The Girl Who Knew Too Much

Italien | USA, 1963

Originaltitel:

La ragazza che sapeva troppo

Alternativtitel:

La muchacha que sabía demasiado (ESP)

La fille qui en savait trop (FRA)

The Evil Eye (USA)

Regisseur:

Mario Bava

Kamera:

Mario Bava

Inhalt

Die junge Amerikanerin Nora fliegt nach Rom, um ihre kranke Tante zu besuchen. Doch schon in der ersten, stürmischen Nacht verstirbt die alte Dame. Da Strom und somit auch Telefon ausgefallen sind, begibt sich Nora in finsterer Nacht auf den Weg ins nahe gelegene Krankenhaus zu ihrem Arzt Dr. Brassi. Doch sie wird von einem Unbekannten hinterrücks niedergeschlagen. Als sie benommen kurz aus ihrer Ohnmacht erwacht, beobachtet sie den Mord an einer Frau. Als sie am nächsten Tag davon im Krankenhaus erzählt, wird dies als Phantastereien einer vermeintlich hysterischen Alkoholikerin abgetan. Sie führt Dr. Brassi zum Tatort, wo keine Spuren mehr zu finden sind. Laura, die Nachbarin ihrer toten Tante, bietet ihr auf der Beerdigung an, für den Rest ihres Aufenthalts bei ihr zu verbringen, da sie und ihr Mann der Arbeit wegen ehedem außer Landes sind. Die nächsten Tage nimmt sie sich vor, Dr. Brassi zu beweisen, dass sie, trotz ihrer Vorliebe für Krimihefte, keine Spinnerin ist. Sie schleppt den jungen Arzt, der von Anfang an ein Auge auf sie geworfen hat, durch die ganze Stadt, und tatsächlich kommen sie einer länger zurück liegenden Mordserie auf die Spur...

Review

"La ragazza che sapeva troppo" wird von Fans noch vor dem im Jahr darauf entstandenen "Blutige Seide/Sei donne per l'assassino" als einer der ersten Einträge, wenn nicht sogar der erste, in das Register des Subgenres Giallo gehandelt. Der leichtfüßige Krimi im stilvollen schwarz-weiß - übrigens der letzte Film, den Bava farblos hielt - weist dabei gerade technisch einige Parallelen zu dem geliebten Genre-Klassiker auf. Der gelernte Kameramann, der auch hier für die Fotografie verantwortlich zeichnete, spielte viel mit Licht und Schatten sowie den sich daraus ergebenen Räumen. Bei Nahaufnahmen rücken dann meistens die Augen, vorzugsweise die von Leticia Románs Nora, in den Mittelpunkt des Bildes. Dadurch lenkt er geschickt die Aufmerksamkeit des Zuschauers, teilt die Szenen in Spannung und Entspannung, liefert einen Blickpunkt oder verweigert ihn, damit der Zuschauer dann wichtige Informationen aus Gesprächen entgegen nimmt. Inhaltlich bietet der Film eine seichte Mördersuche in Anlehnung an die Krimi-Meisterwerke Alfred Hitchcocks; schon der Titel "The Girl Who Knew Too Much" ist eine Anlehnung an dessen "The Man Who Knew Too Much". In beiden Geschichten geht es um eine/n Amerikaner/in, der/die im Ausland etwas sieht/hört, was er/sie nicht mitbekommen sollte. Dies ist ein Thema, das auch Dario Argento in seinen Gialli begleiten sollte: der englischsprachige Ausländer auf Mördersuche in Italien - siehe "L'uccello dalle piume di cristallo" (1970), "Profondo Rosso" (1976) oder "Tenebre" (1982). Ein weiteres gemeinsames Merkmal ist, dass der entscheidende Hinweis auf die Identität des Mörders dem Protagonisten frühzeitig präsentiert wird, er jedoch seine Erinnerung in Einklang mit dem Tatablauf bringen muss. Es ist also durchaus passend, Bavas Krimi als frühen Giallo-Vertreter zu indexieren, wo auch der spätere Genre-Maestro Argento seine Filme genauso hitchcockian gestaltete. Ein ausgemachter Krimi-Enthusiast wird sicherlich schon früh den Braten riechen und anhand der Regeln des Genre den Täter schnell ausmachen. Das liegt teils auch an der einfachen Figurenkonstellation. Dennoch gestaltet sich der Film als recht spannend, zum einen, weil Bava ein Meister der Ablenkung ist und, wie schon erwähnt, mit der Aufmerksamkeit des Zuschauers zu spielen vermag. Daraus ergibt sich auf der anderen Seite, dass einzelne Szenen für sich genommen, vor allem optisch, sehr spannend konzipiert sind. Da ist es noch nicht einmal wirklich wichtig, ob man den Mörder nun schon kennt oder immer noch am knobeln ist.

 

Aus dieser Figurenkonstellation ergibt sich, dass das Drehbuch in seiner Ausarbeitung und Bava in seiner Inszenierung eigentlich andauernd um sein Darsteller-Pärchen kreist, das sich in der ewigen Stadt auf Spurensuche begibt, wohingegen alle anderen Personen eher zu Stichwortgebern oder lebenden Infoständen degradiert werden. Leticia Román agiert als Nora zwar selbstbewusst, aber wegen ihres Übermuts auch leicht tapsig. Männern gegenüber verhält sie sich etwas reserviert, auch in ihrer Beziehung zu Dr. Brassi, der teils dermaßen am Baggern ist, als wolle er eine Kiesgrube ausheben, behält sie stets die Oberhand und bestimmt die Geschwindigkeit, in der sie sich entwickelt. Selbst als der Macho in Brassi durchbricht und er sie unvermittelt an sich reißt, tritt sie schon kurz darauf wieder auf die Bremse und verweigert sich vorerst weitergehender Intimitäten. Absolut passend erweisen sich hier Leticia Románs ausdrucksstarke Augen. Als Leticia Novarese 1941 in Rom geboren, wurde sie durch einen Hauslehrer größtenteils auf Englisch unterrichtet und ging 1958 mit ihrem Vater in die USA, wo er an den Bauten zu Kubricks "Spartacus" arbeitete. Sie blieb daraufhin, nahm Schauspielunterricht und begann ihre Karriere in "G.I. Blues" mit dem King. Anfang der 60er kehrte sie nach Italien zurück. Ab 1964 arbeitete sie vorzugsweise in Deutschland, 1965 spielte sie dann an der Seite von Mario Girotti, noch einige Jahre, bevor er zu Terence Hill wurde, in dem Karl-May-Western "Old Surehand". Eine schlechte Entscheidung, denn das Urteil der Kritiker über ihre Leistung war vernichtend, ihre weitere Karriere in Europa damit zu Grabe getragen. Sie kehrte in die USA zurück, sattelte dort 1968 um und wurde eine immens erfolgreiche Immobilienmaklerin. John Saxons Charakter Dr. Brassi zieht die meiste Zeit gegen Nora den kürzeren, er macht dem "Co" in "Co-Star" hier alle Ehre. Er ist dabei auch für das Gros der humoristischen Einlagen zuständig, bevorzugt bekommt er etwas gegen den Schädel oder hampelt gestikulierend in der Gegend herum, in der Hoffnung, die junge Frau zu beeindrucken. Seine Motivation resultiert aus seiner Zuneigung ihr gegenüber, oder eher gesagt dem Bestreben, bei der selbstbewussten - ein Wesenszug, der bei Frauen damals häufig mit "leicht zu haben" gleichgesetzt wurde - Hobbydetektivin zu landen. Der Italo-Amerikaner Saxon erzählt in Interviews gerne, wie er zu der Rolle gekommen ist. Angeblich hatte ihn Leticia Román aus Rom angerufen und gefragt, ob er nicht Lust hätte nach Italien zu kommen und in einem Arthouse-Film zu spielen. Erst als er in Italien angekommen sei, hätte er bei der Lektüre des Drehbuchs erstaunt festgestellt, dass es sich hierbei "um einen Horrorfilm" handelte. Er bringt überzeugend südländisches Temperament ein, auch wenn sein komödiantisches Timing nicht perfekt ist, was aber nicht schwer ins Gewicht fällt. Er hat ja bekanntermaßen noch einige Male am Stiefel gedreht, dürfte den meisten aber durch seine Rollen als Gesetzeshüter in "Black Christmas" (1974) und "Nightmare on Elm Street" (1984), und dem Genre-Fan natürlich als Schriftsteller in Dario Argentos "Tenebre" (1982), im Gedächtnis geblieben sein. Erwähnenswert ist noch der Auftritt von Valentina Cortese als Nachbarin Laura, die auf der Beerdigung noch sehr vereinnahmend Nora ins Gespräch zieht, sich dann aber erst einmal für eine lange Zeit aus der Handlung verabschiedet. Sie gibt trotz begrenzter Screentime eine überzeugende Leistung ab. 1974 wurde sie sogar für Francois Truffauts "Die Amerikanische Nacht" für den Oscar als beste Nebendarstellerin engagiert.

 

Sehr interessant an dem Film ist auch ein Vergleich seiner beiden Fassungen. Denn neben der italienischen Originalfassung wurde noch eine Version für den amerikanischen Markt angefertigt, für die Mario Bava schon von vornherein einige Szenen, u.a. ein komplett anderes Ende, gedreht hatte. Die US-Fassung mit dem Titel "Evil Eye", die von American International Pictures zusammen mit Bavas vorangegangenen Episoden-Grusler "Drei Gesichter der Furcht/I tre volti della paura" in die Kinos geschickt wurde, läuft mehr als 5 Minuten länger, entbehrt nebenher auch einiges Material, das nur in der italienischen Fassung zu finden ist. Auf der einen Seite erhielt sie einen komplett neuen Score durch Les Baxter, der dramatische Akzente zu setzen sucht - ich liebe ja seine Arbeiten für die Poe-Verfilmungen von Corman, aber hier finde ich ihn eher unpassend. Andersherum wird die Handlung öfters durch humorige Einlagen aufgelockert und auch das Ende ist um einiges seichter. Allerdings wäre das italienische Ende für die US-Version undenkbar gewesen, denn es geht darum, dass - und dieser Spoiler verrät eigentlich nichts über die Auflösung des Kriminalfalls - Nora überlegt, ob sie nicht vielleicht high gewesen ist und das Ganze nur geträumt hat. In der amerikanischen Fassung wurde jede Erwähnung von Drogen komplett getilgt. Um das noch näher auszuführen: ganz am Anfang des Films sitzt Nora im Flugzeug und ein recht aufdringlicher Mann neben ihr bietet ihr eine Zigarette an. Sie nimmt diese nur widerwillig an (weil sie ihre nicht mehr findet) und er schwatzt ihr sogleich die ganze Packung auf. Am Flughafen wird der Mann vom Zoll angehalten und durchsucht. Bei ihm werden in einem Geheimfach im Koffer haufenweise Zigarettenschachteln gefunden. In der Fassung von AIP ist der Mann ein Zigarettenschmuggler (einzig Nora deutet durch einen inneren Monolog an, dass sie was anderes vermutet), in der Originalfassung schmuggelt er Kokain und Marihuana-Zigaretten. Das komische an der ganzen Sache ist aber, dass Nora im folgenden in der US-Fassung noch einige Szenen erhält, die relativ konkret darauf hinweisen, dass sie durch den Konsum dieser Zigaretten high ist, was aber eigentlich eher zur Italo-Fassung passen würde. Doch gerade dort fehlen die Szenen, wie sie sich leicht verwirrt vom Flughafen und auf einen Bus zubewegt. Kurz darauf gibt es eine Szene in der ersten Nacht bei ihrer Tante, in der sie sich wissentlich eine der Zigaretten anzündet. Im Anschluss fühlt sie sich durch die Blicke eines Bildes, ein Portrait des Ex-Mannes ihrer Tante - zu sehen ist Mario Bava, ganz nach Hitchcock, selbst -, verfolgt und deckt es schließlich ab. Man wird hier das Gefühl nicht los, dass das eigentlich anders gedacht wäre, aber aus unerfindlichen Gründen diese Szenenfolge zwischen den beiden Fassungen quasi aufgeteilt wurde. Auf jeden Fall ein Grund, die Sichtung beider Film-Fassungen anzuraten, um diesen Film wirklich kennenzulernen.

 

Für Kenner und Liebhaber Bavas ist "The Girl Who Knew Too Much/Evil Eye" sowieso ein Muss. Wer jetzt, in Anbetracht vom nachfolgenden "Blutige Seide" einen Gothic-Giallo erwartet, dem wird der Film vielleicht zu seicht, nicht horribel genug erscheinen. Dafür ist dies einer der Filme Bavas, die man auch gerne mit Genre-Unkundigen genießen kann, denn den durchschnittlichen Krimi-Fan dürfte er in jedem Fall ansprechen, da er formal und inhaltlich genug zu bieten hat, um auch ohne Fachkenntnis seinen Spaß daran zu haben. Und was die Frage nach der präferierten Fassung angeht: ich selbst ziehe "The Girl Who Knew Too Much" vor, und das geht nicht nur darum, dass ich ein Bava-Purist wäre. Diese Version ist flotter, die Musik stimmiger. Aber auch "Evil Eye" hat seine Vorzüge, hier gibt es einige Szenen, die ich im nachhinein ungerne missen möchte; gerade wenn der Film sich locker macht, und Saxon sich durch die römischen Sehenswürdigkeiten blödelt, erweckt das schon eine große Sympathie für die Figuren. Die Geschichte ist dabei auch ein wenig runder, wobei die Szenen, die ich eigentlich den Drogen der Italien-Fassung zuschreiben würde, auch ein wenig deplatziert wirken. So oder so ist der "La ragazza che sapeva troppo" ein kurzweiliges Vergnügen, ob nun wegen der sauberen Inszenierung, den sympathischen Darstellern oder auch im Kontext von Bavas Karriere gesehen.

Veröffentlichungen

Nach Deutschland hat es der Film mit seinen mittlerweile 56 Jahren auf dem Buckel leider nie geschafft. Er lief 1963/64 in Südeuropa, schaffte dank AIP den Sprung über den Teich und auch auf die Insel. Und von letzterer erfolgte die wohl bisher beste Veröffentlichung dieses zuvor eher seltenen Films. Wieder einmal ist es den Jungs und Mädels von Arrow Video zu verdanken, dass man "The Girl Who Knew Too Much" wie auch "Evil Eye" in einem Release und zum teils recht schmalen Taler ergattern kann. Dazu erstrahlt der Film dank Abtastung der originalen Filmrollen im zeitgemäßen HD-Glanz. Die Double Format Edition bietet beide Fassungen in Full HD auf einer Blu-ray oder je einzeln als DVD. Als Extras gesellen sich noch eine Einführung in den Film von Alan Jones, ein Audiokommentar von Bava-Spezialist Tim Lucas, ein mehr als 20-minütiges Featurette über Film und Genre, ein kurzes Interview mit John Saxon sowie die obligatorischen Trailer zum Film. Obendrein liegt noch ein 28-seitiges Booklet bei, in welchem Kier-Lan Janisse den Film in Bezug auf seine Einordnung in den damals populären "paranoid woman's film" analysiert. Eine Empfehlung braucht man wohl angesichts dieses erlesenen Inhalts wohl kaum noch aussprechen, diese Veröffentlichung gehört definitiv in jede Bava-Sammlung.

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