Ginostra

Frankreich | Italien | USA, 2002

Originaltitel:

Ginostra

Alternativtitel:

El misterio de Ginostra (ESP)

The Sun Shines on Ginostra

Regisseur:

Manuel Pradal

Drehbuch:

Manuel Pradal

Inhalt

Der FBI-Agent Matt Benson soll Ettore, den Sohn eines toten Mafia-Pentitos, dazu bringen, gegen den örtlichen Paten auszusagen. Dafür reist er mitsamt Frau und Kind auf eine Insel in der Nähe von Stromboli, nördlich von Sizilien, wo der Junge lebt. Matt will zwar letzten Endes das Kind tatsächlich zu einer Aussage bewegen, vor allem aber ist ihm daran gelegen herauszubekommen, wer bei der Polizei verraten hat dass der Vater aussagen wollte. Als auf Ehefrau Jessie und Ettore ein erster Anschlag verübt wird dämmert ihm, dass die Idee mit dem Familienurlaub vielleicht doch nicht so der Hit war. Aber da ist er bereits tief in einem tödlichen Labyrinth gefangen, das nicht nur ihn umwabert, sondern auch auf den Drehbuchautoren und in Folge den Zuschauer übergreift, und alle denkbaren Zusammenhänge in vulkanische Nebelschwaden hüllt …

Autor

Maulwurf

Review

Auf den Film bin ich gekommen wegen Manuel Pradals 4 Jahre später entstandenem A CRIME, einer mystisch-archaischen Großstadtballade mit intensiven Bildern, die mich sehr tief beeindruckt haben. Der Hang zu aufgeladenen Symbolen, der auch in GINOSTRA sein Unwesen treibt, ist dort in wuchtige und dunkle Eindrücke einer Welt eingebunden, die unangenehm am Unterbewusstsein unserer Wahrnehmung kratzt. Wer Filme sucht, die das Herz der Finsternis in den Dschungel einer Großstadt verpflanzen, der ist bei A CRIME genau richtig. Der französische Regisseur hat hier das urbane Gegenstück zu Filmen wie VINYAN geschaffen, weswegen ich unbedingt mehr von ihm sehen wollte.

 

Aber wir reden hier nicht von A CRIME, sondern von GINOSTRA. Dieser bietet zwar ebenfalls schöne Bilder, aber dummerweise haben sich damit die Ähnlichkeiten auch bereits erschöpft. Die Mystik und die Wildheit sowohl der Geschichte wie auch der Optik des Nachfolgers gehen GINOSTRA weitgehend ab, stattdessen regieren unglaubwürdige Ausgangssituationen und langatmige Einstellungen. Die ersten knapp 60 Minuten sind ja als Thriller noch durchaus goutierbar, aber danach verliert sich das Drehbuch für längere Zeit in einem Irrgarten von unlogischen Schnittfolgen und nicht nachvollziehbaren Handlungsabläufen, und bekommt erst zum Showdown wieder die Kurve. Was zu rund 60(!) Minuten Leerlauf führt, die mit sinnlosem Symbolismus und künstlich aufgeblasenen Bildern überfrachtet werden, um bloß vergessen zu machen, dass die Geschichte sich in dieser Zeit kein Stückchen weiterentwickelt. Beispiele? Gerne: Die Bilder der Nonnen im Nebel etwa sind sicher beeindruckend, haben aber nicht den geringsten narrativen Wert. Warum Asia Argento als eine der Nonnen den Frodo macht und sich dem Lavastrom hingibt ist nicht nur wegen der schlechten Tricktechnik ärgerlich, sondern auch, weil die Szene keinen Sinn ergibt und schlichtweg überflüssig ist. Die Rolle von Harry Dean Stanton als pensioniertem Cop hat zwar zumindest mehr Sinn als die von Asia Argento, aber wie Stanton sich aus der Geschichte verabschiedet ist dermaßen hanebüchen dass es einem schwindelt. „Ich werde Dich morgen verhaften“ heißt es … Sollte ich jemals in die Verlegenheit kommen ernsthaft mit der Polizei zu tun haben zu müssen, so wäre das genau der Satz den ich verflucht gerne hören würde. Morgen ist schließlich auch noch ein Tag …

Gegen Ende des Films haben dann auch einige zu Beginn verwirrend-hingestreute Nebenkonstrukte endlich ihre Berechtigung, aber insgesamt regiert eher der Eindruck, dass das alles vollkommen an der Realität vorbeigeht und in einem Arthouse-Paralleluniversum spielt, in dem selbst irrwitzigste Zufälle vollkommen logisch und zwangsläufig sind. Solche Dinge haben in Filmen von Sergio Bergonzelli oder Renato Polselli durchaus ihre Daseinsberechtigung, von dem durchschnittlichen Italo-Western der 3. Reihe ganz zu schweigen. Aber bei einem modernen Thriller erwarte ich ein klein wenig mehr Zusammenhang innerhalb der Erzählung.

 

Soll heißen: Alles an der Aufführung ist künstlich bis zum Abwinken, was der grundlegend eigentlich relativ ordentlichen Story nicht gut tut. Zu viele Subplots schlagen Volten die irgendwann nur noch langweilen (Schön, dass Elena gerne mal einen Vulkan fotografieren möchte, aber die langsame Inszenierung um die Konsequenz dieser Aussage kostet den Zuschauer fünf wertvolle Lebensminuten. Als Regisseur hätte ich die Rolle der Elena schlicht und ergreifend komplett gestrichen …), und der Vulkanausbruch zum Ende hat dann zwar einen inhaltlichen Sinn, wirkt aber alles in allem genauso aufgeblasen wie der Film in seiner Ganzheit. Was übrig bleibt sind 60 vernünftig gemachte Startminuten sowie ein spannendes Showdown im strömenden Regen, was zu der Frage führt, warum der Film nicht einfach mit 90 Minuten inszeniert wurde. Dann wäre er nämlich um einiges knackiger und spannender geworden, und das sichtbar magere Budget hätte auch noch für ein paar hübsche Spezialeffekte rund um den Vulkan gereicht.

Nichts gegen moderne Arthouse-Filme, und ohne Regisseure von Woody Allen bis Andrzej Zulawski wäre das (Film-) Leben definitiv ein riesengroßes Stückchen ärmer. Aber hier haben wir eben genau das, weswegen solche Filme so oft einen so schlechten Ruf haben: Sie sind von einer Künstlichkeit, die am wirklichen Leben vorgeht, und nach dem Genuss (ernst gemeint) eines Arthouse-Films hat man oft das Gefühl, erstmal den nächsten vorbeikommenden Selbstjustizthriller in sich aufsaugen zu müssen. Bei GINOSTRA geht es einem nicht anders.

 

Auch die Schauspieler retten da nicht mehr viel: Harvey Keitel beginnt irgendwann vor sich hinzustieren, als ob ihm die Drehzeit einfach zu lange geworden wäre und er gerne wieder nach Hause wollte. Andie MacDowell und Harry Dean Stanton spielen ordentlich und unauffällig, und die italienischen Stars wie Stefano Dionisi (SLEEPLESS) und Francesca Neri (THE CARD PLAYER) geben sich Mühe und haben Ausstrahlung, können aber gegen das Drehbuch dann auch nichts mehr ausrichten. Asia Argento wird in ihrer Rolle völlig verschenkt, Angela Goodwin (AUTOPSIE – HOSPITAL DER LEBENDEN LEICHEN) schaut sinister und beeindruckend, Maurizio Nicolosi (ALLEIN GEGEN DIE MAFIA Staffel 8 & 9) überzeugt als Waldschrat mit finsterem Blick, und Veronica Lazar (DAS STENDHAL SYNDROM) läuft ebenfalls ein paar Mal durchs Bild. Der Einzige der wirklich in Erinnerung bleibt ist der Darsteller des jungen Ettore, Mattia De Martino. Der spielt sehr authentisch, und der Hass den er auf die Mörder seines Vaters verspürt, bringt den Zuschauer unweigerlich zum Mitfühlen.

 

Und so bleiben neben dem regenreichen Showdown letzten Endes tatsächlich einzig die Bilder des Vulkans in Erinnerung: Wenn der Nebel über die schneeverwehten Hänge treibt, und wenn das Gras auf dem schwarzen Lavaboden herumgelbt, dann entsteht viel Atmosphäre, die aber wirkungslos verpufft, denn, und das ist ein ganz großer Kritikpunkt, die eigentliche Handlung findet eben NICHT auf der Vulkaninsel Stromboli (mit dem Dorf Ginostra an der Südwestküste) statt, sondern auf Panarea, eine Insel weiter. Entsprechend ist der Vulkanausbruch dann wohl budgetbedingt eher als Eruption der Gefühle, als explosive Klimax der Handlung zu verstehen … Bla bla bla. Wer wissen möchte, wie man den Höhepunkt eines Thrillers zusammen mit einem Vulkanausbruch inszeniert, den verweise ich mit bestem Gewissen auf Hermann Huppens Comic “Andy Morgan 10 – Der Atem des Vulkans“, in dem Dinge wie Kidnapping, ein eruptierender Vulkan, eine Massenpanik und der Ausbruch der Pest extrem spannend und vor allem filmreif miteinander kombiniert werden. Aber GINOSTRA? Puh, die meisten der erloschenen Vulkane in der Eifel haben mehr Power. Ganz zu schweigen von Roberto Rossellinis STROMBOLI (um den Bogen zu schließen).

Autor

Maulwurf

Links

OFDb
IMDb

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