Die Frau am Fenster

Frankreich | Deutschland | Italien, 1976

Originaltitel:

Une femme à sa fenêtre

Alternativtitel:

Una donna alla finestra (ITA)

Una mujer en la ventana (ESP)

A Woman at Her Window

Deutsche Erstaufführung:

25. Februar 1977

Kamera:

Aldo Tonti

Inhalt

Margot (Romy Schneider), die Marquise de Santorini, führt als Diplomatengattin ein sorgenfreies Leben und darüber hinaus eine offene Ehe mit ihrem Mann Rico (Umberto Orsini). Als im Jahr 1936 in Griechenland ein Staatsstreich stattfindet, um eine Militärdiktatur zu etablieren, werden fortan alle Gewerkschafter und Kommunisten verfolgt. Zu dieser Gruppe zählt auch der Grieche Michel Boutros (Victor Lanoux), den die Marquise eines Abends von ihrem Fenster aus sieht, um ihm schließlich Unterschlupf zu gewähren. Margot verliebt sich in den Dissidenten, doch das Glück ist nur von kurzer Dauer, da seine Verhaftung bevorsteht. Diese Warnung erhält sie von ihrem alten Freund, dem Bauunternehmer Raoul Malfosse (Philippe Noiret), der selbst starke Gefühle für die attraktive Frau entwickelt hat. Allen Gefahren zum Trotz, beschließen Michel und Margot gemeinsam durchzubrennen, doch alles kommt anders. Erst Jahrzehnte später wird sich der Nebel verziehen, der sich um das ungleiche Liebespaar gehüllt hatte...

Autor

Prisma

Review

Die Titelgebung zahlreicher Filme kann sich in kürzester Zeit als Wegweiser für die bevorstehenden Geschichten erweisen, doch in Pierre Granier-Deferres "Die Frau am Fenster" werden in dieser Beziehung zunächst keine deutlichen Aufschlüsse geboten. Wer diese Frau sein wird, ist bereits in den ersten Szenen ersichtlich, denn der Zuschauer bekommt Einblicke durch ein Panoramafenster geboten, welches zahlreiche wunderbare Eindrücke vermitteln wird. Der französische Regisseur und Drehbuchautor artikuliert sich wie so oft durch die Bilder einer Landschaft und sorgt damit für Orientierung. In diesem Fall sprechen die Aufnahmen in Delphi ihre ganz eigene Sprache und deuten eine leidenschaftlich-sinnliche Geschichte der Moderne an, in welcher immer wieder deutliche Bezüge zur griechischen Tragödie auftauchen, was gleichzeitig als düstere Prognose zu verstehen ist. Die idyllischen Bilder wollen hingegen für gegenteilige Eindrücke sorgen, bis es langsam zu einer prosaisch gefärbten Ausgeglichenheit kommt, wofür nicht nur Zeit und Ort verantwortlich sind, sondern auch die schnell integrierten Hauptcharaktere. Als Zuschauer lässt man sich gerne von Pierre Granier-Deferre an die Hand nehmen, auch wenn sich das unbestimmte Gefühl etabliert, dass es kein leichter Weg werden wird. Die zwar in zeitlicher und geografischer Hinsicht sehr präzise gehaltene Geschichte beginnt dennoch im Irgendwo und wird dabei als diffuses Puzzlespiel angeboten, das sich im Rahmen kompliziert angelegter Rückblenden lückenlos zusammenfügt. Erneut wird deutlich, dass Regeln, Normen und Werte im Rahmen kriegerischer Zeiten ausgehebelt werden; es herrschen andere Gesetze, denen man sich entweder beugt oder durch die man gebrochen wird. Dieser Aspekt stellt silhouettenhaft das Elixier dieser bemerkenswert formulierten Geschichte dar, die in den Konturen eines opulenten Ausstattungsfilms fesseln wird, oder zumindest das klassische Potential hierfür besitzt.

 

Um den bevorstehenden Zündstoff anzudeuten, treten immer wieder beiläufige Szenen gewaltsamer Zustände auf, und es wird bald zu dem Punkt führen, dass auch die ausweglose Leidenschaft einer Frau nicht ausreichen wird, um eine gesamte Armee oder wenigstens bestimmte Personen zur Kapitulation zu zwingen. Katastrophen können naturgemäß viele Gesichter oder Auslöser haben, im Großen und im Kleinen. In "Die Frau am Fenster" tut der Ausnahmezustand des blutigen Staatsstreichs, der viele unschuldige Opfer rekrutieren und fordern wird, das Übrige dazu. Während das Leid der Allgemeinheit eher skizzenhaft gezeigt wird, werden die Dekadenz und Ausgelassenheit der besseren Kreise betont, denen ein wesentlich größerer Fokus eingeräumt wird. Dies alles wirkt wie eine Art Parallelwelt zwischen den Realitäten, in welcher sich auch die Titelfigur behauptet und auf sicherem Terrain bewegt. Noch. Pierre Granier-Deferre bietet trotz eindeutiger Worte, Handlungsweisen und Gesinnungen hauptsächlich Unergründlichkeit an und bemüht nichts Geringeres als das Schicksal selbst, das diese poetische Geschichte vor malerischer Kulisse antreibt. Die erwähnten Rückblenden zeigen eindrucksvoll auf, wie die Liaison zwischen den Hauptfiguren Margot und Michel inmitten größter Gefahren und der oberen Zehntausend - die offensichtlich nicht viel mit Loyalität, Werten oder Idealismus zu tun haben - zustande kommen und ihren verheißungsvollen Verlauf nehmen konnte. Fortan nimmt die Sinnhaftigkeit eines unter Beobachtung und Kuratel stehen deutlichere Formen an, sodass trotz der sehr ruhigen Verlaufsform subtile Spannungsmomente entstehen können, die allerdings so gut wie nie eine Eruption erfahren dürfen. Im Grunde genommen behandelt die Geschichte Einzelschicksale im Kollektiv, wenngleich man ebenso ahnt, dass es sich keineswegs um isolierte Fälle handeln dürfte.

 

"Die Frau am Fenster" entstand im letzten Drittel von Romy Schneiders Karriere und zählt vielleicht zu den Auftritten, die nicht in einem Atemzug mit ihren ganz großen Coups genannt werden. Betrachtet man diese sich sorgsam entfaltende und voller Strahlkraft wirkende Rolle, zeigen sich ganz deutlich jene Konturen, die man stets mit der Ausnahme-Darstellerin in Verbindung bringt. Starke und unkonventionelle Frauentypen waren seit Jahren die Domäne der leidenschaftlichen Wahl-Französin, und auch unter Pierre Granier-Deferre, mit dem sie bereits drei Jahre zuvor in "Le Train - Nur ein Hauch von Glück" zusammenarbeitete, kommt es zu keinen gegenteiligen Eindrücken im Rahmen dieser erstaunlichen Inszenierung. »Wissen Sie, wie man in Italien den Ehebruch amtlich registriert? Der Polizei-Kommissar steckt zwischen die verschlungenen Körper der Liebenden einen Stock. Stößt er auf ein Hindernis, sodass der Stock nicht weitergleiten kann, ist der Ehebruch amtlich.« Provokante Sätze wie dieser sind häufiger mit süffisantem Lächeln und angriffslustiger Miene von der schönen Marquise de Santorini zu vernehmen, die dem Zuschauer gleich aufweisen, dass man es mit einer ungewöhnlich starken Persönlichkeit zu tun hat, die sich nicht um die Ressentiments der anderen schert. Es wird sich hierbei nur um einen der Gründe handeln, warum die aus Österreich gebürtige Marquise sich in genau dieser Position gesellschaftlicher Privilegien befindet. Eine Frau, über die und mit der man spricht. Ihr Ehemann, der einem Casanova ähnelt, ist Attaché der italienischen Botschaft und offenbar der Schlüssel für ein scheinbar unbeschwertes Leben auf der Überholspur. Diese Unbeschwertheit ist allerdings das ausschließliche Ergebnis ihrer eigenen Herkunft und Methodik, das Leben und die damit verbundenen Stationen so unkonventionell als möglich und nicht immer rational anzugehen.

 

Die wortgewandte Dame, welche die Kraft ihrer wie Minen ausgelegten Sprache beim entsprechenden Gegenüber als Waffe einzusetzen pflegt, ist mit einer auffälligen Schönheit und Eleganz ausgestattet, die in gleichem Maß Eintrittskarte und Freibrief für all das darstellen, was man mit einem erfüllten Leben in Verbindung bringen möchte. Doch der Schein trügt wie so oft, denn jeder glaubt, sich selbst der Nächste zu sein. Der Kern der Geschichte zeigt daher schnell auf, dass es sich nur um ein vordergründiges Glück handelt; eine Tatsache, über die sich Margot auch vollkommen bewusst ist. Sie und ihr Ehemann Rico geben sich einem gängigen Gesellschaftsspiel hin - einer Rochade der unterschiedlichen Partner. Es ist irritierend, dass weder Eifersucht noch Streit wahrzunehmen sind; eher sieht man zwei befreundete Verbündete, die sich im Rahmen ihrer klaren Absprachen und Regeln wohlfühlen. Auch die typischen Szenen einer Ehe bleiben vollkommen aus. Hauptsächlich beobachtet man die kritischen bis amüsierten Blicke einer Frau, die die überwiegend gewöhnlichen Avancements ihrer schlechteren Hälfte mustert, um sie mit ihren engsten Feindinnen auseinanderzupflücken, die sich auf dem Tennis- oder Golfplatz die Objekte für ihre Schäferstündchen aussuchen. Doch wie Margot selbst treffend formuliert, könne man nichts machen gegen einen Mann, der auf seinen Ruf als Verführer bestehe. Durch Romy Schneider kommt wie so oft Leidenschaft und Gefühl in die jeweiligen Geschichten, denn sie ist empfundenermaßen als eine der letzten Bastionen der Aufrichtigkeit zu sehen. Ihre Liaison mit Michel steht unter keinen guten Voraussetzungen und deutet eine unausweichliche Katastrophe an. Allen Warnungen zum Trotz, geht sie das Risiko unter der Bereitschaft, alles zu verlieren ein, und jeder in ihrem Umfeld weiß, dass ihr starker Wille und diese auffallende Unbändigkeit nicht zu brechen sind.

 

Luxus, Unabhängigkeit und Privilegien werden leichtfertig in eine Waagschale geworfen und man fühlt, dass nur eine Frau wie Margot bereit sein kann, alles hinter sich zu lassen, da sie dieses gesellschaftliche Korsett lange genug und widerwillig getragen hat. Ihrer Unnahbarkeit und der Rolle einer Dame von Welt ist sie offensichtlich überdrüssig geworden, doch unterm Strich kristallisiert sich ein ehrliches, starkes Gefühl heraus, das man im Volksmund Liebe nennt. Auf ihre Verbündeten kann Margot auch weiterhin zählen, doch es drängen sich Personen in den Vordergrund, die sie am liebsten unter Kuratel stellen würden. Romy Schneiders exzellentes Schauspiel trägt zu den vielen erlesenen Momenten dieser Geschichte bei, die den Zuschauer nicht unberührt lässt. Neben der angebotenen Gefühlsklaviatur sorgt auch ihre strahlende Aura für Aufsehen, von ihren eleganten Ensembles ganz zu schweigen. Es ist immer interessant, eine gelöste Romy Schneider beobachten zu können, die wie hier mit keinen Barrieren außerhalb der Geschichte konfrontiert gewesen zu sein scheint. Die Filmkritikerin "Ponkie" von der Münchner "Abendzeitung" schrieb in diesem Zusammenhang: »Attraktion des Films; Romy Schneider, schön wie die Sonne, immer göttlich angezogen, mit einer Hut-Kollektion, die auf dem Kopf herumzuschleppen allein schon ein beträchtliches Arbeitspensum darstellt.« Tatsächlich bietet sich der unaufdringliche Eindruck an, dass allein Romy Schneider Grund genug darstellt, sich diesen Film anzuschauen, doch als interessierter Zuschauer bekommt man weitaus mehr im Dickicht oberflächlicher Zerstreuungen und akuter Gefahren geboten. Romy Schneider dominiert die Szenerie ganz selbstverständlich und lädt mit einem überaus natürlich wirkenden Charme ein, in eine Traumwelt abzutauchen, deren einzige Limitierung die nackte Realität darstellt. Alles in allem ist es also erneut ein Erlebnis und darüber hinaus unmöglich, von dieser Ausnahme-Darstellerin nicht gefesselt zu sein.

 

Szenen einer progressiven Ehe dominieren den späteren Verlauf, und es ist nicht immer leicht, zu verstehen, wieso "Die Frau am Fenster" einen bevorzugt komplizierten Weg gehen möchte. Begleitet von der melancholischen Musik von Carlo Rustichelli, entsteht eine trügerische Harmonie, die allerdings nur dazu gemacht scheint, in beliebigen Momenten der Ruhe in Stücke zu zerfallen. Auf den Stützen geschichtlicher Zusammenhänge, bereitet Pierre Granier-Deferre ein leidenschaftliches sowie eindeutiges Plädoyer für Hoffnung und Tugenden vor, wenngleich auf visueller Ebene Kontrastprogramme abzulaufen haben. Wie man diese Eindrücke, Prognosen und Katastrophen letztlich deuten möchte, überlässt der Regisseur dem Zuseher, aber zurück bleibt ein bedeutender Film mit unmissverständlicher Aussage, der in dieser Fasson wohl nur unter französischer Flagge konstruiert werden konnte. Beeindruckende Leistungen von Philippe Noiret, Victor Lanoux und Umberto Orsini veredeln diese Produktion in zusätzlicher Weise und es kommen formvollendete Phasen zustande, die außerdem dafür sorgen, dass es zu keinem auffälligen Ungleichgewicht im darstellerischen Bereich kommt, obwohl alles und jeder um Hauptdarstellerin Romy Schneider konstruiert ist. Die Wege von Zuneigung oder Liebe bleiben auch hier ein Stück weit unergründlich, obwohl der exemplarisch angelegte Verlauf dazu animiert, genau verstehen zu wollen. Obwohl es im Film kaum in Worte gefasst wir, bleiben Liebe und Leidenschaft unter Romy Schneider und Pierre Granier-Deferre nicht nur lose Worte, denn die Protagonistin hält wie beinahe immer, was sie verspricht. Ohne Theatralik und unangebrachte Untertöne mündet der Verlauf in ein Finale, das trotz einer Art determinierter Vorhersehbarkeit überraschende und bedrückende Wendungen anbietet, die weitsichtig aufgeschlüsselt wirken und einen Hauch von Geheimnis wahren, welches diesen Film stets umgeben hat.

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