Das ganz große Ding

Frankreich | Deutschland | Italien, 1975

Originaltitel:

La baby sitter

Alternativtitel:

Babysitter - Un maledetto pasticcio (ITA)

La cicatriz (ESP)

Scar Tissue

L.A. Babysitter

The Babysitter

The Raw Edge

Wanted: Babysitter

Die Einsteigerinnen

Deutsche Erstaufführung:

27. November 1975

Regisseur:

René Clément

Inhalt

Die Kunststudentin Holly (Maria Schneider) verdient sich nebenbei etwas als Babysitterin dazu. Ihr neuester Auftrag hört sich wie üblich nach Routine an, als auf den kleinen Boots (John Whittington) aufpassen soll. Als dessen Eltern sie von unterwegs aus unterrichten, dass sie sich verspäten werden, wird Holly gebeten, den Job bis zum nächsten Tag ausführen. Eine Verabredung mit ihrem Freund Gianni (Renato Pozzetto) möchte sie daher telefonisch absagen, doch bemerkt bei dieser Gelegenheit, dass die Leitung tot ist. Die Studentin ahnt noch nicht, dass dies der Beginn eines Höllentrips für sie sein wird, da Entführer vorhaben, den kleinen Jungen aus wohlhabendem Hause zu kidnappen, um eine hohe Summe aus dessen Vater (Carl Möhner) herauszupressen. Bevor sich die beiden versehen, bekommen sie es auch schon mit den gewaltbereiten Verbrechern zu tun...

Autor

Prisma

Review

Der französische Regisseur René Clement kann auf eine langjährige Filmografie blicken, in der sich zahlreiche preisgekrönte Klassiker befinden, jedoch markiert diese 1975 entstandene Produktion bereits das Ende seiner durchaus erfüllten Karriere. Unter Cléments Spielleitung ist somit bereits im Vorfeld zu erwarten, dass sich der deutsche Titel auch auf die Umsetzung der Geschichte übertragen kann, denn immerhin hat man es in nahezu allen Bereichen mit sehr günstigen Grundvoraussetzungen zu tun. Bereits der Einstieg weist offensiv auf besondere Momentaufnahmen hin, die schließlich ein zusammenhängendes Ganzes ergeben können. Außerdem scheint eine besondere Komplexität der Story förmlich in der Luft zu liegen, die rund um das Thema sehr extravagante Blüten treibt, denn schließlich wurde die gleiche Thematik bereits in gefühlt unzähligen Filmen und auf unterschiedlichste Weise abgehandelt. Regisseur Clément konzentriert sich auf systematisch-komplizierte Verkettungen, in denen die Haupt- und Nebenakteure zwar vorgestellt werden, einige von ihnen jedoch für lange Zeit eher diffuse Profile behalten. Das Publikum bekommt es zunächst mit Personen zu tun, deren Gesichter man sich mangels Informationen genaustens einzuprägen versucht, um die sicherlich unausweichlichen Identifikationen gegen Ende selbst vornehmen zu können. Die Frage, welches Motiv wohl hinter Kindesentführung stecken mag, stellt sich aufgrund der eindeutigen Pauschalantworten überhaupt nicht, da die niederen Beweggründe klar auf der Hand zu liegen scheinen. Doch ist alles Wahrgenommene tatsächlich so eindeutig, wie es wirkt? Interessante Kniffe rund um das Personen-Karussell ergeben Aufschluss darüber, dass sich viele Eindrücke als Trugbilder herausstellen, sodass sich die Intensität der Spannung ganz natürlich als eine Art Selbstläufer entfalten kann.

 

Die Abscheulichkeit des hier vollzogenen Plans und Verbrechens versetzt das Publikum naturgemäß in Unruhezustände, da viele Gedanken wie ein roter Faden zu den möglichen Konsequenzen laufen und sich eine sehr große Solidarität mit dem jungen Opfer einstellt, welches sich jedoch mit kindlicher Renitenz und eigenartiger Unbekümmertheit gegen einen engmaschig gestrickten Plan auflehnt, der in Stücke zu fallen droht. Es bleibt schwierig, dieses französisch-deutsch-italienische Roulette mit Traumbesetzung zu ordnen, da die Charaktere kaum hilfreiche Verbindungen untereinander preisgeben, was dem Verlauf wiederum enorm zugute kommt, da auf der Suche nach der Plausibilität zahlreiche Mutmaßungen angestellt werden müssen. Die Strategie der Regie geht in ihrer ungewöhnlichen Fasson blendend auf, bis sich das gut konstruierte Vakuum entzerrt und für zahlreiche Aha-Effekte sorgt. Ungewöhnliche Besetzungskonstellationen werten diesen nebulös gefärbten, jedoch nicht minder spannenden Verlauf in besonderem Maße auf, nicht zuletzt, da einige Charaktere so etwas wie Solidarität untereinander signalisieren, und sich die kriminelle Fraktion eindeutiger als zu Beginn positioniert. Diese variantenreiche Strategie bewegt sich zielsicher auf ausgefallenen aber gleichzeitig konventionellen Schienen, sodass genügend Identifikationspotential geboten wird, das in einer solchen Tristesse auch irgendwie notwendig erscheint. So werden beispielsweise diverse Paukenschläge nicht ausbleiben, die ganz selbstverständlich zum Mitfiebern und zum Ordnen dieses Puzzles einladen. Aufgrund der verlässlichen Charakterzeichnungen wirkt der Verlauf niemals beliebig und stellt seine hochkarätigen Interpreten genüsslich in den Fokus. Dies gilt vor allem für die Französin Maria Schneider und ihre US-amerikanische Kollegin Sydne Rome, die in vielerlei Hinsicht ein permanentes Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz eingehen.

 

Zwar sind die beiden Damen, die selbst in ihrer äußeren Erscheinung für große Kontraste sorgen, klar in der Geschichte positioniert und bieten jeweils Berührungspunkte an, doch insbesondere Sydne Rome ist das unsichere Element der Veranstaltung. Dieser mysteriöse Status wird durch ihren beinahe oberflächlichen Rollen-Charakter sukzessiv und hochinteressant aufgeweicht, sodass sich eine tragische Komponente bildet, die bis zum Schluss aufrecht erhalten werden kann. Rome löst ihre Rolle nahezu perfekt, da Züge wie Zerrissenheit, Verzweiflung und immense Nervosität glaubhaft transportiert werden. Die Elixiere der Geschichte bestehen allerdings aus vielen weiteren Komponenten, die auf die beteiligten Personen verteilt sind. Maria Schneider geht ihren Weg durch die Hölle in anscheinend lethargischer Manier, vielleicht um die Vorkommnisse nicht zu nah an sich heran zu lassen. Ihre auffälligen Schutzmauern werden durch die simplen Kniffe eines Kindes aufgebrochen, die bemerkenswert dicht von John Whittington angewandt werden. Beine befinden sich im Würgegriff von Entführung, Erpressung und sogar Mord, sodass es zwischen beiden unschuldigen Opfern dieses doppelten Spiels zu lebenswichtigen Allianzen kommen muss, um nicht alleine unterzugehen. Da die vielen gefährlichen Strömungen der Handlung sämtliche Hoffnungsschimmer gierig verschlingen, ist ein nervöser Tenor garantiert. Der ausgearbeitete Plan greift schließlich rapide und demonstriert seine scheinbare Perfektion, doch es gibt zu viele Beteiligte beziehungsweise Mitwisser, die nach den Gesetzen derartiger Geschichten ebenso gefährlich leben wie die Opfer. In einem solchen mit Stars bepackten Film ist es immer eine besondere Freude, wenn die Entourage sich nicht nur auf ihren prominenten Namen ausruht, sondern das Szenario mit packenden und stichhaltigen Leistungen ausstaffiert.

 

Für Maria Schneiders oft spröde wirkendes Wesen muss vielleicht ein gewisses Faible vorhanden sein, um sie bedingungslos gerne zu sehen, vielleicht sogar zu schätzen, doch was die Französin hier anbietet, wirkt wie gesucht und gefunden. In Wirkung und Charakter positioniert als offensichtliches Pendant zu ihrer Kollegin Sydne Rome, zieht sie den Zuschauer in Windeseile auf ihre vollkommen trostlos und ausweglos wirkende Seite und reicht dem Publikum ihre alles andere als leichtfertig wirkenden Hände für einen Gang durch den perfekt konstruierten Alptraum. Die US-Amerikanerin Synde Rome hingegen wirkt dem Thema entsprechend marionettenhaft und von fremden Köpfen und Kräften gesteuert, was eine gewisse Tragik um ihr fragiles Wesen andeutet. Nadja Tiller überrascht einmal mehr mit einem verschlagenen und rücksichtslosen Auftreten und reiht ihre Performance nicht nur zu den bemerkenswertesten dieses Films ein, sondern es handelt sich ebenfalls um eine der spektakuläreren Leistungen ihrer späten Karriere, die vollkommen abgekoppelt von Klischee-Kreationen, insbesondere des bundesdeutschen Films, abläuft. An ihrer Seite besticht ein von Verworfenheit strotzender Robert Vaughn, dem man genau wie ihr nicht immer das Beste wünscht. Präzise agierende Kaliber wie Vic Morrow, Carl Möhner und Georg Marischka runden das Geschehen mit ebenso für Aufsehen sorgenden Leistungen ab, und es ist im Endeffekt zwar klar, wer auf welcher Seite steht, aber dennoch ist es oft nicht zu erahnen, wie ihnen das Schicksal gesinnt ist. Erwähnenswert in dieser illustren beziehungsweise kriminellen Umgebung ist noch insbesondere Kinderdarsteller John Whittington, der eine Leichtigkeit an den Tag legt, die richtig Freude macht und den Verlauf neben Maria Schneider am nachhaltigsten prägt.

 

Zwar wird es die Regie dem Publikum vor allem über die Projektionsfläche Kind nicht immer einfach machen, denn schließlich laufen Szenen ab, die in diesem Zusammenhang erschrecken und bestürzen, aber die unbefangene Spiellaune den kleinen Protagonisten hilft über viele schwierige Phasen hinweg. Sein kindlicher Mut, die nicht durch komplizierte Labyrinthe laufenden Gedanken und die erfrischende Cleverness sorgen immer wieder für Lichtschimmer am Ende des Tunnels, lassen einen somit interessiert dabei zuschauen, wie er mit seiner Babysitterin überlebenswichtige Allianzen schmiedet. Zwischenzeitlich beschäftigt sich die Regie jedoch immer wieder mit der Veranschaulichung drastischer Maßnahmen, die die angedeutete Gefahr Gestalt annehmen lässt. So unterschiedlich die Personen der kriminellen Fraktion auch sind, und so konträr sie im Vergleich auch agieren, treffen sie sich unterm Strich auf der gleichen Stufe, da das Vorhaben Kidnapping für ihren designierten Wohlstand sorgen beziehungsweise diesen aufrecht erhalten soll. Dennoch ahnt man bei so viel geballter aggressiver Energie, dass die eine Krähe nur darauf wartet, der anderen die Augen auszuhacken, was für zusätzliche Brisanz und Konfrontation sorgt. "Das ganz große Ding" erlaubt sich den durchaus angebrachten Luxus, den Zuschauer trotz transparenter Schilderungen und Handlungen im Dunkeln tappen zu lassen und begrüßenswerte Fallen zu stellen, was diesem überaus intelligent konstruierten Thriller rund um eines der wohl miesesten Verbrechen sehr zugute kommt. Zahlreiche Intervalle erscheinen unterm Strich vielleicht sehr knifflig eingefädelt, doch am Ende bleibt die Gewissheit, dass alles innerhalb dieser Assoziationskette eine Einheit bilden wird. René Cléments Beitrag ist mit den Jahren leider etwas in Vergessenheit geraten, doch wenn sich die Möglichkeit eines ersten Kennenlernens mit diesem Film bietet, sollte man mit vollen Händen zugreifen.

Autor

Prisma

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