Die verrückten Reichen

Frankreich | Deutschland | Italien, 1976

Originaltitel:

Folies bourgeoises

Alternativtitel:

Vidas em Jogo (BRA)

Locuras de un matrimonio burgués (ESP)

Pazzi borghesi (ITA)

The Twist (USA)

Der Dreh

Twist

Deutsche Erstaufführung:

26. August 1976

Regisseur:

Claude Chabrol

Kamera:

Jean Rabier

Inhalt

Das Leben des amerikanischen Bestseller-Autors William Brandels (Bruce Dern) und dessen Frau Claire (Stéphane Audran) besteht aus purem Luxus und öffentlichen Verpflichtungen in der gehobenen französischen Gesellschaft. Bei einer wichtigen Preisverleihung in der Villa des Verlegers Jacques Lalouet (Jean-Pierre Cassel) geht William zwar leer aus, jedoch nicht seine Frau, da sie eine Affäre mit dem Gastgeber anfängt. Ihr Ehemann steht den außerehelichen Aktivitäten jedoch in nichts nach und hat eine Liaison mit der attraktiven Dolmetscherin Charlie Minerva (Ann-Margret), bis sich die gegenseitige Eifersucht so sehr hochschaukelt, dass sich beide in den absurdesten Gedanken wiederfinden. Ein Tapetenwechsel soll die gewohnten Gesetze ihrer Alltagshölle wieder herstellen...

Autor

Prisma

Review

Bereits die ersten Szenen in Claude Chabrols Gesellschaftskomödie "Die verrückten Reichen" sind auf Konfrontation und Bloßstellung getrimmt. In einem feudal eingerichteten Haus, das von Kunst und Prunk nur so überzuquellen scheint, stellen sich die Titelfiguren in eindeutiger Manier selbst vor. Eine reiche und für ihre eigenen Begriffe eben nur gerade noch attraktive Französin räkelt sich in der Badewanne und spielt mit Modell-Kriegsschiffen, bevor sie nach einen Drink ruft, den ihr Mann auch wie wohl häufig serviert. An der Bar sitzt das gelangweilte und offensichtlich wie üblich angeheiterte Dienstmädchen, welches ihre Mädchenjahre auch längst gesehen hat, und gibt dem Whiskey nicht gerade liebevoll und mit bloßen Händen einige Eiswürfel hinzu, bis sie vor dem leeren Gequatsche der Herrschaften flüchtet. Diese ersten Eindrücke skizzieren den unbeschwerten Alltag der Schickeria, bevor man sich vor dem Spiegel saniert, um auf einen Empfang salonfähig zu sein, bei dem gelästert wird, dass sich die Balken biegen. Geld, Gerüchte, Sex, Indiskretionen und Intrigen werden zu den Gesprächsthemen, die den guten Ton angeben und dem Empfinden nach liegt nicht nur eine liaison dangereuse in der Luft, was durch den Zündstoff Alkohol angefeuert wird. Claude Chabrol gewährt interessante Blicke auf das Verhalten der Personen in der Öffentlichkeit, aber vor allem innerhalb ihrer eigenen, kleinbürgerlichen vier Wände, beispielsweise bei Alkohol getränkten Weltuntergangsstimmungen in denen der Herr und die Dame des Hauses zwischen: »Das Vermögen einer Frau liegt zwischen ihren Beinen!« und »Ich bin alt!« aneinander vorbeireden. Die personellen Konstellationen ergeben sich hauptsächlich über familiäre oder geschäftliche Verbindungen, oder selbstverständlich Affären. In diesem Zusammenhang werden die Dialoge und die Gebärden gerne einmal auf die Spitze getrieben, sodass es zu sarkastischer bis zynischer Situationskomik kommt.



Die Geschichte ist primär um eine Frau namens Claire Brandels konstruiert, die Gefahr läuft, endgültig Rot zu sehen. Obendrein ist sie verheiratet mit einem Amerikaner. Exzellent dargestellt von der französischen Charakterdarstellerin Stéphane Audran, bekommt man es mit einer betont aggressiven Spiellaune zu tun, die in eine regelrechte Achterbahnfahrt mündet. Bei ihr hat alles gehoben zu sein: Haute Couture, Haute Cuisine, Hautevolee. Leider ist der allgemeine Eindruck über diese Dame ein vollkommen anderer, denn sie glänzt gerne einmal durch Impulsivität oder auch Vulgarität, sprich: in Extremzuständen, die das Zusammensein mit ihr nicht gerade vereinfachen. Nur der Zuschauer wird Zeuge ihrer geheimen Vorstellungen, in denen sie sich sexuellen Ausschweifungen oder sogar Mordgelüsten hingibt und der Ursprung des Ganzen ist ihre übersteigerte Eitelkeit und pauschale Eifersucht, die langsam aber sicher von ihrem fortschreitenden Alter zernagt wird. Ihre junge Nichte tanzt ihr buchstäblich permanent vor der Nase herum, deren Schönheit und Jugend von Sydne Rome quasi personifiziert werden. Ihr Mann William verbringt seine Zeit gerne sinnvoll, also am liebsten ohne sie und auch zwischenmenschlich scheint es nicht mehr auf vollen Touren zu laufen, was Claire zu einem Liebhaber treibt, der sie wiederum auch betrügt. Chabrol spannt Stéphane Audran förmlich wie ein Zirkuspferd ein, dass er in seine Manege schickt. Mit fortlaufender Spielzeit zeichnet sich eine hoffnungslose Neurotikerin ab, deren Gedanken und Fantasien nur dem Zuschauer zugänglich gemacht werden, indem sie prominent im Bild eingefangen werden. Dabei lehnt sich ihr Inneres aufrührerisch gegen gesellschaftliche Konventionen und bürgerliche Moralvorstellungen auf, deren Steigbügelhalterin sie jedoch immer wider selbst ist. Temperament und Präzision lassen Audrans Leistung zu der notwendigen Wucht und Einheit werden, die den Film bestimmt.



Die männlichen Hauptrollen mit Bruce Dern und Jean-Perre Cassel haben es vergleichsweise schwer, sich im Schatten dieser geballte Ladung hervorzutun, wenngleich sie sehr passable Eindrücke hinterlassen, genau wie Gaststar Ann-Margret. Curd Jürgens, der im Vorspann unter besonderer Mitwirkung angekündigt ist, bekleidet genau wie seine schwedisch-amerikanische Kollegin nur eine kleinere Rolle und kann zumindest für Wiedersehensfreude sorgen, was auch für viele der anderen Interpreten gilt, wie beispielsweise eine barbusige Sybil Danning oder einen beinahe bis zur Unkenntlichkeit zurecht gemachten Tomas Milian. Besonders in den Fokus spielen kann sich Maria Schell, als einfältig wirkende Dienstmagd, die wild mit Schweizer Akzent herumpoltert, den alkoholischen Finessen der Herrschaften nicht abgeneigt ist und im sexuellen Sinn chronisch ausgehungert zu sein scheint. Insgesamt blickt man auf erfrischend groteske Leistungen, die dem Tenor dieser Geschichte hervorragend angepasst sind. Spätestens im letzten Drittel des Films drängt sich schließlich die Frage auf, was das komplette Geplänkel eigentlich aussagen will und man hofft auf eine spektakuläre Antwort in Form eines Finales, das diesem Verlauf angemessen erscheint. Der Weg dorthin wird jedoch mit konventionellen Themen aus dem Bereich der angeschlagenen Beziehungen geschmückt, was die obligatorischen Spleens der Reichen ein wenig an Intensität verlieren lässt, bis es zu einer Art Rollentausch kommt, in dem William nun in die selben Halluzinationen verwickelt wird, die bereits seine Frau heimsuchten. Beim Blick auf einen Flipper oder in ein offenes Auto sieht er sie plötzlich in eindeutigen Situationen, oder besser gesagt Positionen, in denen sie es mit fremden Männern treibt, oder er befördert sie einfach ins Jenseits. Im Rahmen der Sex-Neurosen der verrückten Reichen bekommt man gegen Ende noch einige denkwürdige Szenen geboten und insgesamt handelt es sich um einen Beitrag, der zwar ziemlich weit entfernt ist vom Olymp ganz großer Beiträge französischer Seele, jedoch seinen Dienst im Sinne der Anklage erfüllen kann.

Autor

Prisma

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