muss. Dafür bemüht der Film vereinzelte Motive, die in verschiedener Form in den Szenen zu finden sind, u.a. das Rasiermesser, schwarze Handschuhe, Krankenschwester und Krankenhaus oder auch eine Spritze. Die Geschichte ergibt sich dadurch, dass die Motive in Kontext gesetzt werden. Zum Beispiel sehen wir später im Film einen Ausschnitt aus einem Erotikfilm, in der eine Frau im Outfit einer Krankenschwester Sex mit einem Mann hat. Hier kann man auf die ermordete Prostituierte zugreifen, genau wie auf das Schwestern-Motiv. Nimmt man eine spätere Szene vom Ende noch hinzu, ergibt sich ein vager Ausblick auf den Hintergrund dieser Tat und die schlussendlich auch auf die Identität des Erpressers und eine dahinter stehende familiäre Tragödie. In einer anderen Szene sehen wir den Killer einer Puppe Blut entnehmen, dass er mit verschiedenen Pillen mischt und trinkt, was auf eine wahnhafte Störung, die medikamentös behandelt wird/wurde, schließen lässt. Auf diese Weise setzt sich mit der Zeit ein Gesamtbild zusammen, dass allerdings Lücken lässt, weswegen ich für mich nicht mit Sicherheit sagen kann, ob meine Interpretation vollkommen richtig ist, und ob Onetti hier etwas bewusst offen gelassen hat oder auch nur, der Erzählweise und Inszenierung geschuldet, das Prinzip nicht gänzlich aufgeht. Ich tendiere zu letzterem, aber dazu später mehr.

 

Formal setzt Luciano Onetti, der auch die Kamera bediente, auf extreme Nahaufnahmen. Wir sehen meist die Hände mit den schwarzen Handschuhen, wie sie bestimmte Gegenstände erkunden oder benutzen, womit Luciano damit eigentlich auch noch die Hauptrolle spielt. Denn, soviel sei schon verraten, zu Gesicht werden wir den Mörder nie bekommen. Im Interview erzählt Luciano Onetti, dass die meisten Szenen improvisiert sind. Er hatte seine Kamera immer dabei, und immer, wenn ihn die Muse küsste, hat er einfach drauf los gefilmt. In den besten Momenten glänzt der Film mit Authentizität, mit unerwarteten Momenten von Schönheit, und manchmal gelingt es ihm sogar, alleine darüber eine gewisse Spannung aufzubauen. Viele Bilder üben eine morbide Faszination aus, Vergangenheit berührt die Gegenwart, der Verfall ist allgegenwärtig. Leider sind auch immer wieder Szenen dabei, in denen die in Nahaufnahme inspizierten Objekte nicht nur von Staub, sondern auch ganz profanem, alltäglichem Dreck überzogen, was der Stimmung teils erheblich schadet. In diese Collage baut Onetti in relativ regelmäßigen Abständen Spannungsszenen ein, etwa den Mord – hier sehen wir vorher noch, wie das Opfer beginnt zu masturbieren, was, wohl absichtlich, sehr unerotisch und eher abstoßend eingefangen ist. Im letzten Drittel, schon kurz vor dem Ende, kommt es zu einem weiteren Mord, bei dem wir das Opfer im Wald weglaufen sehen. Es ist eigentlich die einzige Szene, in der wir eine Person in der Totalen sehen, abgesehen von dem schon erwähnten Erotikfilm-Schnipsel.

 

Es ist schon beachtlich, was Luciano Onetti hier in Personalunion als Autor, Regisseur, Kameramann, Cutter und Komponist geschaffen hat. Die etwas mehr als einstündige Collage hat viele spannende und schöne Momente, auch die Musik, die sich sehr an Morricone wie auch Goblin anlehnt, wird meist passend eingesetzt, ergänzt wird der Soundtrack noch von einem alten, italienischen Schlager, der mir gerade entfallen ist. Allerdings merkt man auch häufig und dann allzu deutlich, dass der Wunsch, einen abendfüllenden Film abzuliefern, ihn dazu trieb,  hier und da Zeit zu schinden. Gerade am Anfang, wenn nach der Title Card und dem Vorspann noch einmal alle Credits langsam abgespult werden, obwohl bei den meisten Funktionen derselbe Name, nämlich der Luciano Onettis, steht. Auch im Mittelteil gibt es immer wieder Szenen, die sich über Gebühr ziehen oder im Endeffekt redundant wirken. Das mag auch der Improvisation des Drehs geschuldet sein, denn Onetti musste die ganzen Szenen später im Schneideraum in Einklang bringen. Nur mit dem Straffen hat er sich hier anscheinend schwer getan.

 

SONNO PROFONDO erfordert Geduld und Aufmerksamkeit vom Zuschauer. Da er sich einem herkömmlichen Narrativ verweigert und mehr Collage als Spielfilm ist, eignet er sich sicherlich auch nicht für den Durchschnittszuschauer und auch nicht für den Giallo-begeisterten Krimi-Fan. Man muss schon relativ tief in der Materie drin sein und willens, das Puzzle zusammenzusetzen, um die 67 Minuten, die mitunter ganz schön lang sein können, zu durchstehen. Für eisenharte Giallo-Fans kann der Film eine lohnende Angelegenheit darstellen, für Fans der Onettis sowieso. Bei FRANCESCA ist dies, auch aufgrund eines vorhandenen Plots, eines Scripts und der Fokussierung auf die teils ins Surreale abdriftenden Mordszenen, weit besser gelungen, die Entwicklung bei Luciano Onetti, der schon im Erstling eindeutig Liebe zum Genre, ein umfassendes Wissen und inszenatorisches Talent beweist, ist klar erkennbar. Vor allem sein Auge für Details und passende Hintergründe ist bemerkenswert. Ich würde jetzt nicht behaupten, dass SONNO PROFONDO eine gute, empfehlenswerte Giallo-Hommage ist, aber wer ein wenig Geduld und Gehirnschmalz investiert, wird sich nicht unbedingt ärgern. Ich bin schon auf ABRAKADABRA gespannt, einer weiteren Hommage an den Giallo- und Eurocrime-Thriller, der im Frühjahr 2019 schon auf dem Obscura Film Festival in Hannover zu sehen war.

Veröffentlichungen

Soweit ich weiß, ist SONNO PROFONDO bisher nur auf der mir vorliegenden DVD von Brink Vision aus den USA erschienen, die sich netterweise als regionfree herausstellte. Das Bild ist anamorph codiert und sieht soweit gut aus, es wurde ja schon „von Werk aus“ künstlich gealtert. Der Ton ist ein wenig am Rauschen, hier bin ich mir auch ziemlich sicher, dass das so gewollt ist. Die wenigen Sprachfetzen und Texte sind in Italienisch und wurden mit englischen Untertiteln unterlegt. Im Bonusmaterial findet sich neben dem US-Trailer noch ein etwas mehr als zehnminütiges Interview mit Luciano Onetti.

Links

OFDb
IMDb

Kommentare (1)

  • Thomas Hortian

    Thomas Hortian

    21 August 2020 um 23:06 |
    Ich hab übrigens letztes Wochenende nochmal FRANCESCA gesehen, und der war gar nicht mal so gut. Beim ersten Mal fand ich dieses Spiel mit den Versatzstücken, die Motive und Klischees, die bis teils ins Surreale übersteigert werden, während die Handlung über den Boden geschliffen wird, noch ganz nett, aber beim zweiten Mal war das doch sehr ermüdend. Deswegen bin ich eigentlich schon dankbar, dass ABRAKADABRA weit weniger verspielt und straighter daherkommt...

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