Killer Cop

Italien, 1975

Originaltitel:

La polizia ha le mani legate

Alternativtitel:

Boites à fillettes (FRA)

Brigada antidroga (ESP)

The Police Can't Move

Portrait of a 60% Perfect Man

Regisseur:

Luciano Ercoli

Inhalt

Kommissar Rolandi ist in einem Hotel gerade auf der Spur eines Drogendealers, als in der Hotelhalle eine Bombe explodiert. Ein Anschlag, ausgeführt von unbekannten Extremisten. Viele Tote, das Foyer gleicht einem Schlachtfeld, und Rolandi ist völlig geschockt von diesem Ereignis. Als er seinem Freund, dem degradierten Polizisten Balsamo davon erzählt, meint der, dass er den Täter schon gestellt hatte. Dieser richtete aber eine Pistole auf ihn, und Balsamo ist halt, wie der Name schon sagt, eher der Sanften einer und ließ den Mann laufen. Der Generalstaatsanwalt Di Federico, ein humorloser und knallharter Hund, übernimmt die Ermittlung, stutzt Balsamo zurecht und verbittet sich jede Einmischung seitens Rolandi. Als Balsamo erschossen wird, fängt Rolandi auf eigene Faust das Ermitteln an, was Di Federico wiederum fuchsteufelswild macht. Das geht soweit, dass Rolandi als einer der Hauptverdächtigen gilt. Und solange Di Federico diese Haltung nicht aufgibt, so lange sind der Polizei die Hände gebunden.

Autor

Maulwurf

Review

Es gibt Polizeifilme, und es gibt Polizeifilme. Die einen sind unterhaltsame Actionvehikel mit jeder Menge Keilereien, Verfolgungsjagden und wilden Schnäuzern. Andere Polizeifilme sind dann eher Politthriller, welche in erster Linie die Hilflosigkeit der Polizei gegenüber korrupten Vorgesetzten, kraftlosen Gesetzen und einer aggressiven Presse an den Pranger stellen. Und dann gibt es noch ein paar ganz wenige Exemplare, die sich sehr sorgfältig zwischen alle Stühle setzen, sich jeglicher Kategorisierung verweigern, und genau deswegen so erstklassig sind. Sergio Martinos DIE KILLERMAFIA ist so ein Hybrid, aber der KILLER COP ist noch ein paar Ecken besser: Ein spannender Polizeifilm mit einer mühsamen Ermittlungsarbeit voller Hindernisse. Rolandi muss gegen alles und jeden ermitteln: Sein Vorgesetzter darf nicht wissen was er da tut, der Staatsanwalt verbietet es ihm glatterdings, und Rolandi selber scheißt auf alles und jeden – und ermittelt ganz einfach. Diese exponierte Stellung, prinzipiell ein klassischer Bestandteil eines Polizotteschis, wird von Claudio Cassinelli feinfühlig und mit viel Gespür für die Person und die Situation gespielt. Mit Mario Adorf oder Maurizio Merli, von Fernando Di Leo oder Umberto Lenzi inszeniert, wäre der Film komplett anders ausgefallen. Aber sowas von komplett anders …

 

Luciano Ercoli aber hatte einen eigenen Stil. Genauso wie in seinen Gialli (etwa dem erstklassigen DEATH WALKS AT MIDNIGHT) sind bei ihm neben der spannenden Kriminalarbeit auch fein herausgearbeitete Psychogramme von Menschen unter Druck zu bewundern: Nieves Navarro in DEATH WALKS ON HIGH HEELS etwa, oder Dagmar Lassander in FRAUEN BIS ZUM WAHNSINN GEQUÄLT. Oder, um wieder zum eigentlichen Thema zurückzukommen, Claudio Casinelli in KILLER COP. Und neben dieser psychologischen Komponente und einer sehr spannenden Handlung  liefert Ercoli, so ganz nebenher, auch noch punktgenau treffende Aussagen in punkto öffentliche Meinung versus schweigende Mehrheit: Ein Schwenk durch die Straßenbahn präsentiert allgemeine politische Ansichten in Form von zeitunglesenden Passanten und ihren Kommentaren. Die einen sind dafür dass sie dagegen sind, die anderen sind dagegen dass sie dafür sind, und eigentlich ist alles beim Alten. Aber diese sich allmählich aufladende Stimmung in dem Straßenbahnwaggon, der Austausch nicht von Meinungen sondern von Parolen, der gibt dem Film viel Spannung an einer Stelle, wo man sie überhaupt nicht erwartet hätte. Wenn die Szene noch länger gegangen wäre, dann hätte man wahrscheinlich irgendwann einem Lynchmord am nächsten, zufällig daherkommenden, Langhaarigen beiwohnen können.

Als Schmankerl dann  aber auch immer wieder humorige Momente, welche die düstere und beklemmende Stimmung auflockern, ohne aber den Druck aus der Geschichte zu nehmen, eine unterschwellige Botschaft (wenn man nämlich irgendwann die Befürchtung hegen muss, dass Kommissar Rolandi das Schicksal des Anarchisten Giuseppe Pinelli teilen wird und aus dem Fenster im vierten Stock des Mailänder Polizeipräsidiums flüchten “muss“) sowie klandestine Hintermänner.

 

Überhaupt, die Politik und die Männer im Hintergrund. Ercoli klagt nicht laut und vernehmlich an wie Damiano Damiani, er zeigt kein klar erkennbares Muster wie etwa Francesco Rosi, und er übt auch nicht aggressive Kritik wie zum Beispiel Elio Petri. Nein, Ercoli geht geschickter vor, indem  er die Hintergründe des Bombenanschlags genauso im Unklaren lässt wie die eigentlichen Auftraggeber und ihre Motive. Als Zuschauer wissen wir zwar, dass es da einen Colonnello gibt der Befehle an die Bombenleger erteilt, aber wer das eigentlich ist erfahren wir nicht, und Rolandi noch viel weniger. Geheimdienst? Staatsschutz? Pff, wenn interessiert’s? Die Toten bestimmt nicht … Gerade dieses Diffuse, diese Unschärfe, zeichnet KILLER COP gegenüber dem erwähnten DIE KILLERMAFIA aus, wo zumindest einer der höheren Chargen deutlich benannt wird. Rolandi nimmt für uns die Stelle eines unbeteiligten Beobachters ein, der genauso wenig erfährt wie der durchschnittliche Zeitungsleser das tut, und tatsächlich ist Rolandi ja auch nur zufällig am Ort der Explosion. Und beginnt die Ermittlung ebenfalls nur aus persönlichen Bewegründen, nicht weil er von Berufs wegen müsste. Ercoli stellt diese Unschärfe zum einen dar, indem er immer wieder optische Spielereien platziert, welche die Bildränder verschwimmen lassen. Damit werden Personen verschleiert und in eine Halbwelt getaucht, zu der ein einfacher Kommissar keinen Zugang hat. Die Grenzen Rolandis sind, genauso wie unsere alltäglichen Grenzen, eng gesteckt, narrativ und bildlich gesprochen.

 

Das andere Element der Unschärfe ist die Sehschwäche Ludovisis, die Ercoli breit ausspielt und zum entscheidenden Element erklärt. Franco Ludovisi ist Rolandis  “Gegenstück“ bei den Terroristen. Das extrem kurzsichtige Moppelchen, das eigentlich nur dazu da ist Befehle entgegenzunehmen und die Bombe zu platzieren, reibt sich auf seine Art genauso an der Gesellschaft wie Rolandi es tut. Der eine liest halt Moby Dick und übt den zivilen Ungehorsam, der andere meint, dass er mit politischem Extremismus etwas ändern kann. Doch als Ludovisi merkt was er da eigentlich tut, regt sich sein Gewissen. Kein kaltschnäuziger Anarchist, kein menschenverachtender Faschist ist Ludovisi, sondern nur ein fehlgeleiteter Mensch, der zu spät zur Besinnung kommt. Ein Befehlsempfänger, der seinen eigenen Willen viel zu spät entdeckt. Wie viele von denen mag es im aufgeheizten politischen Klima im Italien der 70er-Jahre gegeben habe? Und nicht nur dort … Die eben nicht fanatisierte Halbirre waren, sondern irgendwann mal eine Entscheidung getroffen haben, die sich nachträglich als falsch erwies, und die dann anschließend 20 Jahre im Gefängnis saßen …

Auf jeden Fall ist Ludovisi auf seine Weise in einer zunehmend kälter werdenden Gesellschaft genauso menschlich geblieben wie Rolandi. Beide handeln in erster nach ihrem Gewissen, nur die Wege unterscheiden sich.

 

Es ist einfach sehr viel drin in diesem nicht wirklich reinen Polizeifilm. Viel Politik, viel Krimi, viel Verbrechen, viel Verzweiflung. Viel Menschlichkeit. Und es ist interessanterweise nicht der erste Poliziotto mit Claudio Casinelli, bei dem ich nicht genau weiß was ich sagen soll. Der sich mir beim Versuch der Beschreibung entzieht und stattdessen eine ganz bestimmte Stimmung vorgibt. Eine Mischung aus Realismus, Härte und Verzweiflung. Liegt das an Cassinelli? Der hat mitunter so traurige Augen, und seine Rollenwahl in den 70ern hat ja öfters solche Rollen wie hier gezeitigt: Der nach außen harte Cop, der nach innen so viel Gefühl hat, dass er an seinem Job fast zerbricht. Aber eben nur fast, denn wenn es sein muss kann er auch ordentlich auf den Putz hauen. Trotzdem, der wesentliche Unterschied zu, sagen wir, den Charakteren die Maurizio Merli so überlebensgroß dargestellt hat, ist der: Die Cassinelli-Figuren sind intelligent, sie sind leise - Sie sind irgendwie wie Freunde, die man gerne hätte.

Autor

Maulwurf

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