Die Schamlosen

Frankreich | Italien | Spanien, 1970

Originaltitel:

Les belles au bois dormantes

Alternativtitel:

Les libertines (F)

L'intreccio (I)

Las bellas del bosque (E)

Versatile Lovers (GB)

Assim... São as Mulheres (BRA)

Las bellas (ARG)

Regisseur:

Pierre Chenal

Kamera:

Juan Gelpí

Inhalt

Ein kleines Schloss wurde zu einem feudalen Sanatorium umfunktioniert, in dem das Klientel ausschließlich aus der besseren Gesellschaft stammt. Da die Herrschaften mit allerlei psychischen Störungen, Spleens und Neurosen zu kämpfen haben, widmet man sich dort mit möglichst einfachen Methoden der Genesung der angeschlagenen Seele. Isabelle (Marisa Mell), die schöne Direktrice der Anstalt, wird von den Männern umschwärmt, aber von den Klientinnen und dem Personal mit einem Sicherheitsabstand konfrontiert, was auch angebracht ist, denn inmitten von all dem Luxus kommt sie auf die Idee, sich das Leben auch versüßen zu wollen. Außerdem steckt ihr krimineller Liebhaber Serge (Robert Hossein) in der Klemme. So arbeitet sie den Plan aus, sich das wertvolle Diamanten-Collier einer herzkranken Patientin (Lily Muráti) anzueignen, welches sie aus Dankbarkeit eigentlich einer anderen Mitarbeiterin zugedacht hatte. Doch dieser Plan geht nicht so leicht auf, wie es sich Isabelle gedacht hat...

Autor

Prisma

Review

Unter seinem Pseudonym Dave Young inszenierte der bekannte Regisseur und Drehbuchautor Pierre Chenal diesen in Vergessenheit geratenen Spielfilm, der sich nur schwer in ein bestimmtes Genre einordnen lässt. Die Umschreibung Erotik-Krimi passt letztlich vielleicht am besten und der Verlauf zeigt sich zusätzlich angereichert mit dramatischen Anteilen, etwas Action und sogenannter Hausfrauenpsychologie. Das Setting und die eigenartigen Gestalten rund um das Luxus-Sanatorium erinnern vom Prinzip her recht häufig an "Das Schloss der blauen Vögel", doch die paar Giallo-Fragmente dieses Streifens zeigen sich nur selten und vage, außerdem fehlen explizite Gewalt- und Erotik-Darstellungen, die - man muss es sagen - hier sicherlich Wunder gewirkt hätten. Es ist schließlich unbegreiflich, dass bei derartig guten Voraussetzungen jegliches Potential systematisch ignoriert, und folglich verschenkt wurde. Die Story um das Gangster-Pärchen und den Juwelenraub ist lahm und wirkt unausgereift, der komplette Verlauf wurde daher mit nicht immer nachvollziehbarem und überzeichnetem Handeln seiner Protagonisten gestreckt.

 

Zu erwähnen bleibt, dass der Film trotz aller offensichtlichen Schwächen einen geradezu eigenartigen Reiz ausübt, denn seine Ruhe wirkt überraschend und die mysteriöse Note, die das Geschehen sehr stark beeinflusst, hält im Endeffekt dann doch durchgehend bei Laune. Eine subtile Spannung macht sich phasenweise breit und "Die Schamlosen" zehrt im besonderen Maße von seiner ansprechend-frischen Bildsprache und verbreitet eine Art fantasievoller Langeweile. Durch die eleganten Kompositionen von Armando Sessian kommt eine besondere Atmosphäre auf, die swingenden und klassischen Arrangements vertreiben die Zeit sehr angenehm und verleiten dazu, das Gezeigte schließlich überzubewerten. So ist es nicht die Geschichte selbst, die für Verwirrung beim Zuschauer sorgt, sondern es ist die Tatsache, dass man hier im übertragenen, oder eher relativen Sinne noch Stroh zu Gold machen konnte. Daher sollte man diesen Beitrag vielleicht eher wohlwollend betrachten, denn Beiträge dieser Art, die bei aller Belanglosigkeit doch irgendwie überzeugend wirken, vermitteln unterm Strich eine diskrete Raffinesse.

 

Im Kreise der Besetzung sieht man einige gute alte Bekannte, die dem Szenario Glanz zu verleihen wissen. Marisa Mell hatte zu jener Zeit im optischen Sinne ihre Blütezeit erreicht, und sie wirkt einmal mehr schön, verführerisch und stolz. Die Person der Isabelle gibt, ganz dem Charakter des Films entsprechend, nicht übermäßig viel her, obwohl sie nahezu pausenlos zu sehen ist. Tagsüber erscheint sie als attraktive Direktrice des Sanatoriums, in dem sie mit harten Prinzipien vorgeht, um ihre angeschlagenen Gäste zu kurieren. Sie delegiert, ermahnt, wirkt bestimmend, gebieterisch und entscheidet darüber, was das Beste für alle Insassinnen sein soll. Es ist ihre Vision, das Sanatorium zu dem angesehensten und exklusivsten weit und breit zu machen, doch wie sich herausstellt, will sie wesentlich mehr. Ihr doppeltes Gesicht zeigt sich insbesondere im Zusammensein mit ihrem kriminellen Freund Serge, dem sie unterwürfig gegenübertritt, vor dem sie unterschwellige Angst zu haben, ihm aber genau so verfallen zu sein scheint. Dieses angedeutete Abhängigkeitsverhältnis wird jedoch nicht weiter ausgemalt. Die anderen Herren schwirren um sie herum und hofieren sie, wo sie nur können.

 

Dabei treibt sie ihr immer gerne gezeigtes Spiel zwischen Abweisung und vorgespieltem Interesse, um ihre höheren Ziele zu verwirklichen. Bei Nacht huscht Marisa Mell im Nachthemd bekleidet wie ein Gespenst durch das Gemäuer, sie bewegt sich leise und geschmeidig wie eine Katze, horcht an Türen, geht auf Zehenspitzen und verschwindet wieder leise im Nichts. Im Endeffekt wurde doch noch recht viel aus dieser eigentlich eintönig angelegten Rolle heraus geschlagen, aber es handelt sich definitiv nicht um eines ihrer Karriere-Highlights. Zu ihrem Partner Robert Hossein mag sie dem Empfinden nach nicht richtig passen, die Interaktion ist oberflächlich und die Verbindung bleibt unglaubwürdig. Überhaupt ist die männliche Hauptrolle sehr sparsam in Darstellung und Screentime angelegt, und Hossein, der normalerweise immer eine gute Figur macht, bleibt hier leider uninteressant und beliebig austauschbar. Die interessante Frage, wer bei diesem doppelten Spiel gewinnen oder verlieren wird, hält sich bis kurz vor Ende aufrecht, da alle beteiligten Personen über die Maßen für sich alleine spielen und sich keine wirklichen Allianzen oder ehrlichen Zuneigungen heraus kristallisieren. Falls es so gewollt war, wirkt diese Strategie sehr gut in das empfunden diffuse Gerüst dieses Beitrages hinein.

 

Die Geschichte an sich ist wie erwähnt alles andere als außergewöhnlich und arbeitet wirre Tendenzen immer wieder hochgradig heraus. Dass sich diese nicht von den Personen herleiten, sondern sich komischerweise auf diese übertragen, wirkt im Umkehrschluss schon fast wieder geistreich. Der Erotik-Faktor schaut hier hin und wieder über den Tellerrand, trägt aber nicht sonderlich zu nachhaltigen Erinnerungen bei. Inhalte wie eine nymphomanische Patientin, die es hier und dort immer wieder versucht, bei einem Stallburschen zu landen, ein paar schlüpfrige Dialoge und lesbische Einlagen, die für Aufmerksamkeit sorgen möchten, oder eine Orgie bei der allerdings selbst Großmutter eingeschlafen wäre, wirken eher wie gewollt, aber keineswegs gekonnt und die hier beteiligten Damen präsentieren sich dabei auch nicht sonderlich ambitioniert. Vollkommen zugeknöpft gibt sich wider erwarten auch Hauptdarstellerin Marisa Mell, was schon beinahe eine Ausnahmeerscheinung bei ihr darstellt, aber auch vermehrt Interesse an einem ernstzunehmenden Charakter bekundet. Pierre Chenal, der auch am Drehbuch beteiligt war, wusste insgesamt offenbar nicht so recht, wie er den in Fragmenten zugegebenermaßen interessanten Stoff anpacken sollte, und kreierte nüchtern gesehen einen Flop mit überschaubarem Unterhaltungswert.

 

Die Kriminal-Elemente finden ihre Erfüllung mit einigen Toten, jedoch muss die Geschichte ohne Whodunit auskommen. Die Rolle der Polizei bleibt vollkommen irrelevant und die Haupt-Konzentration liegt nur auf dem lange dahin gezogenen Plot um den Diebstahl des wertvollen Colliers, das genau so viel oder wenig interessant wie die Nebenhandlungen wirkt. Die allgemeine Unentschlossenheit überträgt sich schließlich auf den Zuschauer und es ist durchaus verständlich, wenn man diese verpatzte Chance als belanglos und ziemlich langweilig abqualifiziert. Aus persönlicher Sicht gewinnt "Die Schamlosen" bei jeder erneuten Ansicht immer mehr, da die Courage dieses Konglomerates aus nichts Ganzem und nichts Halbem irgendwie anerkennenswert ist, außerdem ist das vollkommen abrupte, aber genau so überraschende Finale ein absoluter Knaller in Sachen inszenatorischer Verzweiflung, da es sich eine Person vorbehält, den Film mit einem irren Lachen zu beenden, und ihn damit vielleicht sogar zu charakterisieren versucht. Im günstigsten Fall ruft "Les belles au bois dormantes" ein Happening der Umkehrreaktionen hervor, wenn aus Langeweile plötzlich Begeisterung wird, und Ratlosigkeit schließlich in Überzeugung umschlägt.

Autor

Prisma

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